Migration global

Jarmouk – Die Erde ist zu eng für palästinensische Flüchtlinge

Im Flüchtlingslager Jarmouk, einem Stadtteil von Damaskus, erleben die palästinensischen Bewohner ihr Schicksal wiederholt. Sie begegnen uns in den Fernsehbildern ausgehungert und dem Sterben nah in den Trümmern ihrer einstigen Häuser im syrischen Exil. Doch Wunsch und Wille zur Rückkehr nach Palästina trägt sie über das Elend hinweg.

Von Helga Suleiman Donnerstag, 27.03.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.03.2014, 22:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Denn alle wissen: Die Ursache ihrer Flüchtlingstragödien liegt in den Jahren 1947/48. 730 000 Indigene wurden damals über kolonialistische Landnahme durch israelische Paramilitärs vertrieben. Mehr als 70 000 flohen nach Syrien. Mit dem Krieg von 1967 folgten weitere 300 000.

Der berühmte Poet Mahmoud Darwish fand Worte, die beschreiben konnten, was diese größte Flüchtlingsgruppe der Welt erlebt und erlitten hat. Von den heute neun bis zehn Millionen Menschen palästinensischer Identität sind über zwei Drittel Flüchtlinge. Viele unter ihnen mussten mehrmals flüchten.

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Die Erde wird zu eng für uns, zwängt uns in den letzten Durchgang,
wir reißen unsere Glieder ab, um hindurchzugelangen…

Wie jetzt wieder aus Syrien. Die bis zuletzt in Jarmouk Verbliebenen konnten sich schlichtweg keine Flucht leisten. Die Mittel fehlten, – wer weder über Gut noch Geld verfügte, konnte den letzten Durchgang nicht mehr schaffen und musste bleiben.
Im Laufe der Kriegshandlungen haben zudem viele PalästinenserInnen aus anderen syrischen Lagern Zuflucht in Jarmouk gesucht. Blockaden, Belagerung und zahllose Strassensperren führten für die Bewohner eine Hungersnot herbei, die über den Bericht von medico international erst vor kurzem die Weltöffentlichkeit erreichte. Unter den Bombardements und Straßenkämpfen ernährten sich die Übriggebliebenen nur mehr vom Gras, das der Krieg übriggelassen hatte. Zum Sterben genug, zum Leben zu wenig.

Wo schlafen nach dem letzten Luftzug die Pflanzen…

Wenn sie gehen könnten, wer würde sie aufnehmen? Der libanesische Staat, bereits Beherberger großer palästinensischer Flüchtlingslager verlangt Visa (wer will die in Syrien ausstellen?) und vergibt, wenn überhaupt, Aufenthaltsgenehmigungen nur begrenzt. Dem jordanischen König Abdullah ist ihre Lage gleichgültig, daran ändert auch die scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch nichts. Das jordanische Militär hindert sie am Einreisen, „illegale“ Flüchtlinge werden inhaftiert, auch von Deportationen aus dem Landesinneren wird berichtet. Jene 10.000, die es nach Jordanien geschafft haben, werden gegenüber anderen Flüchtlingen benachteiligt.

Wohin sollen wir gehen nach den letzten Grenzen, wo sollen die Vögel fliegen nach dem letzten Himmel…

Die Regierungen beider Staaten befürchten, dass die Flüchtlinge bleiben könnten. Denn es gibt bis heute keine Gerechtigkeit, keinen Frieden und damit keine Aussicht auf Verwirklichung des Rechts auf Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete und Dörfer im heutigen Israel.

Wir weinten über das Fest ihrer Kinder. Und sahen Gesichter, von denen unsere Kinder aus den letzten Fenstern dieser Weite geworfen werden…

Auch die Türkei verlangt von den palästinensischen Flüchtlingen Visa.
Nicht zu reden von der EU, die nach langer Weigerung überhaupt Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, nur eine Minderzahl akzeptiert. Jene palästinensischer Herkunft sind nicht einmal einer Erwähnung wert. Die EU spezialisiert sich vielmehr darauf, tote Flüchtlinge aus dem Mittelmeer mit traurigen Reden zu umkränzen, während sie Unmengen von Mitteln in die Militarisierung der Mittelmeergrenzen steckt.

Das einzige Land, welches bis zum Militärputsch von General Sisi palästinensische Flüchtlinge aus Syrien aufnahm, war Ägypten. Doch auch dieser Weg ist jetzt versperrt und ebenso unmöglich ist es nach Gaza zu gelangen, der einzigen Rettungsinsel im Meer der Rücksichtslosigkeit; – dort, wo die Einwohner selbst gerade noch ein bisschen mehr als nur zum Überleben haben: Nahrung, medizinische Grundversorgung, ein Platz zum Schlafen.

Wären wir Bilder, für die Felsen, die unser Traum tragen würde…

Bis Ende Februar 2014 sind 2081 PalästinenserInnen in Syrien getötet worden. In Jarmouk waren es 848 Flüchtlinge, in Daraa und Al Hosseiynia 599. Eine Gruppe junger Leute singt dennoch zu den Klängen eines halbkaputten Pianos ein Lied, das alle Vertriebenen zur Rückkehr auffordert.

Hier oder hier wird einen Ölbaum pflanzen…

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  1. Maria sagt:

    Endlich greift jemand die vergessenen Flüchtlinge auf! Ich habe erschüttert die Bilder der dem Hungertod nahen PalästinenserInnen im Fernsehen gesehen und über die ersten Hungertoten in den Lagern Yarmouk und Darra gelesen. Das palästinensische Volk musste schon sehr viel Leid in seiner Geschichte erleiden: Vertreibung, Landraub, Krieg, wirtschaftkiche Strangulierung, und vieles mehr. Nun auch noch den Hungertod! Wann wird es endlich Gerechtigkeit für das palästinensische Volk geben!