Buchtipp zum Wochenende

Restaurant Dalmatia – Der Mut zum Träumen an sich

Die Geschichtensammlerin Jagoda Marinić hat ihren neuesten Roman "Restaurant Dalmatia" veröffentlicht. Das MiGAZIN sprach mit ihr über ihr Buch, über ein erfüllendes Leben und über eine Minderheit in Deutschland, deren Geschichten kaum jemand kennt.

Von Freitag, 08.11.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.11.2013, 22:15 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

MiGAZIN: Ihr Buch handelt von einer Fotografin namens Mia, Kind kroatischer Eltern, die nach Identität sucht. Wieviel Jogoda Marinić steckt in dieser Hauptfigur?

Jagoda Marinić: Natürlich stecke ich in allem, was ich tue. Voll und ganz. Also auch in Restaurant Dalmatia. Aber erzählen tue ich hier die Geschichte von Mia Markovich. Sie ist eine Romanheldin, wie sie es in der deutschen Gegenwartsliteratur nicht oft gibt: Ein erfolgreiche Fotografin mit Wurzeln in Jugoslawien, Kroatien und Deutschland, die nun in Toronto lebt und arbeitet. Als sie einen der wichtigsten Preise der dortigen Fotowelt erhält, bringt das plötzlich alles in ihr ins Wanken…. Wieso ich? Wieso hier? Und wieso sind die, die ich so liebte, nie dabei? Die Anerkennung als Künstlerin, der Platz, den ihr ihre neue Welt gibt, macht ihr mit einem Schlag klar, was es heißt, in einem Einwanderungsland zu leben: „Du kriegst auch als Neue Deinen Platz“. Ihre Familie hat es in Deutschland in vier Jahrzehnten nicht geschafft, sich einen Platz zu erobern oder zu erhalten, der öffentlich anerkannt wird… Sicher, das ist auch die wurmende Frage in Mia: Hätte ich als in Deutschland Geborene dieses Leben und diese Anerkennung je so in Deutschland erlebt? Hätte ich mein Talent hier ausleben dürfen und wäre auf dieselbe Art ernstgenommen worden oder wäre ich immer das Gastarbeiterkind geblieben? Sie will also wissen, was es für jeden Einzelnen bedeutet, wie ein Land sich zu seiner Einwanderungsgeschichte positioniert…. Sie fliegt also für zwei Wochen nach Berlin, ihre Familie ist inzwischen zurück nach Kroatien, sie will wissen, „was in Deutschland von uns geblieben ist“… denn was erzählen sich Deutschland und Berlin über die Einwanderer? Erzählen sie überhaupt etwas?

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MiGAZIN: Welche Rolle spielt in Ihrem Roman das Motiv Sehnsucht nach Vergangenheit und Herkunft?

Marinić: Der Roman ist ein Zusammentreffen von Menschen, die alle ihr erstes Land verlassen haben. Die Markovichs kamen aus Dalmatien, Jesus aus Spanien und Mia ging nach Toronto. Zwar aus unterschiedlichen Gründen, zu unterschiedlichen Zeiten, aber das Gehen war Teil all dieser Leben. Sehnsucht spielt für Menschen, die gehen, immer eine große Rolle, sie geht so weit, dass man sich aus dem eigentlichen Leben wegsehnen kann. Daher spielt Sehnsucht in dem Roman eine große Rolle… Diese Sehnsucht ist aber nur in der Generation, die wirklich noch eine Heimat in der Heimat hatte, eine Sehnsucht nach Vergangenheit, nach dem Ort, den man hatte. Das gilt also auch für Mias Eltern und die Restaurantbesitzerin Zora. Für Mia, die ja zu meiner Generation gehört, ist es die Sehsucht nach dem Ort, den sie nie hatte, die Sehnsucht nach einem Gefühl, einer Erfahrung. Es ist beides auf seine Art kreativ: die einen verträumen ihre Vergangenheit, die anderen erträumen eine Zukunft. Manche verträumen sie dadurch auch. Ich wollte dieses Gefühl in Einwanderern und Auswandererfamilien jedoch vor allem auch als Motor zeigen, und Kraftquelle… meist wird es ja als Passivität oder Nostalgie gedeutet, es ist aber mehr. Es ist der Mut zum Traum von einem besseren Leben. Der Mut zum Träumen an sich.

MiGAZIN: Wieso haben Sie Westberlin als Schauplatz Ihres neuen Romans „Restaurant Dalmatia“ gewählt?

Marinić: Weil ich einen Roman über Deutschland schreiben wollte. Und weil es ein echtes Restaurant gibt, das genau so heißt und genau dort liegt… Es wird immer wieder von Wenderomamen gesprochen, so ein Roman wird oft eingefordert von uns Autoren. Gleichzeitig fragt kaum jemand danach, wie die deutschen Einwanderer diese Zeit erlebt haben. Gerade für Menschen aus dem damaligen Jugoslawien war das eine extreme Zeit: Hier, vor Ort, wächst ein Land wieder zusammen, und dort, wo man mental und mit dem Herzen auch ist, zerfällt ein Land, ohne dass sie dabei wären. An diesem vereinigenden Punkt der deutschen Geschichte zog es viele Ex-Jugoslawen mental in einen Bürgerkrieg, bei dem sie nur Beobachter waren und zugleich unmittelbar Betroffene. Die Jugoslawen waren damals eine der größten Minderheiten Deutschlands, ihre Sicht auf diese Zeit wurde bisher aber kaum erzählt: Wie erlebt eine Familie in Deutschland die Wendezeit, wenn sie seelisch von einem sich anbahnenden Bürgerkrieg absorbiert wird… Als ich selbst in Nordamerika war, wurde ich immer wieder danach gefragt, wie sich dieser Krieg in Europa auf Europa ausgewirkt hat. Seltsam, in Deutschland fragt mich das keiner, dachte ich, weil es für Deutschland der Balkan war. Es war aber hier. Allein durch die Einwanderer war es mittendrin. Ich habe mit Roman ein Lücke schließen wollen.

MiGAZIN: In Ihrem Roman stellen Sie die Frage nach einem erfüllenden Leben: Was gehört zu einem solchen Leben dazu?

Marinić: Diese Frage ist nun einmal die große Frage in einem Land, in dem materiell alles da ist. In Einwandererfamilien wird diese Frage besonders spannend, weil der Wandel von einer Generation zu nächsten im Zeitraffer verlief, daher extrem ist. Was für die erste Generation Einwanderer existenziell war und was es für ihre Kinder ist, das passt kaum in ein Wohnzimmer und trotzdem sitzen diese Familien immer wieder am Esstisch mit diesen gänzlich anderen Ambitionen für ein Leben. Für die Einwanderer sind die Fragen ihrer deutschen Kinder doch oft fast Luxus. Diese Situation fasziniert mich natürlich auch als Frage für einen Roman: Mias Eltern sind ausgewandert, um zu überleben. Um sich einen Lebensstandard zu erarbeiten, den sie für ihre Familie wollten. Und wenn sie diesen Standard dann erreicht haben…dann haben sie ihn und die Kinder driften auf und davon, nicht nur geographisch. Für Mia verändert sich die existenzielle Frage von wie kann ich überleben zu wie will ich leben. Ein Leben zu gestalten, ihm Sinn zu geben, gerade in Anbetracht der zahllosen Wahlmöglichkeiten könnte es doch bedeutungslos werden. Im letzten Gespräch mit Zora, die fast erleichtert ist, dass ihre Generation ums Überleben kämpfte, was Sinn an sich gibt, findet Mia einen mögliche Antwort für die Frage, ob sie ihr Leben lebt oder nur irgendeins: „Du brauchst einen Anker“, sagt Zora zu ihr. „Du kannst dich neu erfinden, aber nur mit dem Stoff, den du zur Verfügung hast“. Besonders gefreut hat mich, dass Zlatan Ibrahimovic in seinem großen, respektlosen SPIEGEL-Interview zum selben Ergebnis kam wie mein Roman, also ein Fußballer mit Migrationsgeschichte, meine Mia und letztlich ich plädieren gegen diese Gleichmacherei von Persönlichkeiten, die falsch verstandene Integration manchmal auch mit sich bringen kann, wenn sie die Lebensgeschichten von Menschen außer Acht lässt. Nur, wenn wir wissen, aus welchem Stoff wir wirklich sind, können wir die Welt verändern. Und viel weiter unten wollen wir doch gar nicht erst ansetzen, als Kinder von Bessre-Welten-Träumern. Aktuell Rezension

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