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Kılıçs kantige Ecke

Assoziationsrecht endlich vollständig anwenden

Dieses Jahr feiern wir 50 Jahre Assoziationsabkommen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)/Türkei. Es ist ein Armutszeugnis, dass trotz vieler Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sowie nationaler Gerichte in Deutschland die Bundesregierung die vollständige Anwendung des Assoziationsrechts verweigert. Unser Gesetzesentwurf zur Klarstellung der Assoziationsrechte türkischer Staatsangehöriger bietet der Bundesregierung eine gute Gelegenheit sich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

Von Memet Kılıç Freitag, 08.02.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.08.2013, 17:03 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die Bundesregierung verweigert weiterhin türkischen Staatsangehörigen in Deutschland ihre Rechte und ignoriert bindende Entscheidungen des EuGH. Der EuGH hat in über fünfzig Entscheidungen – auch mit Blick auf die restriktive Rechtspraxis in Deutschland – zweifelsfrei bestätigt: in der EU lebenden türkischen Staatsangehörigen und ihren Familienangehörigen, stehen aufgrund des Assoziationsrechts weitrechende Rechte zu. Diese Rechte orientieren sich eng an der für EU-Bürger geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit, sowie der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU. Unser Gesetzesentwurf kommt den europäischen Vorgaben nach und schlägt Änderungen vor, mit denen das Assoziationsabkommen und die Rechtsprechung des EuGH im nationalen Gesetz verankert werden.

Was ist unser Ziel?
Wir streben eine umfassende Lösung an. Bisher haben Betroffene jeden Rechtsfortschritt mühsam beim EuGH gegen unwillige Behörden erstreiten müssen. Betroffene, die diese Anstrengung nicht unternahmen, mussten oft auf ihre Rechte verzichten. Dies darf so nicht weitergehen. Es ist die Pflicht eines Rechtsstaats Transparenz und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Genau hier setzen wir an und wollen für die Betroffenen und die Rechtspraxis die Folgen des Assoziationsabkommens EWG/Türkei festschreiben.

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Der EuGH hat für türkische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familienangehörige insbesondere Aufenthaltsrechte aus dem Assoziationsrecht abgeleitet. Für den Aufenthalt (nicht jedoch für die Einreise) und der Aufenthaltsverfestigung dieser Gruppe gilt daher aufgrund europäischen Rechts ein eigenständiges und von den nationalen Vorgaben unabhängiges Regime.

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Hier ist auch die Rechtsprechung des EuGH zu den assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverboten (Standstillklauseln) von besonderer Relevanz. Demnach dürfen die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Des Weiteren verbietet das Verschlechterungsverbot den einmal erlangten Rechtsstatus von Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen wieder zu beschränken. Kurz: für die Betroffenen gilt nicht das aktuelle Aufenthaltsrecht, das durch zahlreiche Änderungen verschärft wurde. Sondern die Rechtslage, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verschlechterungsverbote (1980, 1976 und 1973) vorherrschte.

Weiterhin bestehen Einzelfragen, zu denen es noch keine ausdrückliche Entscheidung des EuGH gibt. Dieser Umstand macht diese Fragen (und Sorgen ) jedoch nicht weniger wichtig für die Betroffenen. Wir wollen diese Anliegen anhand der bisherigen Rechtsprechung des EuGH in das deutsche Recht einführen. Denn den mühsamen Weg über den EuGH wollen wir den Betroffenen gerade ersparen.

Ein weiterer Punkt, der bisher übersehen wurde, ist das Fehlen einer Regelung im Assoziationsrecht für Personen, die wegen Bezug einer Rente aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wir wollen die Lücken zwischen dem europarechtlichen Assoziationsrecht und dem nationalen Aufenthaltsrecht insbesondere im Hinblick auf diese Gruppen schließen.

Welche Änderungen streben wir an?
Lassen Sie mich jetzt im Einzelnen erläutern, welche Änderungen wir vorschlagen, um das Assoziationsrecht im deutschen Recht richtig abzubilden:

1. Spezielle Aufenthaltserlaubnis für Assoziationsrechtsberechtigte
Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass Assoziationsrechtsberechtigten von Amts wegen unverzüglich eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wird. Diese soll für mindestens fünf Jahre gültig sein. Sie muss auch das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts bescheinigen (§ 4 Abs. 5 AufenthG).

So wird klar gestellt, dass es sich bei dem Aufenthaltstitel für Assoziationsrechtsberechtigte lediglich um eine Formalität handelt. Die Änderungen dienen damit der Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG.

2. Niederlassungserlaubnis
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis wird bei Assoziationsrechtsberechtigten an die Voraussetzung eines fünf-jährigen Aufenthalts und die erfolgte Integration in den Arbeitsmarkt geknüpft.

Hiermit möchten wir den Umstand beachten, dass das Assoziationsrecht EWG/Türkei im Grunde ein eigenständiges Regime der Aufenthaltsverfestigung vorsieht. Danach kommt es im Wesentlichen auf die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und die Aufenthaltsdauer des Assoziationsrechtsberechtigten an. In der Rechtpraxis ist die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht hierauf abgestimmt. Das führt zu integrationspolitisch bedenklichen Irritationen bei den Betroffenen. Zumal es sehr fraglich ist, ob die Verschärfungen zum Erwerb der Niederlassungserlaubnis mit dem Verschlechterungsverbot vereinbar sind.

Für Rentner sowie Personen, die frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, gelten besondere Bestimmungen (§ 9 Abs. 2a AufenthG). Das Assoziationsrecht sieht keine Aufenthaltsrechte für Rentner vor. Durch eine großzügige Regelung hierfür wollen wir ihre Lebensleistung anerkennen.

3. Ehegattennachzug und eigenständiges Aufenthaltsrecht von Ehegatten
Der EuGH hat mehrfach klargestellt: Die Vorschriften für Familienangehörige im Assoziationsrecht unterstützen die Beschäftigung und den Aufenthalt des Arbeitnehmers, der sich bereits in der EU integriert hat. Insoweit stellen die Gesetzesverschärfungen in diesem Bereich unzulässige neue Beschränkungen für die bereits in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer dar. Die Bundesregierung bleibt auch im Falle des Ehegattennachzugs untätig.

Wir wollen das Spracherfordernis vor der Einreise für nachziehende Ehegatten aufheben. Gleichzeitig wollen wir die Mindestbestandszeit der Ehe bei Assoziationsrechtsberechtigten wieder auf zwei Jahre verkürzen (§ 31). Mit diesen Änderungen wird die frühere und günstigere Rechtslage wiederhergestellt und damit das Verschlechterungsverbot beachtet.

4. Begünstigungen für Kinder unter 16 Jahren
Kinder unter 16 Jahren, bei denen ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Assoziationsrechts besitzt, sollen visumsfrei einreisen können. Des Weiteren sollen sie für ihren Aufenthalt keinen Aufenthaltstitel mehr benötigen (§ 4 Abs. 1 AufenthG).

Auch hier wird dem Verschlechterungsverbot nachgekommen, indem die Rechtslage, die zuletzt bis zum 15. Januar 1997 galt, wiederhergestellt wird.

5. Ermessen bei Verlust des Aufenthaltsrechts
Das nach dem Aufenthaltsgesetz vorgesehene Regime von Ist- und Regelausweisungen, bei denen keine umfassende Ermessenausübung bei der Aufenthaltsbeendigung vorgesehen ist, findet hier keine Anwendung. Das wollen wir, der Rechtsprechung des EuGH folgend, im Aufenthaltsrecht klarstellen.

6. Visafreiheit für einen Kurzaufenthalt
Mit dem neuen § 15a AufenthV können türkische Staatsangehörige für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten visumsfrei nach Deutschland einreisen, wenn der Aufenthalt in Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit erfolgt (vgl. unseren Antrag zur Visafreiheit für türkische Staatsangehörige). Dazu zählen nach der Rechtsprechung des EuGH im Bereich der Unionsbürger auch touristische Aufenthalte. Mit der Regelung wird dem Verschlechterungsverbot Rechnung getragen.

Die Nichtbeachtung der Visaurteile des Europäischen Gerichtshofs durch die Bundesregierung beschädigt unseren Rechtsstaat. Statt die Vorgaben des EuGH umzusetzen, bemüht sich die Bundesregierung mit aberwitzigen Argumenten die visumsfreie Einreise für türkische Staatsangehörige bis zur Unkenntlichkeit einzuschränken. Dies wollen wir nicht weiter dulden.

7. Gebühren für die Ausstellung eines Aufenthaltstitels
Die Bundesregierung hält mit fadenscheinigen Begründungen an den überhöhten Gebühren für türkische Staatsangehörige fest. Sie hat bisher die Rechtsprechung des EuGH zu zwei Fällen aus den Niederlanden als irrelevant für Deutschland erklärt. Sie missachtet die Tatsache, dass die Standstillklausel als EU-Recht nationalen Regelungen übergeordnet ist und alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichermaßen bindet. Damit verstoßen die deutschen Gebührenregelungen gegen die eindeutige Rechtsprechung des EuGH.

In unserem Gesetzentwurf werden die im Jahr 2011 vorgenommenen Gebührenerhöhungen für Aufenthaltstitel für türkische Staatsangehörige wieder zurückgenommen. Die Betroffenen werden bei der Aufenthaltserlaubnis gebührenrechtlich den freizügigkeitsberechtigten Schweizern gleichgestellt. In Bezug auf die Niederlassungserlaubnis werden sie den drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern von UnionsbürgerInnen gleichgesetzt. Hiermit wird den assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverboten und dem Diskriminierungsverbot nach Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 Rechnung getragen.

8. Zugang zum Beamtenverhältnis
Mit den Änderungen im Bundesbeamtengesetz und Beamtenstatusgesetz werden Assoziationsrechtsberechtigte beim Zugang zum Beamtenverhältnis mit anderen europarechtlich Privilegierten (d.h. den EU- und EWR-Bürgern und den schweizerischen Staatsangehörigen) gleichgestellt.

Es ist schon lange anerkannt, dass sich die aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu gewährende Gleichbehandlung grundsätzlich auch auf den öffentlichen Dienst und den Zugang zum Beamtenverhältnis auswirkt. Darüber hinaus hat der EuGH klargestellt , dass die Möglichkeit zum Ausschluss von Assoziationsrechtsberechtigten von der Ausübung hoheitlicher Befugnisse nicht weiter reiche als bei Unionsbürgern. Für Berechtigte nach dem Assoziationsrecht heißt das, dass der Zugang zum öffentlichen Dienst genauso für sie gilt wie für UnionsbürgerInnen. Aktuell Meinung

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  1. Metscher sagt:

    Also Tore auf, alle rein…und bitte mit Sonderrechten.

    Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass die große Mehrheit der Bundesbürger dies so nicht wünscht.

    Dieses Assoziationsabkommen ist nicht in Stein gemeißelt. Es muss neu verhandelt werden und den Berdürfnissen Deutschlands und seiner Bürger angepasst werden.

  2. Holla sagt:

    @ Metcher

    Zum einen ist Ihre Behauptung, die große Mehrheit sei gegen diese Abmachung, nicht belegt. Zum anderen ist die große Mehrheit der Bundesbürger zu Recht stolz auf ihren Rechtsstaat, die Recht und Gesetz achtet. Und schließlich ist das Abkommen ein EU-Vertrag, den Deutschland nicht allein verhandeln kann.

  3. Wolfram Obermanns sagt:

    Ich bin nicht so firm bei internationalen Verträgen im Umfeld der EU, aber Sonderregelungen für bestimmte Mitgliedsländer scheinen an der Tagesordnung zu sein. Kann es sein, daß D so eine Sonderregelung für sich in Anspruch genommen hat?

    Wenn nein, was war dann zwischen 1998 und 2005? Man sollte meinen sieben Jahre an der Regierung wäre genug Zeit um bereits geltendes Recht durchzusetzen.

    Davon losgelöst halte ich die gängige Praxis mit Einwanderungswilligen aus der Türkei häufig für schäbig. Das berechtigte deutsche Interesse eine integrative Immigration zu etablieren, wird durch eine diskriminierende Praxis bestimmt nicht erreicht.

  4. Matthias sagt:

    Bei der ganzen Diskussion wird verkannt, dass dieses Abkommen, wie schon die Vorläufer 1973 eine Art Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleisten soll, und zwar nur diese. Dem türkischen Arbeitnehmer, die die Arbeitsmarktverfestigung im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 erlangt hat, stehen Sonderrechte zu. Auch dem nachziehenden Ehegatten stehen diese Rechte zu!

    Das Zusatzprotokoll und insbesondere die Standstillklausel könnten zwar für einen Wegfall des Spracherfordernisses beim Ehegattennachzug führen, aber an dieser Stelle ist doch die Frage, warum der ganze Aufwand betrieben wird?

    Haben türkische Eheleute tatsächlich das Bedürfnis OHNE Deutschkenntnisse nach Deutschland zu kommen? Warum nimmt man dies nicht einfach in Kauf und freut sich darüber, dass die sprachliche Integration schon bei Einreise beginnen kann? Wer hat denn Nutzen von der Regelung? Der integrationswillige studierte Ehegatte aus Istanbul oder die 55 jährige Analphabetin aus Sirnak?

    Ich habe den Eindruck als wollte die Partei des Verfassers sowie andere Interessensverbände unbedingt einen Unionsbürgerstatus! Ist das gerechtfertigt? Oder ist dies nicht einfach Klientelpolitik? Denn beabsichtigt war es den Verfassern des ARB nicht. Und der EUGH macht in seinen Ausführen stets deutlich, dass bestimmte (bei weitem nicht alle) Rechte ÄHNLICH ausgelegt werden müssten wie in der Unionsbürgerrichtlinie. Mittlerweile erklärt der EUGH auch immer dazu, dass die Unionsbürgerrichtlinie im Übrigen nicht auf ARB-Berechtigte Anwendung findet.

    Wollte der EUGH (so wie es sich beim Verfasser des Artikels anhört) die Gleichstellung zwischen Unionsbürgern und ARB-Berechtigten würde er dies deutlichst schreiben. So sind die Juristen nunmal.