Der Fall: Dylann Roof
Über weiße Einzeltäter und muslimische Terroristen
Ein Weißer ermordet neun Afro-Amerikaner in South Carolina. Weder Medien noch Regierung sprechen von einem Terroranschlag, sondern von einem psychisch kranken Einzeltäter. Ein muslimischer Täter wäre sofort zum Terroristen erklärt worden. Von Paul Simon
Von Paul Simon Donnerstag, 25.06.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.06.2015, 17:14 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
In den USA droht es beinahe zu einem traurigen Ritual zu werden: Genau wie es mit beklemmender Regelmäßigkeit zu brutalen Amokläufen kommt, flammen danach die immer gleichen Debatten auf. Für einige Tage diskutiert dann das Land über eine Verschärfung der Waffengesetze – bis der Streit wieder einschläft und erst mit der nächsten Tragödie neu belebt wird.
Nach dem brutalen Anschlag von Dylann Roof auf einen Gebetskreis in Charleston, South Carolina, bei dem am 17. Juni neun Afro-Amerikaner ermordet wurden, unter ihnen auch eine Senatorin, stellten sich allerdings noch andere Fragen: Warum, verlangten viele zu wissen, sprachen weder Medien noch die Regierung von einem Terroranschlag? Ist dies Ausdruck der Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft, die dem weißen Attentäter seine Individualität zugesteht und den Grund seiner Tat in seinen psychischen Problemen erkennt, im muslimischen Gewalttäter aber sofort den Terroristen erblickt und damit einen Vertreter einer potenziell gefährlichen Gruppenidentität?
Es ist eine historische Wahrheit, die von vielen US-Amerikanern immer noch geleugnet wird, dass die Privilegien der weißen Mehrheit durch offene Terrorakte gefestigt wurden, gerade nach Abschaffung der Sklaverei und auch nach Abschaffung der Rassentrennung. Ob legal oder illegal, ob in Form eines Lnychmobs oder als „Polizeigewalt“, Terror und Gewaltverbrechen waren niemals nur Ausdruck eines irrationalen, persönlichen Hasses, sondern Teil einer politischen Strategie des Machterhaltes und der Einschüchterung. Es ist dieses Erbe, dass Dylann Roof bewusst antrat und das unter den Teppich gekehrt wird, wenn man seine Tat als Produkt einer kranken Psyche zu erklären versucht.
Der Anschlag von Charleston zwingt deshalb jetzt die amerikanische Gesellschaft dazu, sich der Frage zu stellen, ob der „War on Terror“ blind gegenüber rechtsextremen Terrorismus ist. Die Zahlen sprechen für sich: Seit dem Jahr 2002 hat der rechte Terror in den USA weitaus mehr Opfer gefordert als der islamistische – eine Zahl die wohl kaum mit dem Empfinden des durchschnittlichen Medienkonsumenten übereinstimmt. Während dann auch seit dem 11. September selbst gesetzestreue muslimische Organisationen ins Visier der Geheimdienste geraten sind, wurde die Gefahr des Rechtsextremismus seit der Hochzeit der militia-Bewegung in den 90er-Jahren lange unterschätzt – auch weil sich die etablierte Rechte immer wieder mit ihren extremistischen Rändern solidarisch erklärte. Der verstörende Vergleich zu Deutschland zwingt sich auf: Auch hier wurde etwa der Anschlagsplan der Sauerland-Gruppe dank umfassender Überwachung im Keim erstickt, während der NSU jahrelang vor den Augen des Verfassungsschutzes morden konnte.
Ein Polizei-Video zeigt, die Festnahme von Dylan Roof
Nun war Dylann Roof zwar nicht eingebunden in ein terroristisches Netzwerk, sondern offenbar ein Einzelgänger, der sich – diese Phrase kennt man – im Internet radikalisiert hatte. Aber das heißt nicht, dass seine Tat aus dem Nichts kam. Sie war vielmehr eingebettet in einen politischen Kontext, in dem seine persönliche Identitätskrise erst ihre Richtung fand. So schildert er es zumindest selbst einem bereits im Februar verfassten Manifest, das vor kurzem auf einer mit seinem Namen registrierten Website entdeckt wurde.
Er sei nicht rassistisch erzogen worden, schreibt er dort, sondern erst durch die Berichterstattung um den Fall Trayvon Martin auf die Bedeutung des Rassismus aufmerksam geworden. Trayvon Martin, der Teenager, welcher vor drei Jahren von George Zimmerman, Mitglied einer Bürgerwacht, erschossen wurde, war der erste einer Reihe von jungen Afro-Amerikanern, deren gewaltsamer Tod seitdem immer wieder die USA erschütterten und die Debatte über Polizeigewalt und Rassismus im Justizsystem neu entfachten.
Für Roof war die polarisierende Berichterstattung, die George Zimmerman für einen kurzen Moment zum Medienstar machte, die Einstiegsdroge in den Rassenhass. Es ist besorgniserregend, wie leicht es ihm daraufhin viel – dank des Internets – zum Rechtsextremisten zu werden: „[Der Fall Trayvon Martin] veranlasste mich dazu, die Worte „black on White crime“ in Google einzugeben,“ schreibt er dazu in seinem Manifest, „und das hat mich für immer verändert.“ Leitartikel Meinung
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