Fotos verhungernder Kinder

Der Biafrakrieg vor 50 Jahren prägte das mediale Bild Afrikas

Zwei Putsche, ein Krieg, Millionen verhungernde Menschen. Die Weltöffentlichkeit sah vor 50 Jahren entsetzt und machtlos dem Sterben in Biafra im Südosten Nigerias zu. Heute ist der Konflikt fast vergessen - aber er schwelt immer noch. Von Nils Sandrisser

Mittwoch, 12.07.2017, 4:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.07.2017, 18:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Dünne Beinchen tragen die ausgemergelten Körper, die Haut spannt sich über den Rippen und über den aufgedunsenen Bäuchen. Teilnahmslos blicken die hungernden Kinder in die Kameras der Welt, die sich vor 50 Jahren auf sie richten. Sie sind die Opfer des Biafra-Kriegs, der von 1967 bis 1970 in Nigeria wütet. Das „Biafra-Kind“ ist zu jener Zeit in allen Medien und wird zum Symbol für Elend und Chaos in der – wie man sie damals nennt – Dritten Welt.

Das Leid von Biafra spielt in einem Land, das wie eine Blaupause für die Probleme Afrikas wirkt. Die Briten hatten in ihrer Kolonie Nigeria viele Völker zusammengezwängt. Im Norden lebten vor allem Haussa und Ful, im Südwesten Yoruba und im Südosten Igbo. Ein Flickenteppich aus insgesamt mehr als 500 Ethnien. Zwar war dies nach Einschätzung des nigerianischen Wissenschaftlers Yusuf Baba-Gar nicht die eigentliche Ursache für den Biafra-Krieg. „Es wirkte aber wie Öl im Feuer“, sagt er. Baba-Gar arbeitet am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Berliner Humboldt-Universität und forscht zur Kultur der Haussa.

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Anfang 1966 putschten sich Igbo-Offiziere der nigerianischen Armee an die Macht. Ein Gegenputsch folgte im Juli, nun gaben die Haussa den Ton an im Staat. Bei zahlreichen Pogromen wurden etwa 30 000 Igbo getötet, viele andere flohen aus ganz Nigeria in ihr traditionelles Heimatgebiet im Südosten. Die neue Haussa-Regierung verordnete eine Gebietsreform, so dass die Wohngebiete der Igbo und die meisten Ölquellen auf unterschiedliche Bundesstaaten aufgeteilt wurden. Für die Igbo war das zu viel. Ihre Regierung unter General Chukwuemka Odumegwu Ojukwu rief am 31. Mai 1967 den unabhängigen Staat Biafra aus.

Der Krieg

Mit dem Einmarsch nigerianischer Regierungstruppen in Biafra im Juli begann der Krieg. Die zwar hochgerüstete, aber schlecht organisierte Regierungsarmee benötigte zweieinhalb Jahre, um die Aufständischen zu schlagen. Biafra kapitulierte erst nach einer humanitären Katastrophe. Die Schätzungen der Opferzahlen reichen von einer Million bis zu vier Millionen Toten. Die allermeisten Opfer starben jedoch nicht durch die Kämpfe, sondern verhungerten.

Bis heute ist nicht ganz klar, ob die Hungersnot eine ungewollte Folge des Kriegs war oder ob die nigerianische Regierung die Katastrophe herbeiführte, indem sie Lebensmittellieferungen nach Biafra blockierte. Auch der Wissenschaftler Baba-Gar kann das nicht sicher beantworten, sagt aber: „Ich glaube, der Krieg wurde nicht nur mit Waffen geführt.“ Nachdem die nigerianische Armee fast alle Häfen und Flugplätze erobert hatte, hatte sie die Mittel, um die Versorgung der Bevölkerung zu kappen.

Erdöl war wichtiger

Sowohl die USA als auch die UdSSR standen auf der Seite der nigerianischen Regierung und belieferten sie mit Waffen. Nur Frankreich unterstützte Biafra. Denn die französischsprachigen Staaten um Nigeria herum waren wirtschaftlich eher schwach, ein starkes Nigeria lag nicht in ihrem Interesse und auch nicht in dem ihrer Schutzmacht Frankreich. Die Vereinten Nationen entschieden sich gegen eine Intervention. „Das kann man als Desinteresse interpretieren“, sagt Baba-Gar. Das Erdöl sei den Großmächten wichtiger gewesen, und in einem nigerianischen Zentralstaat sei der Zugriff darauf leichter gewesen.

Am 15. Januar 1970 endete das Blutvergießen mit der Kapitulation Biafras. Viele befürchteten grausame Rache an den Igbo. Aber die Regierung verkündete: „Keine Sieger, keine Verlierer“. Igbo hatten aber auf viele Jahre hinaus keine Chance, in der Hierarchie von Verwaltung und Streitkräften aufzusteigen.

Regierung Nigerias nervös

In jüngster Zeit werden wieder Rufe nach einem unabhängigen Biafra laut. Denn vom Ölreichtum ihrer Heimat haben die Menschen dort immer noch nichts außer verdrecktem Land und Wasser, Krankheiten und Korruption. Die Bewegung „Indigenous People of Biafra“ (IPOB) ruft sogar wieder zum bewaffneten Kampf auf.

Die Regierung Nigerias ist nervös und geht brutal gegen Verdächtige vor. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) berichtet von massiven Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Mord durch Sicherheitskräfte. Seit August 2015 hätten nigerianische Polizisten und Soldaten rund 180 Menschen getötet und mehr als 1.200 verhaftet. „Der brutale Umgang von Nigerias Polizei und Armee mit Biafra-Aktivisten ist einer Demokratie nicht würdig“, sagt der GfbV-Experte Ulrich Delius. (epd/mig) Aktuell Ausland

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