Oslo & Utoya

Ziemlich fiese falsche Freunde

Drei Jahre nach dem Massaker Anders Breiviks in Oslo und Utoya ist in der alltäglichen Hetze gegen Muslime wieder Normalität eingekehrt. Um nicht als Faschisten dazustehen, gibt man sich unter Islamhassern gerne judenfreundlich. Aber nicht alle gehen den falschen Freunden auf den Leim.

Von Dienstag, 22.07.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.05.2015, 17:08 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Eine alte Börsenweisheit sagt: „Wenn dir der Taxifahrer Aktientipps gibt, ist es höchste Zeit, aus dem Markt auszusteigen!“ Auf eine Gesellschaft übertragen bedeutet dies, dass sich gefährliche Entwicklungen bereits etabliert haben und weiter forciert werden, um zu einem beliebigen Zeitpunkt zu explodieren.

Spätestens seit dem 11. September 2001 findet eine Stigmatisierung von vermeintlichen und echten Muslimen in den USA und Europa statt, die – wenig überraschend – gewisse Ähnlichkeiten mit der früheren Stigmatisierung von Juden hat, denn die Methodik ist die gleiche: So wie im Mittelalter die Juden als Brunnenvergifter denunziert wurden, um plötzlich auftretende Seuchen für die dann sich natürlich abzeichnende Verfolgung derer zu nutzen, so wird heute mehr oder weniger erfolgreich das Bild des Muslim als Terrorist etabliert, mindestens jedoch als gewalttätige Unperson, die das Ziel einer „Islamisierung“ verfolgt, um das – jüngst (seit 2001) entdeckte – „christlich-jüdische“ Abendland zu unterjochen.

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Einschlägige Internetseiten schütten dabei gierig Öl ins Feuer, indem sie hinter jeder Straftat sofort einen muslimischen Täter vermuten und dies verbreiten. Entpuppt sich in der Eile mangels Detailinformationen später der Täter als Nicht-Muslim, wird ersatzweise ein Migrationshintergrund aus unbeliebten Ländern gesucht – scheitert auch dies, wird die ursprüngliche Nachricht nicht dementiert, sondern stillschweigend als erledigt betrachtet.

Wohin diese Xenophobie führt, zeigt der nur vier Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center stattfindende Mord an dem aus Indien stammenden Balbir Singh Sodhi, der mit fünf Schüssen von Frank Silva Roque niedergestreckt wurde, der den Sikh wegen seiner dunkleren Hautfarbe und seinem Turban irrtümlich für einen Muslim gehalten hatte – oder dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik.

Dass sich diese von Rechtsextremisten und „Rechtspopulisten“ beabsichtigte Stigmatisierung durchgesetzt hat und nicht mehr hinterfragt wird, zeigt sich in der alltäglichen Berichterstattung der Medien: Schwarzafrikanische Flüchtlinge als Drogenhändler in Handschellen, kopftuchtragende Frauen mit Aldi-Tüten als Bild, wenn über die neuesten Arbeitslosenzahlen oder Sozialhilfebezieher berichtet wird, dunkelhaarige „Südländer“ wenn es um Gewaltkriminalität geht – und schließlich der „islami(sti)sche Terrorist“ als vermummter Bombenleger.

Politiker wie Horst Seehofer, die in ihren Reden „bis zur letzten Patrone“ die angebliche „Einwanderung in unsere Sozialsysteme verhindern“ wollen, verstärken diese verzerrte Wahrnehmung bewusst oder unbewusst durch stigmatisierende Vergleiche oder haltlose Beschuldigungen und bilanzieren: „Der Islam gehört nicht nach Europa“. Stichworte, die die Rechtspopulisten und die neue Bewegung der bürgerlichen PI-Nazis gerne aufgreifen und ihr eigenes Vokabular damit transportieren – „Sozialschmarotzer“ und „Islamisierung“ sind dabei noch die harmlosen Varianten. Im Stile von Julius Streichers Nazizeitung Der Stürmer werden dann südosteuropäische Migranten und Muslime auf neonazistisch-fundamentalchristlichen Internetseiten wie „Kreuznet“ und „PI-News“ genüsslich in zynischen Formulierungen abwertend „Fachkräfte“, „Kulturbereicherer“ und „Musel“ genannt. Angebliche „Parallelgesellschaften“ ersetzen dabei das Motiv vom „Staat im Staate“, die „jüdische Weltverschwörung“ wird transferiert in die Behauptung vom verschworenen Muslim, der sich demokratietauglich gibt, aber bei entsprechender Mehrheit sofort die Scharia als Grundgesetz einführen würde. Schließlich betreibe er als Berufslügner „Taquiya“, um dem Islam zur Weltherrschaft zu verhelfen. Auch die guten alten Blutschandevorwürfe sind in der süffisanten Vergewaltigungsdarstellung deutscher Frauen wieder zu finden – als sogenannte Opfer von „Bereicherung“.

Rassistische Parolen, die vor 20 Jahren nicht einmal Betrunkene am Stammtisch öffentlich zu sagen wagten, werden heute wie selbstverständlich als Wahrheiten verbreitet und, sollte es einmal sachten Widerstand geben, dieser sofort als staatlich verordnete Unterdrückung der „Meinungsfreiheit“ niedergebrüllt.

Dabei ist es für die meist virtuell im anonymen Internet agierenden Hassprediger natürlich sinnvoll, sich mit willigen Helfershelfern zu tarnen, um nicht in den Verdacht des Neonazismus‘ zu geraten. Dies gelingt am besten mit der einseitig oktroyierten Freundschaft zu Juden oder verbaler „Unterstützung“ des Staates Israel – und zu „Ex-Muslimen“. Juden werden gezielt vor den antimuslimischen Karren gespannt, um die xenophoben Ziele zu erreichen.

Israel unterhält sicherlich keine Kontakte zu gewaltpropagierenden „Widerstandskämpfern“ wie dem unter dem Pseudonym „Michael Mannheimer“ operierenden Karl-Michael Merkle, der bereits wegen Volksverhetzung einen Strafbefehl erhielt, jedoch gibt es auch tatsächlich Juden, die der Devise „Der Feind meines Feindes kann mein Freund sein“ folgen. Ebenso existieren Migranten, die berufliche und wirtschaftliche Vorteile aus einer fremdenfeindlichen Stimmung ziehen können.

Hamid Abdel-Samad erweckte in einer mittlerweile abgelaufenen TV-Serie für viele den Eindruck eines devoten und somit akzeptablen Pseudomuslims. Der ehemalige Bestsellerautor Akif Pirinçci, der seit Monaten pöbelnd mit seiner Fäkalsprache tourt und diese sogar Anfang April mit lächelnder Assistenz der erfahrenen Moderatorin Susanne Conrads im (auch von Migranten) beitragsfinanzierten ZDF einem Publikum darbieten durfte, versucht nach 20 Jahren Erfolglosigkeit aus der Versenkung Bücher zu verkaufen und mit einer Art Sarrazin-Strategie wieder ins gesellschaftliche Gespräch zu kommen.

Juden, deren Gemeinschaft in Europa seit Jahrhunderten von Christen verfolgt wurde, müssten diese gesellschaftlichen Entwicklungen ein Warnsignal sein. Denn der Antimuslimismus unterscheidet sich nicht wesentlich vom Antisemitismus: Stil und Methodik sind identisch, die Ziele ebenso – die „Endlösung“ von Minderheiten, die man auf die eine oder andere Weise herbeiführen will.

Der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZdJ), Stephan Kramer hat das schon lange erkannt und dies mit dem öffentlichen Schulterschluss mit seinem damaligen Pendant beim Zentralrat der Muslime nach dem rassistisch motivierten Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini im Jahr 2009 demonstriert.

Als Jude läuft man Gefahr, sich in einer falschen Sicherheit zu wiegen – der sich aufdrängende Typus von Freund, der noch vor 70 Jahren den Gashahn aufdrehte, unterscheidet sich nicht wirklich. Er beseitigt den ihm Fremden immer auf ähnliche Weise. Und zwar alle ihm Fremden. Leitartikel Meinung

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  1. Hakan sagt:

    Sehr geehrter Herr Abraham Goldstein,

    eigentlich schreibe ich keine Kommentare, aber – mit Ihrem sehr gelungenen Artikel – muss ich nun eine Lanze brechen.

    Ich fass mich kurz: Ein toller Beitrag!

    Die Frage, die sich mir sogleich aufdrängt – ist folgender: Wer profitiert hiervon? Und, weshalb werden Völker oder x-beliebige gegeneinander/aufeinander gehetzt. Wieso wird das Spiel nicht durchschaut?

    Jedes Mal wird eine andere sau durchs Dorf gejagt:
    – mal die Linken
    – mal die Rechten
    – mal die Juden
    – mal die Moslems
    – mal die Nazis
    – mal die etc….
    danach wiederholt sich dieselbe Prozedur von vorne – reloaded

    Das 1×1 des Militärs: Teile und Herrsche!

    beste Grüße
    Hakan

  2. Antje sagt:

    Lieber Herr Goldstein,

    Ihre Analyse ist exzellent! Der moderne Rassismus hat in der Tat weder etwas mit Hautfarbe noch mit Religion zu tun – er findet sich in alles Völkern und Ländern dieser Erde. Auch mir ist aufgefallen, daß Moslems bei uns mittlerweile für fast alles veranwtrotlich gemacht werden was nur irgendwie geht, selbst wenn sie damit gar nichst zu tun hatten. Es werden meiner Meinung sogar bewußt Legenden gestrickt, um sie zu diskrediieren, siehe die Zeitungsente zur Abschaffung vom St. Martins Fest in Kitas, die angeblich moslemische Eltern gefordert hätten!
    Es ist schade, daß nur wenige Juden wie Herr Kramer die tatsächliche Gefahr erkennen. Diese „PI-Nazis“ maskieren sich als der nette Nachbar von Nebenan und versuchen Menschen zu missionieren. Am Ende steht dann nur der Hass.
    Danke für Ihren Artikel!

  3. Gaston sagt:

    Gut auf den Punkt gebracht!
    Es ist Rassismus und es wird Zeit, daß wir endlich begreifen: Rassismus hat nichts mit der Hautfarbe zu tun – es ist Menschenhaß gegen Leute, die man als Fremde ansieht!