Buchtipp zum Wochenende

Das diffuse Gefühl namens Heimat

Jeder Mensch verbindet etwas anderes mit dem Begriff "Heimat". Für die einen ist es das heimische Essen, für die anderen die Landschaft, das Wetter oder der Dialekt. Drei Dinge aber braucht jeder, um sich heimisch zu fühlen.

Von Leonore Kratz Freitag, 28.07.2017, 4:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.07.2017, 17:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Für Nasmija Hasani ist klar, wo seine Heimat ist: In Hannover ist der 19-jährige Roma geboren, dort ging er in den Kindergarten und zur Schule. Doch als er mit elf Jahren in den Kosovo abgeschoben wird, muss er alles zurücklassen, was bisher sein Leben ausmacht. Hasani geht es schlecht, er muss Schwerstarbeit verrichten, um die Familie mitzuernähren. Er vermisst seine Heimat: Seine Freunde, deutsches Wetter, deutsches Essen. „Ich bin deutsch aufgewachsen, ich kannte nichts anderes“, erzählt der junge Mann.

Die Sehnsucht nach Heimat ist nach Ansicht des Jenaer Historikers Klaus Ries tief im Menschen verwurzelt. Er ist Mitherausgeber des Buchs „Heimat gestern und heute“, einem Sammelband mit Aufsätzen von Juristen, Biologen, Musikwissenschaftlern oder Theologen. Als Historiker sei er ursprünglich davon ausgegangen, dass der Begriff „Heimat“ einen Wandel erfahren habe, berichtet er – und zwar von einer juristischen Bezeichnung für Haus und Hof im Mittelalter und der frühen Neuzeit zu einem sentimentalen Gefühl in der Moderne. Die fächerübergreifende Forschung aber habe gezeigt: „Die Sehnsucht nach Heimat war über alle Zeiten da. Und sie war schon immer ein diffuses Gefühl.“

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Moderne heimatverbundene

In modernen heimatverbundenen Vereinen wollen selbst Zugezogene ihre neue Heimatstadt mitgestalten. Matthias Görn stammt ursprünglich aus Magdeburg, heute ist er Vorsitzender des „Freundeskreis Hannover“. Für ihn symbolisiert der Verein „nicht nur Heimatverliebtheit, sondern befasst sich mit der Frage: In welcher Stadt wollen wir leben?“, sagt er. Der Freundeskreis setzt sich für kulturelle und soziale Projekte ein, zeichnet bürgerliches Engagement aus und will der Stadt ein Gesicht geben. Er hat rund 1.500 Mitglieder, Tendenz steigend: Jedes Jahr gebe es etwa 100 neue Anmeldungen, sagt der Vorsitzende: „Daraus schließe ich, dass es einen Bedarf an Verortung gibt.“

Die Sehnsucht nach Heimat werde immer dann stärker, wenn die Welt unübersichtlich wird und Menschen sich unter Druck fühlen, erläutert Klaus Ries. „Es waren stets wichtige Krisen oder politisch-soziale Veränderungen, die den Heimatbegriff neu konturiert haben.“ Als Beispiel nennt Ries den Zeitraum von rund 1800 bis 1850, der von Aufständen wie der Französischen und der Märzrevolution geprägt war. Politisch Verfolgte waren gezwungen zu fliehen und wanderten beispielsweise in die USA aus. Für sie habe der Heimatbegriff eine große Rolle gespielt.

Info: Edoardo Costadura/Klaus Ries (Hg): Heimat gestern und heute. transcript-Verlag, Bielefeld 2016. 34,99 Euro.

Heimat im Nationalsozialismus

Auch um 1900 sei eine antistädtische, antimoderne Heimatbewegung entstanden, die sich gegen die Industrialisierung richtete. Die Nationalsozialisten hätten den Heimatbegriff schließlich instrumentalisiert, um Minderheiten auszuschließen. Danach blieb er lange Zeit negativ besetzt.

Jüngste Ängste vor Globalisierung, Digitalisierung oder Migration hätten das Thema wieder hochgespült und führten zu einer seltsamen Ambivalenz, sagt Ries: Zwar könne der moderne Mensch überall auf der Welt zu Hause sein, aber die Rückbesinnung auf Heimat, Identität und Regionales sei selten stärker gewesen.

Heimt muss kein Ort sein

Wobei es den Begriff „Heimat“ nur im Deutschen gebe, sagt der Historiker, und liefert gleich eine Erklärung mit: Schon seit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen sei Deutschland föderativ organisiert gewesen. „Die ganzen Fürstentümer und Grafschaften haben vielleicht dazu geführt, dass viel stärker in kleinen überschaubaren Größen gedacht wurde als etwa im großen zentralistischen Frankreich.“

Heimat muss jedoch nicht an einen Ort geknüpft sein, wie die Zwickauer Psychologin Beate Mitzscherlich betont. Zwar entwickle sich in der Kindheit das, was Menschen als Heimat wahrnehmen. „Frühe Prägung von geografischen und kulturellen Räumen, Sprachklang und Speisen ist wie eine Schablone, in die man spätere Umgebungen interpretiert.“

Drei Dinge für Heimat

Drei Dinge seien aber wichtig, um sich auf Dauer heimisch zu fühlen, fand die Wissenschaftlerin heraus. Allem voran eine gesicherte Existenz, also Nahrung, Kleidung und eine Wohnung. Zudem benötigten Menschen ein soziales Netzwerk, Freunde oder Familie. Und schließlich kommt etwas hinzu, das Mitzscherlich die „utopische Dimension von Heimat“ nennt: „Ich brauche für mich eine Begründung, warum ich gerade an diesem Ort gelandet bin.“

Nasmija Hasani hat im Kosovo jeden Tag an seine Heimat gedacht, erinnert er sich. „Ich habe mich gefragt: Wie sieht es da jetzt aus, hat sich was verändert?“ Nach vier Jahren durfte er 2013 zurück nach Hannover. Leicht sei die Rückkehr aber dennoch nicht gewesen, gesteht der 19-Jährige, der im Herbst eine Ausbildung als Berufskraftfahrer beginnt. Er habe sich verändert, an Leichtigkeit verloren. Aufgefangen wird er von seiner Freundin und seinem alten Freundeskreis: „Die haben mich nicht vergessen.“ (epd/mig) Aktuell Rezension

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