Interview
Andreas Zick: Gegen AfD-Vorurteile eine kluge Zukunftspolitik setzen
Nach dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag ruft der Extremismusforscher Andreas Zick zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Partei auf. Im Bundestag werde sich die Kultur der Debatten verändern, sagt Zick im Gespräch. Es würden eine andere Sprache und mehr radikale Begriffe zu hören sein. Auf von der AfD geschürte Vorurteile sollte die Politik mit Aufklärung und einer klugen Zukunftspolitik reagieren.
Von Holger Spierig Dienstag, 26.09.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 26.09.2017, 15:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nachdem die AfD drittstärkste Kraft im Bundestag sein wird, erwarten Sie Veränderungen im Umgang mit der Partei?
Andreas Zick: Bisher ist von politischer Seite kein erkennbarer strategischer Umgang zu erkennen. Einen gesellschaftlichen Umgang gibt es dagegen schon länger. Fast alle Parteien, sogar die Linke, haben sich auf eine aggressive Rhetorik zum Thema Flüchtlingspolitik und Sicherheit eingelassen – in der Hoffnung, dass sie härter und solider als die AfD klingen. Die etablierten Parteien haben auf ihren Kredit als Etablierte gehofft und nicht ernst genommen, dass eine Partei wie die AfD mit ihren Angriffen so vielen Menschen das Gefühl geben kann, in einer Protestbewegung gegen die Eliten zu sein.
Die Stimmung in einigen Teilen der Bevölkerung, „jetzt mal wieder dran zu sein“, war schon lange vorhanden. Der monatelange Schaukampf um Themen wie Sicherheit und Flüchtlingskrise, selbst dann, wenn die Flüchtlingszahlen zurückgehen, hat gezeigt, wie tief gerade Spitzenpolitik in der Populismusfalle steckte. Insofern müssen wir abwarten, ob sich ein strategischer Umgang der Politik überhaupt entwickelt.
Repräsentiert die AfD mit ihrem polarisierenden Parolen große Teile der Bevölkerung?
Andreas Zick: Die Frage, inwieweit und ob die Partei die Bevölkerung repräsentiert, ist die eigentlich hoch interessante Frage. Politisches Personal suggeriert, Volkes Stimme zu repräsentieren. Aber nun steht die AfD vor dem Problem, dass drei von fünf ihrer Wähler sie nicht wegen ihres Programms oder der Kandidaten gewählt haben. Insofern repräsentieren die Abgeordneten zum großen Teil nicht das Volk, welches sie gewählt hat.
Die Zukunft der AfD wird davon abhängen, diesen Spagat zu meistern. Der Rückzug der Parteivorsitzenden Frauke Petry, die nicht der Bundestagsfraktion angehören will, ist symptomatisch. Das Gauland-Konzept, die Regierung zu „jagen“ und „unser Land und unser Volk“ zurückzuholen, wird nur für jene funktionieren, die sich als das Volk verstehen, wie es die AfD versteht.
Die AfD hat in ostdeutschen Bundesländern teilweise rund 20 Prozent erreicht. Vertieft sich der Graben zwischen Ost und West?
Andreas Zick: Entscheidend ist, worin genau der Graben besteht. Im Osten sind Missachtungserlebnisse, die aus negativen Vergleichen mit dem Westen und den „Wessis“ resultieren, stärker. Im Osten herrscht Studien zufolge auch ein größerer Wunsch nach autoritärer Politik. Dieser Wunsch ist durch einen Wahlkampf für Volk und Vaterland leichter in einen Protest umzuwandeln, wenn zugleich die Menschen meinen, die Kontrolle ginge der Politik verloren.
Wir haben im Jahr 2014 von einer fragilen und im Jahr 2016 von einer gespaltenen Mitte gesprochen mit Blick auf das Ausmaß an Demokratiemisstrauen und die Bedeutung menschenfeindlicher Stimmungen.
Wie sollte Politik darauf reagieren?
Andreas Zick: Politik könnte die Perspektive jetzt drehen und den Osten wieder als interessantes Feld der Demokratieentwicklung verstehen. Ich warne aber vor einer Fokussierung auf Ost und West. Die Gräben ziehen sich durch die Republik. Die Wahl ist ein Zeichen vieler Gräben, die zwischen vielen Parallelgesellschaften und Milieus liegen. Eventuell hat Politik in Teilen auch die Gesellschaft aus den Augen verloren.
Welche Wirkung wird der Einzug in den Bundestag für die AfD selbst haben? Wird sie sich Ihrer Einschätzung nach realpolitischer oder radikaler präsentieren?
Andreas Zick: In den Landtagen gibt es ja schon zahlreiche Beispiele, die eine Prognose zulassen könnten. Es gibt dort massive Distanzierungen, wie aber auch Zusammenarbeit vor allem im konservativen Lager. Die Themen der AfD in den Landtagen werden die Themen im Bundestag sein. Ich rate, sich die Themen und Anfragen mal anzusehen, und ich würde auch raten, die AfD mehr in der Verantwortung zu nehmen für das, was sie sagt.
Klar ist aber auch, dass eine eher ideologisch radikale Fraktion in den Bundestag einzieht, die bisher mehr ideologische Themen als Realpolitik vermittelt. Ebenso werden wir Reden im Bundestag hören, die von einer anderen Sprache und mit radikalen Begriffen und Symbolen geprägt sind. Nach unseren Studien neigen AfD-Sympathisanten eher zu Vorurteilen als Anhänger anderer Parteien. Das lässt sich nicht durch Ost-West oder Alt-Jung wegerklären. Insofern werden wir auch eine Politik der Vorurteile durch die Eliten der AfD erleben.
Was empfehlen Sie für eine angemessene Auseinandersetzung mit der AfD?
Andreas Zick: Zunächst ist die Partei demokratisch gewählt, und das heißt nun nicht, dass sie einen Freibrief hat, sondern ganz im Gegenteil: Wer demokratisch gewählt ist, muss sich auch demokratisch beteiligen und verhalten. Die Eliten der AfD nehmen auffällig selten das Wort Demokratie in den Mund. Ich bin aber kein Parteienberater, sondern Wissenschaftler. Ich rate zu einem aufgeklärten Forschergeist: Man muss fragen, welche Worte und Handlungen bestimmte Parolen zur Folge haben.
Man muss sich auch mehr einfallen lassen für eine Prävention gegen die weit verbreiteten Vorurteile und die Radikalisierung der Partei. Die AfD hat viele Menschen in Stereotypen und Vorurteilen gegenüber vermeintlich fremden und abweichenden Gruppen abgeholt. Das Schlimmste was jetzt passieren kann, ist eine Normverschiebung noch größeren Ausmaßes. Das heißt, ein Spiel mit Vorurteilen und Volksideologien, wo Aufklärung und kluge Zukunftspolitik nötig sind. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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