Zentralflughafen THF, Flughafen, Berlin, Flüchtlinge
Szene aus dem Film "Zentralflughafen THF"

Berlinale

Flüchtlingsdokumentation „Zentralflughafen THF“ gewinnt Amnesty-International-Filmpreis

In Berlin trennen die Flüchtlinge in den Hangars und die Freizeitsportler auf dem Tempelhofer Feld nur wenige Meter – doch die Distanz ist enorm. "Zentralflughafen THF" zeigt den Alltag im Lager - und erhält auf der Berlinale den Amnesty-Filmpreis.

Von Nadine Emmerich Montag, 26.02.2018, 6:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.02.2018, 16:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Als der junge Syrer Ibrahim im Januar 2016 nach seiner Flucht vor dem Krieg in der Heimat in Berlin-Tempelhof ankam, war er geschockt. Dass sein neues Zuhause ein Flughafen sein würde, damit hatte er nicht gerechnet. Viele Flüchtlinge hätten befürchtet, direkt in den nächsten Flieger zurück gesetzt zu werden, heißt es in der Dokumentation „Zentralflughafen THF“ von Karim Ainouz, die bei der Berlinale in der Sektion Panorama lief und am Samstag mit dem mit 5.000 Euro dotierten Amnesty International Filmpreis gewürdigt wurde.

Ein Jahr lang begleitete der brasilianisch-algerische Regisseur („Praia do Futuro“) für seinen 97 Minuten langen Film, der am 24. Mai in die Kinos kommt, den Alltag des damals 18-jährigen Ibrahim und des Irakers und früheren Assistenzarztes Qutaiba. Zusammen mit rund 2.000 anderen Menschen harren sie in den zu Deutschlands zeitweise größter Flüchtlingsnotunterkunft umfunktionierten Hangars aus und träumen davon, endlich anzukommen.

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Gegensätzliche Lebenswelten

Tür an Tür werden dabei Lebenswelten präsentiert, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Während draußen auf dem Tempelhofer Feld Touristen aus aller Welt feiern, Familien grillen, Jogger ihre Bahnen ziehen und Kinder auf Segways vorbeiflitzen, sitzen die Flughafenbewohner draußen auf Festzeltbänken und schauen dem Treiben meist stumm zu. Und blicken wehmütig zurück auf unbeschwerte Zeiten in ihren Herkunftsländern.

Die mit Trennwänden in den Hangars konstruierten Waben in einem der größten Gebäude der Welt sind eng, es gibt keine Türen, nur Vorhänge. Auf den Gängen stehen Feldbetten als Sofas, Menschen schlendern ausdruckslos die Gänge rauf und runter. Trotz der unvermeidlichen Tristesse ist es ein freundliches Bild, das Ainouz in seiner Dokumentation zeichnet: Ärzte, Dolmetscher und Sprachlehrer sind geduldig und verständnisvoll, die unterschiedlichen Bewohner scheinen gut miteinander auszukommen.

Ein Mikrokosmos für sich

Doch es bleibt ein Mikrokosmos für sich, von dem auch die meisten Berliner Bürger vermutlich wenig wissen. Der 1923 in Betrieb genommene und 2008 geschlossene, geschichtsträchtige Flughafen – erst Machtsymbol der Nazis, dann Freiheitssymbol durch die Luftbrücke – ist zur isolierten Flüchtlingsinsel in der Stadt geworden.

Auf die Wände gemalte rote und grüne Ampelmännchen oder das Brandenburger Tor deuten die nahe und doch ferne Außenwelt nur an. Eine Deutschlehrerin will mit einem Flüchtling Sätze üben wie: Der Mann muss Holz hacken und ein Feuer machen, damit die Frau etwas zu essen kochen kann. Dieser antwortet zu Recht: „Wir haben Elektrizität und Gas, wir brauchen das nicht.“

Film zeigt zähes Warten

Ainouz erzählt seinen Film Monat für Monat, auf den Sommer folgt der Herbst, dann der Winter. Das Tempelhofer Feld ist leer und schneebedeckt. In den Hangars steht die Zeit derweil still, jeder Tag scheint gleich monoton. Ibrahim denkt an seine Schulzeit in Syrien zurück, „die beste Zeit meines Lebens“, sagt er. Sechs Monate sollte er ursprünglich bleiben, es werden 15, seinen 19. Geburtstag feiert er in Tempelhof. Doch Ibrahim hat am Ende Glück: Er bekommt den offiziellen Flüchtlingsstatus, darf in ein Studentenwohnheim ziehen und einen Integrationskurs beginnen. Qutaiba bleibt zunächst weiter perspektivlos zurück.

Man kennt viele in „Zentralflughafen THF“ gezeigte beziehungsweise ähnliche Bilder aus TV-Dokumentationen und Nachrichten. So gesehen hätte der in Berlin lebende Ainouz seinen Film deutlich straffen können. Doch gerade diese vermeintliche Überlänge trägt dazu bei, dem Zuschauer eindrücklich vor Augen zu führen, wie für viele Flüchtlinge die Zeit verstreicht, ohne dass etwas passiert – und wie zäh das Warten in den Hangars ist. Einige wollten jetzt nach Kanada, heißt es am Ende des Films. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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