Neue Gutachten stützen Mord-Hypothese

Wurde Oury Jalloh ermordet in Polizeigewahrsam?

Die Zweifel an der Selbstmordthese der Polizei werden im Fall Oury Jalloh zunehmend größer. Wie aktuelle Gutachten zeigen, ist Fremdbeteiligung wahrscheinlicher als Selbstmord.

Mittwoch, 28.10.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 28.10.2015, 15:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Drei neue Gutachten stützen nach Auffassung der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh die Hypothese, dass Dritte an dem Tod des Flüchtlings aus Sierra Leone beteiligt waren. Demnach sei es „eher wahrscheinlich“, dass Jalloh das Feuer in seiner Gefängniszelle vor gut zehn Jahren nicht selbst gelegt habe, sagte Thomas Ndindah von der Initiative am Dienstag in Berlin. Die Initiative hatte die Gutachten für rund 20.000 Euro bei Brandsachverständigen und einem Toxikologen aus London sowie einem Gerichtsmediziner aus Kanada in Auftrag gegeben.

Jalloh war am 7. Januar 2005 bei einem Brand in einer Gewahrsamszelle im sachsen-anhaltischen Dessau mit knapp drei Promille Alkohol im Blut und an eine Liege gefesselt ums Leben gekommen. Nach Darstellung der Polizei soll der damals 22-Jährige die Matratze mit einem Feuerzeug selbst entzündet haben.

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Die Gedenk-Initiative wirft Ermittlern und Justiz indes vor, die Ermittlungen zu behindern und Beweismittel zurückzuhalten. Ndindah sagte, die Ermittler seien von Beginn an von der Hypothese ausgegangen, Jalloh habe sich selbst angezündet. Anträge und Anfragen würden „nur sehr zögerlich, unvollständig oder gar nicht beantwortet“.

Der Brandsachverständige Iain Peck erklärte, es sei seiner Meinung nach wahrscheinlicher, „dass eine dritte Person das Feuer entzündet hat“. Dies könne durch Zerstörung und Entzündung der Matratze oder durch den Einsatz von Brandbeschleunigern geschehen sein.

Sein Gutachten deute darauf hin, dass ein Feuerzeug zur Zeit des Vorfalls „eher nicht in der Zelle gewesen sein kann“, sagte Peck. An Matratze und Leiche hätten sich keine geschmolzenen Plastikpartikel gefunden. Wie die anderen Sachverständigen stützte Peck seine Untersuchung auf Akten, Fotos und Videos vom Tatort. Den Zellentrakt durfte er nicht besichtigen.

Peck ergänzte, es sei durchaus möglich gewesen, dass zur Entzündung des Feuers Brandbeschleuniger verwendet wurden. Dass die Ermittler in der Zelle keine entsprechenden Rückstände gefunden hätten, sei kein Beweis dafür, dass es sie nicht gegeben habe. Aufgrund der langen Branddauer und der Heftigkeit des Feuers sei es vielmehr denkbar, dass die Rückstände vollständig verbrannt seien, sagte Peck. Auch Gerichtsmediziner Alfredo Walker schätzte den Einsatz von Brandbeschleunigern als möglich ein.

Peck erklärte, um die feuerfeste Matratze in der Zelle zu entzünden, hätte Jalloh ein sechs bis acht Zentimeter großes Loch in den Schaumstoff bohren müssen. „Es scheint doch sehr unwahrscheinlich, dass Herr Jalloh einen solch großen Schaden verursacht haben soll, wenn seine Hände fixiert waren und die wachhabenden Beamten ihn alle 30 Minuten überprüft haben“, sagte der Sachverständige. Außerdem monierte Peck das lückenhafte Material, das ihm für die Untersuchung zur Verfügung gestellt worden sei.

Nadine Saeed von der Gedenk-Initiative ergänzte, es habe bei den Ermittlungen viele Dinge gegeben, „die eigentlich Standard wären und hier nicht eingehalten wurden“. So fehlten von der Obduktion Bilder von Jallohs Atemwegen; statt der Luftröhre habe man der Initiative Bilder von Jallohs Speiseröhre zukommen lassen, sagte Saeed. Den Behörden zufolge starb Jalloh an einem Inhalationshitzeschock.

Der Fall Jalloh ist seit Jahren Gegenstand von Strafprozessen. 2014 bestätigte der Bundesgerichtshof in letzter Instanz die Verurteilung eines ehemaligen Dienstgruppenleiters der Polizei wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro. Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau prüft seit Anfang 2014 auf Antrag der Initiative, ob es weitere Ermittlungsansätze zum Grund für den Ausbruch des Feuers gibt. (epd/mig) Aktuell Politik

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