Medien und NSU-Terror

„Was auffällig fehlt im Mediendiskurs ist die Frage nach der Rolle der Innenminister“

Die Medienberichterstattung zum NSU-Terror und deren Folgen, mögliche Verwicklungen der Geheimdienste in neonazistische Strukturen und ob Medien aus Fehlern lernen. Ein Gespräch mit Medienexpertin Sabine Schiffer.

Freitag, 03.08.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.08.2012, 0:49 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

MiGAZIN: Vor acht Monaten wurde ein Terrornetzwerk von Neonazis in der Bundesrepublik aufgedeckt, das offensichtlich mit Geheimdiensten verflochten war. Wie bewerten Sie die Berichterstattung seit dem Bekanntwerden des Trios?

Sabine Schiffer: Ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits könnten die Funde, die unsere Medien ans Tageslicht befördern, kaum erschreckender sein. Und unsere Medien haben da teilweise gute bis sehr gute Arbeit geleistet. Andererseits wird weitestgehend der Mythos von Pleiten, Pech und Pannen mitgetragen, obwohl das gezielte Schreddern relevanter Akten rund um den NSU eine andere Sprache spricht, wie auch die Fahndung nach toten oder schon verhafteten Terroristen. Unsere Medien hätten gerade aktuell die Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen, wo eine Personalverschiebung bei Geheimdienst und Bundespolizei in genau die Richtung vorgenommen wird, die sich ja als problematisch erwiesen hat: Nun kommen vom Profil her Personen ins Amt, die bei einer auffälligen Fixierung auf Islamisten und sog. Ausländern, glatt weg rechtsextreme Strukturen übersehen könnten.

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Vielleicht glaubt man ja, dass Einwanderungsbeschränkungen rechtsextremes Gedankengut bekämpfen würde – eine mögliche Strategie, die aber schon mit den Zuwanderungsbeschränkungen nach den Pogromen von Rostock, Mölln und Solingen gescheitert ist.

„Die Übernahme der Verengung der Debatte auf ein NPD-Verbot, ist ein Kotau vor einer Politik, die offensichtlich nicht an die grundlegenderen Fragen über die Verbreitung destruktiver und rassistischer Strukturen in Politik und Gesellschaft heran will.“

Was auffällig fehlt im Mediendiskurs ist die Frage nach der Rolle der Innenminister, heute und in der Vergangenheit. Und die kritische Beobachtung der geplanten Fusionen und Neuausrichtungen verschiedener Behörden. Auch überträgt man nicht die Frage nach der dubiosen Rolle sog. V-Leute unter Rechtsextremen auf andere Bereiche, die unter „Beobachtung des Verfassungsschutzes“ stehen. Die Übernahme der Verengung der Debatte auf ein NPD-Verbot, ist ein Kotau vor einer Politik, die offensichtlich nicht an die grundlegenderen Fragen über die Verbreitung destruktiver und rassistischer Strukturen in Politik und Gesellschaft heran will. Und haben Sie nochmal was Relevantes vom Generalbundesanwalt gehört? Obwohl es gute Einzelrecherchen gibt, sind die sonst üblichen Zitierkartelle auffällig zurückhaltend – und deren Wiederholung und Beharrlichkeit führt ja oftmals erst zu echten Skandalisierungen.

MiG: Gehen wir auf die Zeit vor dem Bekanntwerden der Zwickauer-Terroristen zurück. Ein Spiegel-Artikel aus Dezember 2009 mit dem Titel „Spur der Döner-Mörder führt zur Wettmafia“. Was denken Sie, wenn Sie diesen Artikel heute lesen?

Schiffer: Meine Güte, gut, dass es Medienarchive gibt! Leider werden die Archive der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ja wieder gelöscht… Mit dem Blick des neu Informierten sollte man viele frühere „Berichte“ nochmal kritisch betrachten. Dieser hier zeugt davon, wie Vorurteile die Sinne vernebeln. Mal abgesehen von der menschenverachtenden Bezeichnung „Döner-Morde“, die ja bereits auf vorhandene rassistische Grundeinstellungen schließen lässt, scheinen die Recherchen von Polizei und Medien davon geprägt, nach einem Fehlverhalten bei den Betroffenen zu suchen. Auch „Mafia“ ist ein Begriff, der auf kriminelle Ausländerbandenstrukturen hindeutet. Arno Widmann hat am 16. November 2011 in der Frankfurter Rundschau das Versagen der Medien gut zusammengefasst (http://www.fr-online.de/meinung/analyse-medien-und-naziterror—taeter–opfer–zuschauer,1472602,11152684.html), das auch aus diesem Spiegelartikel heraussticht. Man hört nicht auf die und glaubt nicht den betroffenen Familien, sondern den Behörden ohne deren Wahrnehmungsfilter oder möglichen Interessen zu hinterfragen. Verlautbarungsorgan für bestimmte Stellen zu sein, genau das ist die Aufgabe einer vierten Gewalt nicht.

MiG: Und was hätten Sie gedacht, wenn Sie diesen Artikel im Dezember 2009 gelesen hätten?

Schiffer: Genau das ist das entscheidende: Es klingt alles nach seriösen Ermittlungen, neuen Erkenntnissen und einer sauberen Berichterstattung. O.k., mir persönlich wären da zu viele Stereotype aufgefallen, was mich immer skeptisch macht – aber das liegt an meinem Beruf. Schon damals haben wir im IMV diskutiert, ob die Physiognomie der Opfer nicht auf einen „Türkenhasser“ hindeutet, schließlich kann die Tötung des Griechen einfach eine Fehleinschätzung über seine Nationalität gewesen sein.

Sabine Schiffer promovierte zum Islambild in den Medien und gründete 2005 in Erlangen das unabhängige Institut für Medienverantwortung (IMV). Das IMV will wissenschaftliche Erkenntnisse in die öffentliche Debatten tragen und setzt sich unter anderem für einen systematischen Lehrplan Medienbildung an Schulen ein, der nicht von der IT-Branche beeinflusst wird.

Aber dieser Artikel hier wird im Allgemeinen eher gängige Vorurteile bedient haben und dürfte nicht als Fehlkonstrukt aufgefallen sein – wie so viele seiner Art. Denn allein durch die Tatsache, dass spektakuläre Nachrichten, etwa über Razzien, immer gleich zum Medienthema werden, kommen die Dementis oder das Zugeben von Fehleinschätzungen nur noch selten vor und dann auch nicht mehr auf der Titelseite. Das ist ein Grundproblem unserer Nachrichtenkultur, die Vorurteile bedient und es schließlich begünstigt, dass Medien zum Vehikel für Propagandazwecke werden können. Leider reicht Pressefreiheit alleine nicht aus, um Missbrauch zu verhindern, wie dies beispielsweise Initiativen wie Lobbycontrol oder Nachdenkseiten immer wieder aufdecken.

MiG: Welche Verantwortung trägt die Medienlandschaft, die ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern ohne Hinterfragen meist das serviert haben, was Sicherheitsdienste ihnen vorgelegt haben?

Es ist leider Fakt, dass Medienmacher viel zu selten kritisch hinterfragen, wer ihre Agenda setzt. Das problematisiert ja auch die Studie von Prof. Frindte et.al. „Inszenierter Terrorismus“ von der Uni Jena in Bezug auf das Schüren von Terrorangst bzw. Muslimfeindlichkeit. Das jüngste Beispiel ließ sich an der Veröffentlichungspraxis des Innenministeriums festmachen, worüber ich meine Kolumne hier geschrieben hatte. Die Salafistenrazzias gingen ebenso durch die Medien wie die Verhaftung zweiter angeblicher Islamisten in Berlin vor der letzten Wahl – die Freilassungen und Einstellungen von Verfahren sind dann kein so brisantes Thema mehr. Dies trifft auf alle möglichen Themen zu: ob es die emotional geführte und massiv manipulierte Energie- und Strompreisdebatte ist oder die Warnung vor Krankheitserregern. Die Aufregung ist so groß, dass Rationalität und kritisches Nachprüfen schon als „Verschwörungstheorie“ gelten. Übrigens letzteres ein besonders effektiver Spin, um genau das auszuhebeln, was klassischerweise zum Journalismus gehört: kritisches Nachfragen und zwar bis hin zur Infragestellung der Relevanz und Richtigkeit des Themas an sich. Sprich, sich mal die Frage zu erlauben, was ist eigentlich wichtig und warum bearbeite ich gerade das hier und nicht etwas ganz anderes?

MiG: Man wird immer noch das Gefühl nicht los, als könnten viele Menschen diese Taten und die bisher bekannt gewordenen „Pannen“-Serie bei den Sicherheitsdiensten nicht richtig zuordnen. Wie muss man sich die Größenordnung vorstellen? Gab es je etwas Vergleichbares in Deutschland oder auch im Ausland?

Buchtipp zum Thema

Schiffer: Ich glaube, das ist wirklich eine neue Dimension, die da ans Tageslicht gekommen ist – sprich, dass sie ans Tageslicht gekommen ist. Seit dem Aufdecken der Gladiostrukturen bei der NATO, Curveball im Irak und ähnlichem, sollte man ja eigentlich mit solchen Machenschaften der Dienste rechnen. Mir fällt da der Roman „Das München Komplott“ von Wolfgang Schorlau ein, wo die Kriminalgeschichte in der steilen These endet, dass sich bestimmte Behörden gar extremistische Gruppierungen „halten“ würden, um sie für eigene Propagandazwecke zu nutzen. Wenn Sie das lesen, fragen Sie sich bitte, was Sie für real, möglich oder Fiktion ist. Im Anhang kommt die Auflösung.

Aber irgendwie gelingt es im breiten Mediendiskurs immer noch, bestimmte Traditionen der Dienste zu verharmlosen. Natürlich hat eine „Organisation Gehlen“ ihre Spuren hinterlassen. Und dieses ganze antilinke Gebahren von den Berufsverboten bis hin zur Beobachtung und Inkriminierung sog. Kapitalismuskritiker, denen schlicht „Demokratiefeindlichkeit“ unterstellt wird, müsste doch als das erkannt werden, was es ist: politische Stimmungsmache und ein Aushebeln der Gewaltenteilung.

MiG: Kommen wir zu einem anderen Thema: Ein Jahr ist seit dem Oslo- und Utoya vergangen. In den ersten Stunden nach dem Attentat von Anders Behring Breivik berichteten nahezu alle Medien vorschnell über „islamistische“ Täter. Beim späteren Attentat in französischem Toulouse, wo jüdische Kinder die Opfer waren, war die Situation in den ersten Stunden ähnlich: man wusste anfangs nicht, wer der Täter ist. Von voreiligen Berichten über vermeintliche „Islamisten“ hat man aber abgesehen. Haben die Medien dazugelernt?

„Das Signal ist eindeutig, nämlich: Wir werden auch weiterhin nicht primär den Rechtsextremismus, sondern „die Anderen“ im Blick behalten – die „Ausländer“, die Linken, die Friedensbewegung, die Muslime. Übrigens letztere nur als Täter, nicht als Opfer…“

Schiffer: Nein. Medien führen ein eigenes Leben und das sollten Mediennutzer wissen. Ein Schulunterricht in Medienbildung müsste die üblichen Mechanismen um Framingprozesse und Nachrichtenwerte, Mediensysteme und -berufe und Informationswege, stereotype Benennungspraxen und Montagetechniken umfassen. Mindestens. Stattdessen gibt man sich mit minimalsten Qualitätsstandards vor allem in unseren Nachrichtensendungen zufrieden, die nicht einmal die tollen Recherchen ihrer eigenen Magazin-Kollegen einbeziehen. Aber der Journalismus gerät zunehmend unter existenziellen Druck, während die ehrenamtlichen Recherchen der Bloggerszene auch leicht zu unterwandern sind.

Dass der „Terrorismusexperte“ Thevessen nach seiner völligen Fehleinschätzung über die Hintergründe des Terrors in Norwegen weiterhin beim ZDF bleibt, ist etwas Aufwand sparender als der Führungsriegenaustausch in Polizei und Verfassungsschutz. In der Sache ist es genauso konsequent. Das Signal ist eindeutig, nämlich: Wir werden auch weiterhin nicht primär den Rechtsextremismus, sondern „die Anderen“ im Blick behalten – die „Ausländer“, die Linken, die Friedensbewegung, die Muslime. Übrigens letztere nur als Täter, nicht als Opfer, wie es Ihnen in der Fragestellung ja auch passiert ist: In Toulouse waren die Opfer der Anschläge Juden und Muslime, aber unsere Berichterstattung hat sich auf die einstudierte Gegenüberstellung von muslimischem Täter und jüdischen Opfern eingeschossen – statt übrigens auch hier einmal die Involviertheit von Geheimdiensten zu untersuchen, wie es immerhin der britische Independent tat. Interview Leitartikel

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  1. unwissend sagt:

    danke für den artikel!
    Dass in Toulouse auch Muslime Opfer waren, erfahre ich erst jetzt! Es ist schon „krass“, wie unsere schlechten Mediendienste uns in der Hand haben…

  2. Hanna sagt:

    Eine ähhnliche Argumentation an anderer Stelle:
    „Nur einige Medien diffamieren die Annahme einer staatlichen Verstrickung in den NSU-Komplex noch ernsthaft als Verschwörungstheorien. So wird an dem Narrativ gestrickt, dass den Ermittlern ein rechter Hintergrund der Mordserie schlicht unvorstellbar gewesen sei, obwohl den Diensten die Methoden bekannt waren. Genausowenig wollen sich einige Journalisten eine umfassendere Rolle der Nachrichtendienste vorstellen, sondern werten vielmehr Recherchen in diese Richtung ab. Während einige Journalisten sowie viele Parlamentarier quer über Parteigrenzen hinweg bemerkenswerte Arbeit zur Aufklärung geleistet haben, kennt die Obrigkeitsgläubigkeit einiger Medienvertreter keine Grenzen.“
    http://www.dasdossier.de/magazin/macht/netzwerke/ausser-kontrolle