Rita Süssmuth

Vordenkerin der Migrationspolitik wird 80 Jahre alt

Rita Süssmuth, ehemalige Bundesministerin und viele Jahre Präsidentin des Bundestages, wird 80. In ihrer Partei, der CDU, eckte sie oft an. Vor allem in der Migrationspolitik. Doch nicht nur hier war die Unionsfrau ihrer Zeit voraus.

Von Dirk Baas Freitag, 17.02.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.02.2017, 17:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sie hatte in den Medien schnell ihren inoffiziellen Namen weg: die Süssmuth-Kommission, ins Leben gerufen im Jahr 2000. Untrüglicher Hinweis darauf, wer der „Unabhängigen Kommission Zuwanderung“ das Gesicht verlieh. Deren Vorschläge für eine geregelte Einwanderung verteidigte sie gegen Anfeindungen jeglicher Couleur: Rita Süssmuth (CDU), ehemalige Professorin, Bundestagsabgeordnete, Ex-Ministerin und einstige Bundestagspräsidentin. Sie war die erste Frau der Union in diesem Amt. Am 17. Februar wird Rita Süssmuth 80 Jahre alt.

Die populäre Quereinsteigerin in die Politik bezeichnete sich selbst einmal als katholische Feministin. Sie eckte oft an in der Union. Nicht ohne Kalkül: Denn dabei schärfte sie ihr Profil als streitbare soziale Denkerin mit weitem Geist – und später als erklärte Gegnerin ihres einstigen Förderers Helmut Kohl.

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„Eine der markantesten Politikerinnen Deutschlands“

Andreas Grau von der Konrad-Adenauer-Stiftung nennt Süssmuth „eine der markantesten Politikerinnen Deutschlands“. Auch Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der Politik gelte sie noch als Inbegriff einer modernen Frauen- und Familienpolitik der CDU.

Rita Kickuth wird am 17. Februar 1937 in Wuppertal geboren, als zweites von fünf Kindern. Ihr Vater ist Rektor einer Volksschule, die Mutter arbeitet im elterlichen Uhren- und Schmuckgeschäft – und erzieht die Kinder im katholischen Geist. Auf ihrer Abiturfeier lernt sie ihren späteren Mann Hans Süssmuth kennen.

Vorsitzende der umstrittenen Zuwanderungskommission

Kickuth will zunächst Lehrerin werden, studiert Romanistik, Geschichte und Pädagogik an der Universität Münster. Es folgt ein Postgraduiertenstudium in Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie. 1971 wird sie Professorin für Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ruhr, später erste Direktorin des Forschungsinstituts „Frau und Gesellschaft“ in Hannover.

1981 tritt Süssmuth der CDU bei und wird nur zwei Jahre später Vorsitzende des Bundesfachausschusses Familienpolitik der Union, 1985 dann Bundesfamilienministerin. Sie führt das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub ein, erreicht einen höheren Kinderfreibetrag im Steuerrecht und die Anerkennung der Babyjahre in der Rentenberechnung.

Viele bringen die Frau mit dem dunklen Kurzhaarschopf und den auffälligen Brillen jedoch vor allem mit einem Posten in Verbindung: mit dem Vorsitz der heftig umstrittenen Zuwanderungskommission.

Kommission seiner Zeit voraus

Schon deren Einsetzung durch Innenminister Otto Schily (Grüne) sorgte für mächtig Unruhe im politischen Berlin. Die Besetzung des Chefpostens mit Süssmuth geriet vollends zum Paukenschlag: Dass sie den Job übernahm, sorgte für blankes Entsetzen in der Union. Die CDU/CSU lehnte die Mitarbeit strikt ab.

Die Kommission legte im Juli 2001 ihren Bericht vor. Kernaussage: Deutschland braucht schon aus arbeitsmarktpolitischen Gründen vor allem hoch qualifizierte Zuwanderer. Die Experten warben unter anderem für ein Punktesystem, über das Bewerber nach verschiedenen Kriterien wie etwa Alter, Sprachkenntnisse und Ausbildung ausgewählt werden sollten. Die Rede war von zunächst 50.000 Menschen jährlich.

Zudem plädierte die Kommission für bessere Integrationshilfen, die etwa als Sprach- und Orientierungskurse angeboten werden sollten. Es handele sich nicht um ein Zuwanderungsbegrenzungs-, sondern um ein Zuwanderungserweiterungskonzept, kritisierten die Unionspolitiker – und lehnten die Pläne ab.

Vom Zuwanderungsland zum Einwanderungsland

Über Kreuz mit ihrer Partei lag Süssmuth in schöner Regelmäßigkeit, so auch, als sie eine Frauenquote für die Union anregte. Ihr Auftreten als fortschrittlich denkende Sozialpolitikerin wurzelt in der katholischen Soziallehre: „Auch eine rein pragmatische Politik braucht eine Grundlage, auch sie muss wissen, wohin sie will, was ihr Ideal, was ihre Vision ist.“

Zum offenen Bruch mit Teilen der eigenen Partei kam es, als sie im Frühjahr 1988 massive Kritik am Unions-Entwurf des Beratungsgesetzes zum Abtreibungsparagrafen 218 im Strafgesetzbuch übte. Auch als Bundestagspräsidentin zwischen 1988 und 1998 hielt Süssmuth mit ihrer Meinung nur selten hinter dem Berg, etwa zu frauenpolitischen Fragen. Sie führte das Amt „mit einer schwer bekämpfbaren, stillen Ernsthaftigkeit und manchmal ätzend konsequent“, wie der verstorbene SPD-Politiker Peter Glotz einmal anerkennend bemerkte.

Dass sie einst beim Streitthema Zuwanderung die Konfrontation nicht scheute, hat sich aus ihrer heutigen Sicht sehr wohl gelohnt. Nach anfänglicher „Ablehnung und vielen Widerwärtigkeiten“ habe ein Umdenken eingesetzt, sagte Süssmuth rückblickend. Und sie schreibt in ihrem Buch „Das Gift des Politischen“ (2015): „Immerhin sind wir inzwischen vom gequälten Zuwanderungsland zum notwendig offenen Einwanderungsland geworden.“ (epds/mig) Feuilleton Leitartikel

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