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Handy © Sascha Kohlmann @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Skandal!

Flüchtlinge haben Handys

"So schlecht kann es denen ja gar nicht gehen. Die laufen ja alle mit Handys herum." Bei so viel emotionaler Inkompetenz konnte ich nur mit den Augen rollen und ergriff das Wort. Von Oliver Hofmann

Von Oliver Hofmann Mittwoch, 17.06.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.06.2015, 16:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Es gibt Momente, da muss ich stark mit mir kämpfen, um nicht aus meiner Hose zu hüpfen. Gerade wenn es um Vorurteile und Ungerechtigkeiten geht, habe ich nicht immer die nötige Distanz, um ruhig zu bleiben. So auch neulich, als ich ein Gespräch mitverfolgen musste, bei dem sich die anwesenden Herren über die Flüchtlinge unterhielten, die im Moment ihr vorläufiges Lager in der Lüneburger Heide bezogen haben.

„So schlecht kann es denen ja gar nicht gehen“, hörte ich einen der Herren sagen. Ich wurde hellhörig und lauschte sehr aufmerksam der Begründung zu dieser These. „Die laufen ja alle mit Handys herum.“ Bei so viel emotionaler Inkompetenz konnte ich nur mit den Augen rollen und ergriff das Wort. „Ein Handy ist also für dich ein Symbol des Wohlstandes?“, wollte ich wissen. Er nickte und ich sah den Blick in seinem Gesicht, der fragte, warum ich mich jetzt in diese Unterhaltung einmischte. „Aha“, beantwortete ich sein Nicken und wandte mich ab. „Natürlich hat ein Handy mit Wohlstand zu tun“, rief er zu mir rüber. „Schließlich kann sich ja nicht jeder ein Handy leisten.“ Ich merkte, wie die Zornesröte in mir aufstieg und ich drehte mich erneut zu dem Stammtischpolitiker mit seinem populistischen Halbwissen.

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„Okay“, begann ich ganz ruhig. „Jetzt stell dir mal vor, dass diesen Menschen nur ihr Mobiltelefon geblieben ist. Viele der Flüchtlinge hatten vorher ein Haus, vielleicht sogar mit Garten. Sie hatten einen Job, Familie, ein Auto. Sie hatten einen Fernseher und einen Kühlschrank, ein eigenes Bett und vielleicht sogar ein Haustier. Aber das alles haben sie jetzt nicht mehr. Alles, was sie auf ihrer Flucht mitnehmen konnten, passt in eine Plastiktüte. Und das Handy ist der letzte seidene Faden, der sie noch mit den anderen Familienmitgliedern verbindet.“

Die anderen Männer der Runde sahen betreten auf den Boden und schwiegen. Mein Diskussionspartner allerdings brachte neue Argumente an. „Wenn sie so viel hatten, warum sind sie dann hierher gekommen und belasten unser Sozialsystem?“ Ich schüttelte den Kopf und überlegte mir kurz, ob es überhaupt einen Sinn machte, mit diesem Typen weiter zu diskutieren. Bevor ich bei dieser Frage auf eine Antwort kommen konnte, öffnete sich schon wieder mein Mund: „Weil in deren Ländern Krieg herrscht. Dort steht kaum noch ein Stein auf dem anderen, die Familien leben in Angst und Schrecken und müssen immer damit rechnen, erschossen, gefoltert oder versklavt zu werden.“ „Und deshalb müssen die zu uns in die Lüneburger Heide kommen“, fragt mein Gegenüber provokativ und patzig.

In diesem Augenblick schoss mir eine Zeile aus Grönemeyers Lied „Was soll das?“ durch meine grauen Windungen: „Meine Faust will unbedingt in sein Gesicht und darf nicht“.

Ich versuchte es noch einmal auf der emotionalen Ebene, um dem Menschen mit dem gefährlichen Gedankengut von seinem eingeschlagenen Weg abzubringen: „Stell dir vor, hier wäre Krieg. Alles liegt in Trümmern. Deine Frau und deine zwei Kinder sind hier nicht mehr sicher. Was würdest du tun?“ Er schaute mich mit einem verwirrten Gesichtsausdruck an: „Ich würde versuchen, sie in Sicherheit zu bringen.“ „Und wenn dein Auto zerstört wurde, die Infrastruktur zusammengebrochen ist und es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt?“ „Dann würde ich eben zu Fuß gehen“, kam es prompt. Er schien immer noch nicht zu wissen, worauf ich hinauswollte, also fuhr ich fort. „Aber dann könntest du nicht viel mitnehmen. Für was würdest du dich entscheiden?“ Er überlegte kurz und antwortete: „Meine Papiere, Ausweise und Urkunden, etwas Proviant und mein Handy, damit ich mit meiner Familie in Verbindung bleiben kann.“ Die letzten Worte kamen leise und langsam aus seinem Mund. „Siehst du, Beweisführung abgeschlossen. Und was würdest du sagen, wenn man dich dann als Kriegsflüchtling in einen Wohncontainer stecken würde, weit weg von den Einheimischen, weil du sie sonst belästigen könntest, und dann kommt einer und sagt, dass es dir ja gut geht, weil du ein Handy hast?“ Die Stille zeigte mir, dass die Nachricht angekommen war. Doch die Zufriedenheit, die sich wegen des gerade errungenen Sieges einstellte, wich sofort einer gewissen Angst. So wie er denken bestimmt viele.

Und jetzt kommen sie ins Spiel, meine lieben Leserinnen und Leser. Wenn sie auch solche Dummheiten in ihrem Umfeld hören, dann schreiten sie ein und diskutieren sie, bis auch der letzte versteht: die meisten Flüchtlinge würden viel lieber in ihrer Heimat wohnen. Und wenn sie jetzt sagen, sie wüssten nicht, was sie solchen Leuten entgegnen sollen – sie müssen sich nur in die Lage der Flüchtlinge versetzen. Dann werden ihnen die Argumente in solchen Zwiegesprächen sicher niemals ausgehen. Vielen Dank für Ihre Zivilcourage. Leitartikel Meinung

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  1. Achwas sagt:

    “Okay”, begann ich ganz ruhig. “Jetzt stell dir mal vor, dass diesen Menschen nur ihr Mobiltelefon geblieben ist. Viele der Flüchtlinge hatten vorher ein Haus, vielleicht sogar mit Garten. Sie hatten einen Job, Familie, ein Auto. Sie hatten einen Fernseher und einen Kühlschrank, ein eigenes Bett und vielleicht sogar ein Haustier.“

    Entschuldigung Leute, aber das hat mit ARMUT und NOT nichts zu tun. Not heißt, dass ich keine Schuhe habe. Armut heißt, dass ich zum Kohlenklau muss. Hunger heißt, dass ich sei Wochen nichts mehr zu essen habe.
    Wenn dem so wäre, wie da oben steht, müsste das Aufenthaltsrecht vieler Asylbewerber, die aus rein wirtschaftlichen Gründen hierherkommen, äußerst fragwürdig sein. Abgesehen davon ist es lächerlich, so zu tun, als würde man mit einem Mobiltelefon mal so Kontakt in ein Bürgerkriegsland aufrechterhalten können. Wenn einer ein Samsung Galaxy in der Hand hat, hat er das aller Wahrscheinlichkeit nach aus Europa; Kosten: 600, 700, 800 Euro. Das entspricht dem doppelten des Bruttoinlandsprodukts eines Bewohners von Gambia (411 US-Dollar) und dem Bruttoinlandsprodukt eines Senegalesen (910 Dollar). Ein entsprechendes Handy i s t ein Symbol des Wohlstandes. So dumm sind die Leute nicht, dass sie nicht rechnen können.

  2. jocos sagt:

    Ich bin zwar kein Flüchtling, habe aber auch ein Mobiltelephon („Handy“) (Smartphone), das ich von meiner Tochter geschenkt bekommen habe. Dieses benütze ich für die zahlreichen Funktionen und Applikationen, die damit möglich sind, außer für den ursprünglichen Zweck, das Telephonieren, da ich nur selten Gespräche führe und es mir zu teuer geworden ist, mein Konto immer wieder aufzuladen, ohne das Guthaben aufzubrauchen, sondern es verfallen zu lassen. Schließlich haben wir ja noch den Festnetzanschluß. Wer das Ding in meiner Hand sieht, könnte mich jedoch für „wohlhabend“ halten.

  3. Jonathan sagt:

    Gott, immer diese Reporter die nur darauf warten das über irgend ein Thema gehatet wird. Nur damit sie dann den dummen Menschen irgend einen bescheuerten Bericht reindrücken können. Und die sind natürlich alle so schlau und fressen was ihnen die Zeitung und der TV vorwirft. Was Reporter derzeit betreiben hat nichts mehr mit seriöser Arbeit zu tun. Entweder haben sie selbst nicht den geringsten Plan was ‚wirklich‘ auf der Welt passiert, oder sie wollen einfach nur als Werkzeug leben. Diese armen Asylanten, ja die sind ja so arm, denen muss man helfen. Aber die Menschen die sie herbringen in den Knast stecken. Die wirklich armen Menschen, die nicht einen Schwarztransporter mit 5000€ pro Kopf für die Überfahrt bezahlen können, ja was ist den mit denen. Hm die sind wohl noch da unten und verhungern. Danke Deutschland das du nur noch der Handlanger im Kriegstreiben von Amerika bist.
    Ich sage euch, informiert euch selbst. Und zwar richtig und ausführlich. Und dann kann man so etwas in der Zeitung schreiben. Wobei man einer Zeitung auch schon kein Wort mehr glauben kann. Als hätte das noch irgend etwas mit freiem Journalismus zu tun.

    Diese Flüchtlinge wären ganz sicher nicht lieber in ihrem Land. Den ihr Land ist kaputt. Dann frage ich mich warum ist es kaputt. Wer hat die Verantwortung dafür. Das gemeine Volk dort unten sicherlich nicht.

    Über den Tellerrand blicken, wäre ab 2015 schon mal angebracht.
    Danke

  4. Ahnungslos sagt:

    Mal zurück zu den Fakten… ein Smartphone (made in China) bekommt man – zumal in Afrika – für 30 €. Werden dort unter freiem Himmel auf jedem Wochenmarkt verkauft.
    Millionen von Afrikanern, die nur begrenzten Zugang zu sauberem Wasser haben und etwa ihre Wäsche und sich selbst in naheliegenden Flüssen waschen, besitzen Mobiltelefone und durchaus auch Smartphones – so von mir in Westafrika tausendfach beobachtet. Neupreis eines Schulbuchs (und man braucht ja deren mehrere) am selben Ort: 12 €, plus 2 € Fahrtkosten in die Nachbarstadt, da es im Dorf keine Buchhandlung gibt… aber das nur nebenbei.
    Fazit: Realitäten, die man nicht verstehen kann, sollte man auch nicht verhandeln.

  5. Florian Hirsch sagt:

    @Achwas

    Ein „Flüchtling“ der oder die ein Samsung Galaxy besitzt, ist möglicherweise gar kein Flüchtling, sondern sieht in ihren Augen blos so aus. Möglicherweise ist er*sie bereits ein Bürger wie Sie.

    Desweiteren gibt es auch Gebraucht-Galaxies.

    Das es unmöglich ist im Bürgerkriegsland zu telefonieren, bezweifel ich stark, ich war dort noch nie, aber zumindest sollte es möglich sein, eine Art Telefonzelle zu nutzen. Von der aus Verwandte die hinterlassene Nummer anrufen können. Ausserdem möchte man doch auch mit Mitflüchtlingen in Kontakt bleiben.

    an anderer Stelle heisst es im Text:

    “Wenn sie so viel hatten, warum sind sie dann hierher gekommen und belasten unser Sozialsystem?” Ich schüttelte den Kopf und überlegte mir kurz, ob es überhaupt einen Sinn machte, mit diesem Typen weiter zu diskutieren. Bevor ich bei dieser Frage auf eine Antwort kommen konnte, öffnete sich schon wieder mein Mund: “Weil in deren Ländern Krieg herrscht. Dort steht kaum noch ein Stein auf dem anderen, die Familien leben in Angst und Schrecken und müssen immer damit rechnen, erschossen, gefoltert oder versklavt zu werden.”

    Sie hatten zwar möglicherweise einigermaßen genug Besitz, müssen aber aus Angst ermordet und verfolgt zu werden, fliehen!

    Also setzen sie mal bitte ihre dunkelbraune Brille ab, dann können sie den Text besser erkennen! ;)

  6. Was zum Teufel sagt:

    @Achwas:

    In einem Land zu wohnen in dem Krieg herrscht und dieser jederzeit deine Heimatstadt treffen könnte ist keine Not?

  7. Der Don sagt:

    @Achwas:
    Ich könnte sehr viel dazu schreiben, da ich sehr viel in der Welt herum gekommen bin, Ich lass es, Leuten wie ihnen kann man mit den besten Argumenten und Beweisen kommen, es interessiert sie doch gar nicht. Sie haben eine vorgefasste Meinung und Basta. Saludos

  8. Achwas sagt:

    @Der Don @Florian Hirsch

    „Meinung und Basta. Saludos“ So hört sich der Weltbürger an.

    Welche Beweise und Argumente haben Sie denn angeführt? Welche Statistik? Gar keine. Nur das zählt. Alles andere ist Gewäsch. Ihre Argumentation folgt dem Strickmuster:

    1. sich selbst als kompetent hinstellen
    2. jemanden etwas unterstellen (nach dem Motto „der ist ja eh uneinsichtig“) („dunkelbraune Brille“)
    3. Behauptungen aufstellen, die niemand belegen noch widerlegen kann
    4. Von Beweisen und Argumenten reden, sie aber nicht konkret benennen
    5. Der Totschlagkommentar („Basta“)
    6. Pro und Contra existieren nicht (nach dem Motto: „alle nehmen Ihre Mobiltelefone aus Afghanistan und Syrien mit“, „eine andere Möglichkeit existiert nicht. Punkt.“)

    @Was zum Teufel 70% aller Asylbewerber sind weder politisch verfolgt noch Kriegsflüchtlinge. Also ist Ihre Frage rein akademischer Natur. Wie soll ich mit jemandem reden, der das nicht SEHEN WILL.

    SO ETWAS IST UNREDLICH!

    Fest steht, dass sich viele Hartz IVler und Asylanten THEORETISCH teure Handys l e i s t e n k ö n n t e n. Könnten sie das nicht, würde ich Ihnen recht geben. So erscheint mir der Artikel doch etwas krude. Soviel Ehrlichkeit muss schon sein. Wieso soll sich ein Asylbewerber mit öffentlicher Hilfe kein teures Handy und keine Markenkleidung leisten können? Geben Sie doch auf diese Frage eine Antwort. Meine Frage an Sie: Ist das theoretisch unmöglich?

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