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Flüchtlinge in Ungarn (Symbolfoto) © By Photo: Gémes Sándor/SzomSzed [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Bis zur Donau und nicht weiter

Tausende Flüchtlinge stecken in Serbien fest und finden keinen Ausweg

Überall wird dieselbe Frage gestellt. "Wohin sollen wir gehen?" Doch niemand weiß es. Serbien ist eingeschlossen. Alle Grenzen sind dicht. Für die Flüchtenden gibt es kein vor oder zurück. Auch Aden aus Syrien wartet. Er möchte nach Deutschland, "weil Deutschland die Flüchtlinge liebt". Von Jörg Nielsen

Von Jörg Nielsen Dienstag, 22.09.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.09.2015, 23:25 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung baut der alte Afghane das kleine Iglu-Zelt zusammen, in dem seine Familie Unterschlupf gefunden hat. „Zum fünften Mal muss ich nun wieder umkehren“, sagt er und wendet sich ab. Wie er haben viele Hundert Menschen bei 38 Grad Hitze auf einer Brücke über die Donau nahe dem serbischen Bezdan zwei Tage lang ausgeharrt, um auf die anderen Flussseite nach Kroatien zu gelangen. Doch die kroatische Polizei hat das offenbar letzte Schlupfloch geschlossen. Ein quergestellter Bagger und Polizeifahrzeuge blockieren die Straße.

Nur wenige Tage zuvor waren hier noch Menschen von Serbien nach Kroatien gelangt. Eine junge Syrerin berichtet verzweifelt, dass ihr Mann mit den Kindern noch die Grenze passieren konnte, doch vor ihr schlossen sich die Tore. Die Flüchtlinge hatten bis dahin das Dreiländereck genutzt, um den ungarischen Stacheldrahtzaun zu Serbien zu umgehen. Über Ungarn weiter nach Österreich und schließlich nach Deutschland – eine gefährliche Route. Die ungarische Polizei nimmt Flüchtlinge fest und schickt sie zurück nach Serbien.

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Auch der 21-jährige Aden aus Syrien wartet auf der Brücke darauf, dass Kroatien den Grenzübergang wieder öffnet. Er ist vor sechs Monaten mit 200 anderen Flüchtlingen aufgebrochen. Ihr Weg führte sie durch die Türkei, Griechenland und Mazedonien bis nach Serbien. Mittlerweile ist die Gruppe auf rund 20 Männer, Frauen und Kinder geschrumpft. Von den 2.000 Euro, die er für die Reise hatte, ist nichts mehr übrig. „Aber das ist egal, ich kann laufen.“ Er wolle unbedingt nach Deutschland, „weil Deutschland die Flüchtlinge liebt“. Doch nun sitzt er vor der Grenze fest. „Ich will weiter und nicht hier sterben“, sagt er. „Sterben hätte ich auch zuhause in Syrien können.“

Die Flüchtlinge im Norden Serbiens sind verzweifelt. Die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Eritrea oder Nigeria irren im Grenzgebiet in kleinen und größeren Gruppen umher, suchen nach Wegen über die Grenze. Experten des Arbeiter Samariter Bundes (ASB) schätzen die Zahl der Flüchtlinge im Land auf rund 10.000. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Flüchtlingscamps mit Zelten und Duschcontainern nahe der ungarischen Grenze sind nahezu leer. Vor wenigen Tagen waren sie noch mit Tausenden Menschen voll belegt. Kommen die Menschen nicht über die Grenze, werden die Lager bald wieder gefüllt sein, sagte Tijana Laban (23), die beim serbischen ASB die Flüchtlinge betreut.

Der ASB errichtet bei Subotica gerade die einzige winterfeste Flüchtlingsunterkunft im Norden Serbiens mit 150 Plätzen. Finanziert wird der Bau mit Spendengeldern und mit Hilfe des deutschen Außenministeriums.

Wo immer Helfer des ASB oder anderer Hilfsorganisationen auftauchen, um Wasser zu verteilen, wird ihnen dieselbe Frage gestellt. „Wohin sollen wir gehen?“ Doch die Helfer wissen es auch nicht. Serbien ist eingeschlossen. Alle Nachbarstaaten haben die Grenzen geschlossen. Für die Flüchtenden gibt es kein vor oder zurück.

Vor einer alten Fabrik haben rund 250 Menschen Schutz vor der Sonne im Schatten von Bäumen gesucht. Unter ihnen ist eine syrische Mutter mit ihrem Neugeborenen. Sie habe das Kind vor zehn Tagen in der Türkei zur Welt gebracht, berichtet sie. Plötzlich taucht eine Schweizerin mit Landkarten auf. Nur wenig später geht ein Ruck durch die Menge, und der Treck zieht weiter.

Die Erfahrung hat die Menschen gelehrt, schnell zu laufen, wenn sich die Chance für einen Grenzübergang bietet. Sie wissen: Die Situation ändert sich hier nicht in Tagen, sondern binnen weniger Stunden. Viele sind barfuß oder mit zerschlissenen Schuhen unterwegs. Auch Menschen mit Gehhilfen und kleine Kinder, deutlich jünger als zehn Jahre, schultern ihre Taschen und schließen sich dem Zug an. (epd/mig) Leitartikel Politik

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