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Brückenbauer

Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Und die Medien.

Der medial inszenierte Diskurs um angebliche Integrationsverweigerer ist symptomatisch für das Verhältnis von Politik, Wissenschaft und Medien. Hier treffen unterschiedliche Systemlogiken aufeinander. Wir brauchen einen Think Tank an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Medien.

Von Daniela Kaya Donnerstag, 29.03.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.04.2012, 3:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Am 08.09.2010 stellte der damalige Innenminister Thomas De Maiziere das Integrationsprogramm vor. Plötzlich war sie im Raum, die Zahl: „Ca. 10-15 % der Muslime sind Integrationsverweigerer.“ Uff, ganz schön wuchtig, wenn so ein hochoffizieller Minister eine Zahl von sich gibt. De Maiziere hatte sich bis dahin als sehr verständiger und sachorientierter Minister hervorgetan. Also zunächst kein Verdacht auf eine unseriöse Luftblase. Er wird doch nicht fahrlässig eine Ressentiment-beladene öffentliche Debatte anzetteln?

In den Abgeordnetenbüros der Fachpolitiker im Bundestag wird das Triebwerk angeschmissen: Es wird recherchiert, telefoniert mit FachkollegInnen und befreundeten ForscherInnen, die eigenen Unterlagen, die ein „Miniarchiv“ darstellen, werden durchforstet. Nichts. Keine Anhaltspunkte. Zeitdruck. Woher kommt die Zahl? Dann geht es nochmal in die Überlegung: Wie war das noch gleich in der Integrationsforschung? Gibt es hier überhaupt eine Position, die Belege für eine Integrationsverweigerung anführt? Erinnerung daran, dass es eine wissenschaftliche Diskussion um Parallelgesellschaften gab und bis heute keine empirisch kohärenten Belege dafür. Am Ende steht die Erkenntnis: Nein, es gibt keinen wissenschaftlichen Befund für die angeblichen Integrationsverweigerer! Nächster Schritt: Schriftliche Frage an die Bundesregierung: „Was versteht Herr de Maizière unter ‘integrationsunwilligen Ausländern‘ und auf welcher Datenbasis beruht die Zahl 10-15 % integrationsunwilliger Ausländer, die er im Rahmen der Vorstellung des Integrationsprogramms am 08.09.2010 benannte?“

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Währenddessen läuft die Medienmaschinerie, De Maiziere gibt Interviews und trägt das Mantra der angeblichen „15% Integrationsverweigerer in Deutschland“ im TV und Printmedien vor sich her. Und die Medien? Sie drucken und senden. Überprüfung der Zahl? Fehlanzeige.

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Der Medienhype nimmt seinen Lauf: Quer durch alle Parteien sprechen Spitzenpolitiker über „das Problem mit den 10-15 % Integrationsverweigerern“. Der Ruf nach Sanktionsmaßnahmen lässt nicht lange auf sich warten. Scheiße. Alle übernehmen die Zahl ungeprüft. Ist es die Strategie der Bundesregierung um Sanktionsmaßnahmen vorzubereiten? Kurz darauf beschließt die Bundesregierung die Anhebung der Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahren. Die Länder werden aufgefordert, den AbbrecherInnen von Integrationskursen mit den Härten des Gesetzes zu begegnen. Erst spät als die Erregungskurve abflaut kommen zweifelnde Stimmen zu Wort. Eine Woche später ist die Antwort des Ministers da und entlarvt sein Zahlenwerk als Luftschloss.

Gleiches Thema, neuer Versuch: Innenminister Hans-Peter Friedrich verlautbarte kürzlich in der Bild „Die Multikulti-Illusion sei gescheitert. Gut 20 % aller Muslime in Deutschland lehnen Integration ab.“ Diese Vorberichterstattung war bemerkenswert, denn bevor jemand Zugang zur angeblichen Skandal-Studie („Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“) hatte, schlugen die Bild und Minister Friedrich Kapital daraus. Am Ende stellt sich heraus: es handelt sich um eine qualitative Studie. Sie ist nicht repräsentativ. In der Studie selbst heißt es u. a. übrigens „Populistische Verkürzungen vermeiden! Statements wie ‘der Islam gehört nicht zu Deutschland‘ sind im Sinne harmonischer Intergruppenbeziehungen in Deutschland in dieser Plakativität kontraproduktiv (…)“ (S. 654).

Es wäre leicht, anhand dieser Beispiele zu einer unterkomplexen Feststellung zu kommen, die die bösen Medien oder die böse Bundesregierung geißelt. Ich möchte aber auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik hinaus. Eigentlich könnte alles ganz einfach sein: Die Wissenschaft forscht und mit den Forschungsergebnissen geht die Politik los und gestaltet das Leben der Menschen zum Besseren. Eigentlich. Denn auch die Wissenschaft ist geprägt von verschiedenen Weltbildern ihrer Forscherinnen und Forscher. Die Forschungsfragen von Studien sind immer mit Bedingungen und Vorannahmen verknüpft, es gibt verschiedene Forschungsmethoden und und und… Kurzum: Die Welt der Wissenschaft ist ebenso komplex wie ihr Untersuchungsgegenstand und der sind im Falle der Sozialwissenschaft wir selbst, unsere Gesellschaft. Die Integrationsforschung in Deutschland ist eine sehr junge Disziplin. Vereinzelt gab es in den 1970ern und 1980ern erste grundlegende Untersuchungen. Erst seit den späten 1990er Jahren sind integrationspolitische Forschungsfragen en vogue. Daher fehlt es an grundlegenden Langzeitdaten, viele Forschungsprojekte sind „event-driven“ und so ergibt sich eine mosaikhafte Forschungslandschaft. Viele Studien sind nicht repräsentativ, sie beschreiten für das jeweilige Forschungsfeld oftmals die ersten Schritte. Das heißt auch, dass sie nur in wenigen Fällen Politik-kompatibel sind.

Die Politik hingegen ist zum Handeln „verdammt“. Zu Recht erwartet und fordert die Bevölkerung von ihren politischen VertreterInnen mit den richtigen Rezepten zu glänzen. Allerdings stehen die Schnelllebigkeit öffentlicher Aufmerksamkeit und der Zwang zur Komplexitätsreduktion, der Logik der Wissenschaft scheinbar unvereinbar gegenüber. Ein Think Tank, der als Dienstleister das Wissen der Integrationsforschung systematisiert und „mundgerecht“ für Medien und Politik zur Verfügung stellt ist dringend notwendig. Aktuell Meinung

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  1. Roman sagt:

    Die Autorin spricht ein wichtiges Thema im Politikfeld „Integration“ (und in anderen Themenfeldern) an, welches leider viel zu selten angesprochen wird. Dabei ist das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik unter Einbeziehung der Medien ein Wesentliches, um für ausgewogene Informationen und abgewogene Entscheidungen zu sorgen. Nur, wie könnte ein solcher Think Tank, von dem im letzten Absatz die Rede ist, in der Realität aussehen?

  2. AY sagt:

    Gegenfrage: Wieso braucht es einen Think Tank, wenn Politiker „Fachleute“ in ihrem jeweiligen Gebiet sein sollten????