Gespräch mit Bülent Kiliç

„Das Leid der Syrer wird ignoriert!“

Syrien verliert immer mehr an medialer Aufmerksamkeit, obwohl das Blutvergießen größer ist als jemals zuvor. Es braucht humanitäre Hilfe. Nasreen Ahmadi sprach mit Dr. Bülent Kiliç, Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie. Für die Hilfsorganisation “Help Sans Frontières” reist er in die Türkei nahe der syrischen Grenze, um dort verletzte Syrier zu behandeln.

Von Freitag, 04.07.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.07.2014, 20:36 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

MiGAZIN: Sie reisen in die Türkei nahe der syrischen Grenze, um dort verletzte syrische Patienten zu behandeln. Wird das Leid in Syrien und den Nachbarländern hier in Deutschland ausreichend wahrgenommen?

Bülent Kılıç: In meinen Augen leider nicht. Die Situation der Menschen in Syrien und der Flüchtlinge in den Nachbarländern findet in den Medien aktuell kaum Beachtung. Aktuell sind die WM in Brasilien und der Konflikt in der Ukraine die führenden Themen in den Nachrichten. Dies ist sehr traurig, da das Leid der Menschen in Syrien unverändert andauert.

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Mit welchen Projekten und Leistungen haben Sie bisher versucht zu helfen und wie finanzieren sich Ihre Projekte?

Wir – “Help Sans Frontières e.V.” – sind ein gemeinnütziger Verein und versuchen uns weltweit in Krisengebieten zu engagieren. Zuletzt haben wir ein Projekt in Syrien gestartet, das wir „Mobile Praxis“ nennen. Wir kaufen mit Spendengeldern ausgemusterte Rettungswagen aus Deutschland und schicken diese voll beladen mit gespendeter medizinischer Ausstattung in die betroffenen Gebiete direkt in Syrien. Zuletzt haben wir im April dieses Jahres drei Rettungswagen Richtung Syrien losschicken können.

Aktuell läuft unsere Aktion „VAC-Pumpen“ und „Arthroskopie“. Ein großzügiger Orthopäde aus Braunschweig hat uns eine komplett ausgestattete Operationseinheit gespendet, mit dem wir in der Lage sind, Operationen an Gelenken durch eine Schlüssellochtechnik mit Kamera durchzuführen. Und für die Behandlung von chronischen Wunden, d.h. Wunden, die aufgrund von tiefen Infektionen nicht heilen können, haben wir mit Hilfe von Spendengeldern von der Firma KCI aus Deutschland sehr günstig Vakuumpumpen und Zubehör kaufen können, die für die langwierige Behandlung solcher Wunden von Nöten sind. Dafür sind wir sehr dankbar. Diese Pumpen und die Operationseinheit werden nächste Woche mit einem Rettungswagen in das Krankenhaus in Hatay/ Reyhanli nahe der syrischen Grenze gebracht, damit sie dort zum Einsatz kommen können.

Was hat Sie dazu bewegt den Entschluss zu fassen selbst aktiv zu werden und in ein Krankenhaus nahe der syrischen Grenze zu fahren? Das persönliche Risiko ist doch enorm…

Durch die Bekanntschaft mit Herrn Dr. Abu Obead, einem Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, und dessen Berichte über seine Einsätze sowohl direkt in Syrien als auch in dem Emel Krankenhaus in der Türkei waren für mich ausschlaggebend, vor Ort aktiv mitzuhelfen. Gerade die Bilder von Schwerstverletzten, mitunter von unschuldigen Kindern, haben mich – selber Vater von vier Kindern – dazu bewegt, noch aktiver als bisher zu werden und meine Fähigkeiten als Unfallchirurg den Menschen vor Ort zu Gute kommen zu lassen.

Wie erklären Sie sich, dass die humanitäre Katastrophe in Syrien mittlerweile so wenig öffentliche Aufmerksamkeit erfährt?

Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wird bestimmt durch die Berichterstattung der Medien. Der Bürgerkrieg in Syrien wird in den Medien leider nicht mehr thematisiert. Wenn mal über Syrien berichtet wird, dann beinhalten diese Nachrichten in erster Linie nur politische Themen. Das Leiden der Menschen in den umkämpften Gebieten und die Tatsache, dass ein großer Teil auf der Flucht ist und unter katastrophalen Bedingungen leben muss, genau diese Fakten werden nicht mehr thematisiert. Die Aufmerksamkeit der Bürger richtet sich in erster Linie auf die Themen, die ihnen von den Medien präsentiert werden – die humanitäre Katastrophe in Syrien gehört leider nicht dazu.

Welche Erfahrung haben Sie bisher mit der Türkei gemacht hinsichtlich der Entwicklungszusammenarbeit?

Für den Transport der medizinischen Hilfsmittel über die Grenzen stehen wir in engem Kontakt mit der türkischen Botschaft. Bisher haben wir keine Probleme bei der Zusammenarbeit gehabt.

Wie sieht die humanitäre Lage in der Türkei aus – und was erwartet die syrischen Flüchtlinge dort?

Spenden an:
HSF Help sans Frontieres e.V
IBAN: DE97 100500000190157399
BIC: BELADEBEXXX
Landesbank Berlin – Berliner Sparkasse
Betreff: VAC-Pumpen

Laut den mir vorliegenden Informationen befinden sich mittlerweile mehr als 1 Million Flüchtlinge in der Türkei und es werden immer mehr. Das ist eine sehr große Zahl, wenn man bedenkt, dass Deutschland bisher 10000 Flüchtlinge aufgenommen hat bzw. aufnehmen will. Zu den Bedingungen in den Flüchtlingslagern kann ich Ihnen nichts sagen. Was die medizinische Versorgung angeht weiß ich, dass syrische Flüchtlinge, die registriert sind, in türkischen Krankenhäusern kostenlos behandelt werden. Ich kann mir vorstellen, dass durch den unerwartet hohen Ansturm von Flüchtlingen in kurzer Zeit und durch die begrenzten Kapazitäten in den Krankenhäusern vor Ort nur eine notdürftige medizinische Versorgung erfolgt.

Der Kontrast zwischen den Krankenhäusern hier und dort ist sehr stark. Wie gehen die Ärzte mit diesen Unterschieden um und wie versuchen sie diese zu lösen?

Wir versuchen mit den begrenzten Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, für die Patienten das beste Ergebnis zu erreichen. Durch unseren Einsatz vor Ort wissen wir, was für die Versorgung dringend gebraucht wird. Wir erklären und schildern den Menschen in Deutschland die Situation der Betroffenen vor Ort. Mit Bildern zeigen wir, was für schlimme Verletzungen die Menschen durch den Krieg erlitten haben und wie wir versuchen, diesen zu helfen. Damit wollen wir die Menschen bewegen, uns aktiv durch Geld- und Sachspenden zu unterstützen. Aktuell Interview

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