Das abgekaufte Grundrecht
Verfassungswidrige Rückkehrförderung
Die Politik vergibt seit einiger Zeit öffentlicher Gelder, um Menschen von der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Asyl abzuhalten. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Kritik an dieser Praxis gibt es trotzdem kaum. Von David Werdermann
Von David Werdermann Freitag, 19.01.2018, 6:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.01.2018, 19:04 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Berlin ist bekanntlich nicht nur Hauptstadt, sondern auch Hauptstadt der Demonstrationen. Um die 5.000 Versammlungen sollen jährlich stattfinden. Berlin ist arm, Polizeieinsätze sind teuer. Nehmen wir also an, die Stadt Berlin käme auf die Idee, die Anzahl der Versammlungen zu reduzieren, indem sie die finanzielle Unterstützung von politischen Initiativen von der Bedingung abhängig macht, dass diese im letzten Jahr zu keiner Versammlung aufgerufen haben. Der Aufschrei wäre zu Recht groß. Eine entsprechendes Vorgehen würde wohl ohne weiteres als evidenter Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit gebrandmarkt.
Anders bei der staatlichen Unterstützung für zurückkehrende Ausländerinnen und Ausländern. Hier bedient sich die Politik tatsächlich seit einiger Zeit der Vergabe öffentlicher Gelder, um Menschen von der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Asyl abzuhalten. Die Kritik ist jedoch erschreckend verhalten. Lediglich die üblichen Verdächtigen prangern das Vorgehen an: Die Linkspartei spricht von einem „schäbigen Versuch, Schutzsuchenden für ein Taschengeld den Zugang zu ihren Rechten abzukaufen“, Pro Asyl von „Grundrechten im Sonderangebot“ und vom „Rechtsstaat im Winterschlussverkauf“. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hält das Vorgehen immerhin für „ethisch fragwürdig“, verkennt jedoch die verfassungsrechtliche Dimension. Rechtswissenschaftliche Kritik sucht man vergeblich.
Bereits seit 1979 bzw. 1989 existiert das Bund-Länder-Programm REAG/GARP, das Rückkehrenden die Reisekosten, eine Reisebeihilfe und eine einmalige Starthilfe finanziert. So weit, so unproblematisch. Für Personen aus bestimmten Herkunftsländern gibt es jedoch seit Februar 2017 zusätzlich die sogenannte StarthilfePlus, bei der erstmals nach dem Aufenthaltsstatus unterschieden wird. Abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber sowie Personen, die trotz anerkannter Schutzberechtigung zurückkehren wollen, erhalten 800 Euro. Wer sich noch vor Abschluss des Asylverfahrens für eine Rückkehr entscheidet, erhält 1.200 Euro. Die Rücknahme des Asylantrags wird also mit zusätzlichen 400 Euro prämiert. Und hier beginnt das verfassungsrechtliche Problem.
Eingriffsgleiche Beeinträchtigung durch verhaltenssteuernde Zielsetzung
Bei der Rückkehrförderung handelt es sich um gewährende Staatstätigkeit. Auf den ersten Blick ist damit ein Eingriff in Grundrechte fern liegend. Der Eingriff bzw. sein funktionales Äquivalent ergibt sich indes aus dem mit der Zusatzprämie verfolgten Ziel: Asylbewerberinnen und -bewerber sollen motiviert werden, ihre Anträge zurückzunehmen. Die Antragstellung ist jedoch als Teil der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Asylrechts von Art. 16a GG geschützt.
Einschlägig ist in diesem Fall die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Tariftreueerklärung. Darin ging es um das Berliner Vergabegesetz, nach dem öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden sollen, die ihre Beschäftigten nach den jeweils geltenden Entgelttarifen entlohnten. Karlsruhe sah in der Regelung eine (gerechtfertigte) Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. Die funktionale Äquivalenz zum Eingriff ergab sich für das Bundesverfassungsgericht allein aus dem Zweck der Einflussnahme auf die Arbeitsbedingungen. Auf die Intensität der faktischen Beeinträchtigung kam es ihm daher nicht an. Anders als bei staatlichem Informationshandeln (Glykol, Osho) wurde auch nicht die zweifelhafte Figur der bloßen Beeinträchtigung bemüht, die zwar eine Verhältnismäßigkeitsprüfung aber keinen Vorbehalt des Gesetzes auslösen soll.
Für eine Rechtfertigung der eingriffsgleichen Beeinträchtigung des Asylrechts wäre daher ebenfalls eine gesetzliche Grundlage erforderlich, an der es jedoch hinsichtlich der Rückkehrförderung fehlt. § 75 Nr. 7 AufenthG enthält lediglich eine Aufgabenzuweisung und trifft keine Aussage über eine Zusatzprämien für die Asylantragsrücknahme. Doch selbst wenn eine gesetzliche Grundlage geschaffen würde, wäre die Prämie wohl verfassungswidrig, weil Art. 16a GG keinen Gesetzesvorbehalt kennt und die Schranken der Absätze 2 bis 4 nicht einschlägig sind.
Zeitdruck durch Befristung: Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen
Auch die vorübergehende Zusatzprämie, die das Innenministerium im Dezember 2017 ausgelobt hat, stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Wer sich bis zum 28. Februar für die Ausreise entscheidet, kann Sachleistungen im Wert von bis zu 1.000 Euro bekommen, Familien erhalten bis zu 3.000 Euro. Die Mittel sollen eine Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen darstellen, finanziert werden etwa Mietkosten und Baumaßnahmen.
Das Programm ist insofern unproblematisch, als dass die Unterstützung nicht höher ausfällt, wenn ein laufender Asylantrag zurückgenommen wird. Dass Ausreisewillige, die sich noch in einem laufenden Verfahren befinden, ihre Anträge bzw. Rechtsmittel zurücknehmen müssen, um überhaupt Unterstützung zu erhalten, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden: Die Rückkehrförderung verfehlt ihr legitimes Ziel, wenn der Empfänger oder die Empfängerin nicht ausreist bzw. trotz Rückkehr weiter das Ziel eines Aufenthalts in Deutschland verfolgt. Der Verzicht auf die Rechtsausübung ist in diesem Fall, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert, ein bloßer Reflex des nicht auf die Antragsrücknahme ausgerichteten Vergabekriteriums.
Eine problematische verhaltenssteuernde Wirkung ergibt sich jedoch aus der Befristung des Programms auf einen Antragszeitraum von drei Monaten. Dies schafft einen Anreiz für Asylsuchende, ihren Antrag noch vor Ablauf des Programms zurückzunehmen und nicht eine Entscheidung abzuwarten. Der Slogan des Programms („Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“) und Äußerungen des Innenministers in der Bild am Sonntag („Wenn Sie sich bis Ende Februar für eine freiwillige Rückkehr entscheiden, können Sie neben einer Starthilfe erstmals eine Wohnkostenhilfe für die ersten zwölf Monate in Ihrem Herkunftsland erhalten.“) deuten darauf hin, dass dieser Anreiz auch beabsichtigt ist.
Zuckerbrot und Peitsche nach McKinsey-Vorstellungen
Sowohl an der Zusatzprämie der StarthilfePlus als auch an der befristeten Unterstützung im Bereich Wohnen dürfte McKinsey einen nicht unwesentlichen Anteil haben. In der Ende 2016 verfassten Studie „Rückkehr – Prozesse und Optimierungspotenziale“ (Zusammenfassung hier) rechnen die Unternehmensberater der Bundesregierung vor, dass sich die Rückkehrförderung von damals durchschnittlich 700 Euro bereits ab einer Verkürzung des Aufenthalts um ein bis zwei Monate rentiere. Entsprechend wird vorgeschlagen, mit der Rückkehrberatung bereits in den Ankunftszentren zu beginnen. Die Förderung der „freiwilligen“ Ausreise wird als Teil eines „integrierten Rückkehrmanagements“ verstanden, das daneben die konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerberinnen und -bewerber sowie eine „restriktive Duldungsanwendung“ (gemeint sind verschiedene Schikanen gegen Ausreisepflichtige) beinhalten soll. Zur Peitsche gesellt sich Zuckerbrot.
Dass die grundrechtliche Kritik der Rückkehrförderung bisher weitgehend ausgeblieben ist, mag daran liegen, dass das vergleichsweise harmlose Zuckerbrot gar nicht mehr als Problem wahrgenommen wird, weil wir uns an die Peitschenhiebe gewöhnt haben. An seiner verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit liegt es jedenfalls nicht. Aktuell Meinung
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