SVR-Studie
1,8 Millionen Ausländer würden zur Wahl gehen, wenn sie wählen dürften
Zuwanderer aus Drittstaaten bergen ein großes Wählerpotenzial: Etwa jeder Zweite würde sich beteiligen – wenn er denn das Wahlrecht hätte. Das entspricht 1,8 Millionen potenziellen Wählern. Das zeigt eine Untersuchung des SVR- Forschungsbereichs.
Freitag, 16.08.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Jeder zweite Ausländer aus einem Drittstaat (Nicht-EU-Staat) äußert eine Wahlabsicht bei Bundestagswahlen, vorausgesetzt er hätte das Wahlrecht. Das entspricht 1,8 Millionen potenziellen Wählern, die von den politischen Parteien mobilisiert werden könnten. Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen erfüllt bereits jetzt die Voraussetzungen zur Einbürgerung. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). „Dieses große Wählerpotenzial unter Zuwanderern aus Drittstaaten sollte zukünftig ausgeschöpft werden“, sagte der Leiter des SVR-Forschungsbereichs Dr. Jan Schneider.
Die Untersuchung zeigt zudem, dass vor allem gut integrierte Zuwanderer aus Drittstaaten den Wunsch äußern, zur Wahl zu gehen. Voraussetzung hierfür ist eine Einbürgerung, da Ausländer aus Drittstaaten in Deutschland kein Wahlrecht haben. Doch obwohl 65 Prozent der Befragten die wesentlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen, möchte nur ein kleiner Teil (17 %) auch tatsächlich den deutschen Pass haben. „Der SVR- Forschungsbereich empfiehlt daher, verstärkt für Einbürgerung zu werben und den Wert der deutschen Staatsangehörigkeit und des Wahlrechts deutlicher herauszustellen“, sagte Schneider. Umgekehrt gelte, dass Zuwanderer, die sich politisch beteiligen möchten und die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen, diese auch beantragen sollten.
Mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund erwünscht
Für die Untersuchung des SVR-Forschungsbereichs wurde eine Sonderauswertung des Immigrant Citizens Survey (ICS) Germany durchgeführt, für den in Deutschland rund 1.000 Zuwanderer aus Drittstaaten befragt wurden. Der Policy Brief des SVR-Forschungsbereichs wurde von der Stiftung Mercator gefördert. Damit liegt erstmals eine Untersuchung zur Wahlbereitschaft von nicht eingebürgerten Drittstaatsangehörigen und ihren Motiven vor.
Ein weiteres zentrales Ergebnis der Untersuchung ist der breit geäußerte Wunsch der Zuwanderer nach einer stärkeren parlamentarischen Repräsentation: Zwei Drittel der in Deutschland lebenden Drittstaatsangehörigen wünschen sich mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Bundestag. Zur Begründung geben drei Viertel der Befragten an, dass sie sich von Volksvertretern mit Migrationshintergrund besser verstanden fühlen; fast zwei Drittel sehen ihre Interessen durch Zuwanderer besser vertreten.
Migranten deutlich unterrepräsentiert
„Die Parteien sollten den klaren Wunsch nach mehr Abgeordneten mit Migrationshintergrund ernst nehmen. Außerdem sind sie gut beraten, die Anliegen und Problemlagen von Zuwanderern ernst zu nehmen und stärker zu berücksichtigen“, sagte Schneider. Wie die Auswertung zeigt, fühlen sich 21 Prozent der Befragten von keiner der Parteien in Deutschland vertreten.
„Die Untersuchung des SVR-Forschungsbereichs zeigt, dass Handlungsbedarf besteht“, sagte Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stiftung Mercator. „Abgeordnete mit Migrationshintergrund sind in Parlamenten nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Im Bundestag haben derzeit nur drei Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund. Da fast 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, klafft hier eine deutliche Lücke.“ Lorentz betonte: „Es ist auch ein wichtiges Symbol, wenn mehr Zuwanderer in den Parlamenten an politischen Entscheidungen mitwirken und politische Ämter übernehmen. Das verdeutlicht, dass sie ein Teil unserer Gesellschaft sind und sich für das Gemeinwesen engagieren.“
Fast jeder Zehnte von den Wahlen ausgeschlossen
Das Wählerpotenzial von Ausländern zu erschließen, sei auch aus demokratietheoretischer Sicht erstrebenswert: Von der Bundestagswahl 2009 waren ca. 5,8 Millionen Ausländer ausgeschlossen, das entspricht etwa 8,5 Prozent der volljährigen Bevölkerung Deutschlands. Auch bei der Bundestagswahl 2013 werden es voraussichtlich etwa neun Prozent sein. Der Anteil der Ausländer, die dauerhaft in Deutschland leben, aber kein Wahlrecht haben, könne schrittweise durch Einbürgerung verringert werden. „Denn in einer Demokratie sollten Wohn- und Wahlbevölkerung möglichst deckungsgleich sein“, so das Statement des SVR-Forschungsbereichs.
Download: Der Policy Brief „Potenzial für Bundestagswahlen: Politische Partizipation von Drittstaatsangehörigendes“ SVR-Forschungsbereichs können Sie hier herunterladen.
Das sieht die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dağdelen nicht anders: „Es ist nicht hinnehmbar, dass mindestens1,8 Millionen potenzielle Wählerinnen und Wähler aus Nicht-EU-Staaten das Wahlrecht als Kernrecht der demokratischen Mitbestimmung vorenthalten wird. Wer dauerhaft hier lebt, soll auch mitbestimmen können, auf allen Ebenen.“ Es gebe viele Menschen, die sich aus unterschiedlichen Motiven trotz langjährigem Aufenthalt nicht einbürgern lassen wollen oder können. Dies sei aber kein Grund, sie von der demokratischen Mitbestimmung auszuschließen; schließlich seien sie der Politik der Bundesregierung ebenso unterworfen wie deutsche Staatsangehörige.
Nicht hinnehmbar
Zu seiner ähnlichen Einschätzung kommt auch der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kılıç. Er fordert eine erleichterte Einbürgerung und eine flächendeckende Einbürgerungskampagne. Insbesondere müsse die Optionsregelung abgeschafft und die generelle Mehrstaatigkeit ermöglicht werden. „Außerdem müssen Rentner, die ihre Jugend und Gesundheit in den Aufbau unseres Landes investiert haben, Deutsche werden können, auch wenn sie nicht gut Deutsch sprechen oder ihre Rente mit Sozialleistungen aufstocken müssen“, so der Grünen-Politiker. Darüber hinaus müssten Eingewanderte aus Drittstaaten das kommunale Wahlrecht erhalten. Kılıç weiter: „In einigen Städten stellen Drittstaatsangehörige mehr als ein Drittel der Einwohner. Im Gegensatz zu Unionsbürgern dürfen sie dort aber nicht wählen. Das ist für eine Demokratie nicht hinnehmbar.“
Migranten würden mehrheitlich SPD wählen
Nicht nachvollziehen kann allerdings Linkspolitikerin Dağdelen, dass Migranten, wenn sie wählen dürften, laut Untersuchung zu etwa 27 Prozent die SPD bei den bevorstehenden Bundestagswahlen wählen würden. Das sei paradox. „Denn die SPD lehnt ein Ausländerwahlrecht auf Bundesebene ausdrücklich ab und hat entsprechende parlamentarische Initiativen der Linken im Bundestag immer wieder abgelehnt. Und als die SPD noch Regierungspartei war, hat sie auch das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige abgelehnt“, so die Linkspolitikerin.
Wie aus der Untersuchung hervorgeht, würden Ausländer der ersten Generation, die aus einem Drittstaat stammen, zu außerdem zu etwa 20 Prozent die Grünen und zu fast 18 Prozent die CDU wählen. Die Linkspartei hingegen kommt bei dieser potenziellen Wählerschaft nur auf 4,1 Prozent, noch schlechter schneidet die FDP mit etwa 3 Prozent ab. (bk) Gesellschaft Leitartikel Studien
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Warum wird das (Nicht-EU-Staat) so hervorgehoben zur Bundestagswahl
dürfen auch Bürger von Eu-Staaten nicht Wählen .
@trauma:
wer weiß, vielleicht ist das interesse an bundesthemen für menschen aus drittstaaten größer als bei bürgern aus eu-staaten?
aber sie haben recht, auf bundesebene dürfen weder die einen noch die anderen wählen; auf kommunaler ebene sieht das aber schon wieder anders aus. ich habe den text als ein plädoyer für eine erleichterte einbürgerung von drittstaatenangehörigen interpretiert, um mehr menschen mit migrationshintergrund politische teilhabe in deutschland zu ermöglichen. alleine bei der hinnahme von mehrstaatigkeit sind eu-bürger gegenüber bürgern aus drittstaaten bevorzugt.
Soweit man in der Studie lesen kann, handelt es sich um eine Sekundärauswertung einer Befragung unter Nicht-Eu-Angehörigen zu verschiedenen Themen. Daten zu Eu-Bürgern gab es demnach wohl nicht.