Theater

Migranten spielen auf den Sprechbühnen keine Rolle

Obwohl die Theaterschaffenden sich als Avantgarde betrachten, haben sie Angst, Schauspieler mit erkennbarem Migrationshintergrund auf die Bühnen zu lassen. In ihren Kultur- und Musentempeln herrscht eine Bunkermentalität.

Von Özgür Uludağ Freitag, 15.04.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.04.2011, 0:51 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Eine schwarze „Maria Stuart“ oder einen türkischen „Faust“ – wann hat es das auf den deutschsprachigen Bühnen gegeben? Aber auch einen schwarzen „Othello“ oder einen griechischen „Ödipus“ konnten wir schon lange nicht bewundern. Viele Schauspieler mit Migrationshintergrund und fremdländischem Aussehen haben große Schwierigkeiten, für ein Ensemble engagiert zu werden. Sie bekommen die Rollen, die typischerweise mit Ausländern besetzt werden, aber nicht den Woyzeck, König Lear oder Iwanow. Da an den Staats- und Stadttheatern im deutschsprachigen Raum überwiegend Kleist, Tschechow oder Shakespeare gespielt wird, sind die Chancen für Araber, Türken oder Schwarzafrikaner denkbar „schlecht.

„Nur die Qualität muss stimmen“
Häufig argumentieren Intendanten, Dramaturgen und Regisseure, es gebe keine guten Schauspieler, die dem Anspruch genügen würden, auf einer großen Bühne spielen zu können. Die Intendantin am Schauspiel Köln, Karin Beier, hat in ihrer ersten Spielzeit in Köln eine bemerkenswerte Zahl an Migranten beschäftigt. Eine von ihnen ist Anja Herden. Die dunkelhäutige Schauspielerin mit afrikanischen Wurzeln kennt die Probleme der Schauspieler mit offensichtlichem Migrationshintergrund: „Es geht in diesem Job ja nicht immer nur primär um Talent, sondern vor allem auch um sozio-kulturelle Moden, Geschmäcker und Trends“, sagt sie entschieden. „Die allgemeine Forderung nach großen Rollen, oder einfach nur nach einem selbstverständlichen, der multi-kulturellen Realität angepassten ‚Vorkommen‘ auf deutschen Bühnen halte ich jedoch für unklug – der Totschläger: Wir-würden-ja-wenn-IHR-nur-begabter-wäret knüppelt einen immer wieder in die Sackgasse“, empört sie sich.

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„Vielleicht ist es am ehesten so, dass das gesamte, höchst empfindliche Gebilde von Intendanz, Regie und Feuilleton sich tatsächlich gemeinsam dazu entscheiden müsste…“

„Natürlich empfinde ich diese Aussage in ihrer Pauschalität als eine Unverschämtheit und halte sie in dieser Diskussion einfach nur für unfassbar kontraproduktiv“, so Herden. „Vielleicht ist es am ehesten so, dass das gesamte, höchst empfindliche Gebilde von Intendanz, Regie und Feuilleton sich tatsächlich gemeinsam dazu entscheiden müsste, Sehgewohnheiten und Erwartungen eines Publikums umzuschulen, und dabei in Kauf zu nehmen, dass ein solcher Umbruch möglicherweise manchmal holpert und irritiert“, bemerkt Anja Herden abschließend. Sie sei noch immer in Köln, aber die Verträge vieler anderer Kollegen mit Migrationshintergrund seien nicht verlängert worden. Einige seien auch gegangen, weil sie kaum für tragende Rollen in Betracht gezogen wurden. Intendantin Beier betont jedoch, dass „auch einige geblieben seien“, bestätigt jedoch, dass die Fähigkeiten vieler Migranten oft nicht die großen Rollen zuließen.

Dieser Darstellung widerspricht Jan Oberndorf, Regisseur und Dozent an der Schauspielschule in Hamburg. „Seit nun fast zehn Jahren absolvieren immer mehr Studenten unsere Einrichtung und darunter sind viele talentierte Schauspieler und Schauspielerinnen, deren Herkunft sichtbar ist.“ Auch die Ernst-Busch Schauspielschule in Berlin, das Max-Reinhardt-Institut in Wien oder die Otto-Falkenberg-Schule in München bestätigen, dass bis zu 20 Prozent der Absolventen Migranten sind. Doch selbst Darsteller, die im Kino und Fernsehen zu sehen sind, haben auf den Bühnen selten eine Chance, obwohl sie ihr Talent vor der Kamera bewiesen haben. „Warum kann ich nicht Maximilian aus München sein? Auch ohne Böswilligkeit nehmen mich viele Menschen primär als Migranten wahr. Es gibt da immer noch dieses „Wir-Ihr“ Denken“, sagt Fahri Ogün Yardim, der in Fimen wie „Almanya – Willkommen in Deutschland“, „Kebab Connection“ und „Chiko“ gespielt hat.

Theater für, mit oder über Migranten?
Die Gefahr, durch die Anstellung migrantisch geprägter Schauspieler klassischen Texten eine integrationspolitische Färbung zu geben, beschäftigt Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia Theaters: „Ich fürchte mich vor stereotypischen Besetzungen. Damit fange ich an, diese Menschen auszubeuten für eine bestimmte Eigenschaft.“ Das Tanztheater, die Oper, das Ballet oder Kabarett ist dem Sprechtheater um Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte voraus. „Wenn Sie als erste Geige einen Türken haben, dann ist das nicht der Quotentürke, sondern einfach ein guter Musiker“, so Lux.

„Es sind nicht nur Migranten, die es nicht auf die Bühnen schaffen, sondern sind auch ihre Kultur und ihre Geschichten. Stücke aus der Türkei, Afrika oder den Arabischen Ländern kommen so gut wie nicht vor.“

Azadeh Sharifi, Doktorandin an der Universität Hildesheim, hat eine Forschungsarbeit zu diesem Thema verfasst und ergänzt: „Wenn ein Franz aus ‚Die Räuber‘ nun mit einem Ali besetzt wird, besteht die Angst, dass man nun plötzlich eine Aussage über Neuköllner Gangster trifft – obwohl man eigentlich eine klassische Inszenierung der Räuber im Sinn hatte.“ Diese Herausforderung versuchten viele Häuser zu vermeiden. Zu groß sei die Gefahr, beim Feuilleton falsch verstanden zu werden, meint Sharifi. Der hohe Erfolgsdruck lässt die Kreativbranche Risiken meiden.

Die Spielpläne versprechen Besserung
Es sind nicht nur Migranten, die es nicht auf die Bühnen schaffen, sondern sind auch ihre Kultur und ihre Geschichten. Stücke aus der Türkei, Afrika oder den Arabischen Ländern kommen so gut wie nicht vor. Es sind die Ausländer selbst, die diese Themen besetzen. Ehrenmord, Flucht und Heimat werden von Ihnen an den kleineren Bühnen thematisiert. Den großen Häusern ist dies häufig zu banal und zu gefährlich. An diesem heißen Eisen will man sich nicht die Finger verbrennen. Dabei hat die Ruhrtriennale gezeigt, dass das Pendant „Leyla und Madjnun“ durchaus anregender sein kann als eine weitere Inszenierung von „Romeo und Julia“.

Auch das Thalia Theater hat um die Migranten ans Theater zu locken und für sich zu entdecken das Projekt „Thalia Migration“ ins Leben gerufen. Auch die Lessingtage werden dafür genutzt, sich dieser Thematik zuzuwenden. In Heidelberg stehen neben den Inszenierungen von „Gegen die Wand“ nach Fatih Akin und „Schnee“ von Orhan Pamuk jetzt im April das Theaterland Türkei im Fokus des Stückemarkts. Am Deutschen Theater in Berlin inszeniert Nurkan Erpulat gemeinsam mit Dorle Trachternach „Clash“. Es ist zwar noch ein langer Weg bis der Migrationshintergrund nicht mehr im Vordergrund steht, aber man hat sich vielerorts bereits auf den Weg gemacht. Aktuell Feuilleton

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  1. Manfred O. sagt:

    @ Redaktion

    Möchten Sie Zahlen hören, wie hoch der Prozentsatz der Bürger in der Türkei ist, die mindestens 1 x im Jahr in Eine Oper, ein Schauspiel, oder in ein klassisches Konzert gehen ?

    Und wie hoch ist wohl der Prozentsatz von den ach so gut integrierten (ja, die gibt es ) Türken oder Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund, die 1 x im Jahr in eine Oper, ein Schauspiel, oder in ein klassisches Konzert gehen, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ?

    Möchten Sie die Zahlen wissen ?

  2. Ila sagt:

    „Der hohe Erfolgsdruck lässt die Kreativbranche Risiken meiden.“

    Letzendlich geht es ja darum Geschichten zu erzählen und wenn diese Stimmen und Körper zufälligerweise Migranten gehören und zuerst irritieren ist es gut! Es gibt die Chance dadurch Sehgewohnheiten zu hinterfragen und letztendlich einen Diskurs in Gang zu bringen, der sonst einfach nur weiterhin verdrängt wird und die Machtverhältnisse stützt.
    Kultur ist ja Spiegel der Gesellschaft und wenn diese Gesellschaft “ die Anderen“ auf der Bühne nur als Stereotypen ertragen kann, tja…

    @ die Autorin
    die Bezeichnung „Schwarzafrikaner“ ist problematisch, Infos für diskriminierungsfreie Sprache im Journalismus gibt`s hier: http://www.derbraunemob.info/download/

  3. schneider sagt:

    „Azadeh Sharifi, Doktorandin an der Universität Hildesheim, hat eine Forschungsarbeit zu diesem Thema verfasst und ergänzt: „Wenn ein Franz aus ‘Die Räuber’ nun mit einem Ali besetzt wird, besteht die Angst, dass man nun plötzlich eine Aussage über Neuköllner Gangster trifft – obwohl man eigentlich eine klassische Inszenierung der Räuber im Sinn hatte.““

    Selten so einen Quatsch gelesen…. niemand wird sich was denken, wenn der Türke perfekt deutsch spricht und nicht „Isch disch Mudda“ von sich gibt. Und hier aufgepasst: das trifft für alle Türken auch im normalen Leben zu. Ein perfekt deutsch sprechender, sich nicht wie ein Turkpascha oder Gangstertürke gebärdender türkischer Mitbürger, der dazu noch versucht, mit seiner wahren Religion mal ein wenig hinterm Berg zu halten, wird in der deutschen Gesellschaft weder Diskriminierung noch sonstige Benachteiligungen erfahren. Ich kenne zwei solcher Exemplare, allerdings trinken die auch mal ein Bierchen mit und haben nicht ständig Allah als übergeordnete, allmächtige Regelinstanz im Nacken.

  4. MoBo sagt:

    Ich war im Sommer 2009 in einer Inszenierung von Romeo und Julia im Globe Theatre in London, also dem Nachbau von Shakespeares original Theater. Der Darsteller von Romeo war ein Schwarzer und der von dem Mönch stammte wohl aus Ozeanien (dem Namen nach). Passte besser als neulich in der Oper, als der Romeo ein Deutscher um die 40 war.

    @ schneider: schön wie Sie es schaffen in einem Kommentar zu Theater nochmal Muslime in Deutschland zu beleidigen, obwohl es in dem Artikel eigentlich gar nicht darum geht. Da fühlt man sich in Deutschland richtig wohl.

    @ Manfred O.: Mandy und Kevin gehen auch nur ins Theater wenn der Deutschlehrer sie zwingt…

  5. dass die hochsubventionierten noch keinen zugang zum thema gefunden haben, ist nichts neues. schon 2007 hat der bühnenverein folgende forderung aufgestellt: „Die Anbindung an eine durch Migration und demografischen Wandel geprägte Wirklichkeit sowie eine klare künstlerische Haltung sind die zentralen Forderungen für die Arbeit der Theater. Wer theaterferne Bevölkerungsgruppen erreichen will, braucht anstelle kurzfristiger Prestigeobjekte eine nachhaltige Strategie, die sich über mehrere Spielzeiten erstreckt. Gefragt sind Glaubwürdigkeit, Verbindlichkeit, Ernst und Authentizität. “
    THEATERPERIPHERIE HAT DIESE FORDERUNG SCHON LÄNGST IN DIE PRAXIS UMGESETZT.
    ich lade sie ein, unsere internetseite zu besuchen:
    http://www.theaterperipherie.de
    dort finden sie alles über ein theater, in dem menschen aus 16 verschiedenen herkunftsländern ihre geschichten erzählen.

  6. Karl Willemsen sagt:

    @alexander brill

    eine Frage, ich sehe hier…

    http://www.theaterperipherie.de/20102011/maria-magdalena

    …eine Darstellerin mit Kopftuch und gehe doch mal ganz schwer davon aus, dass dieses Kostüm Bestandteil der Rolle ist. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Darstellerin – sofern sie das Kopftuch auch gewohnheitsmässig/privat trägt – selbstverständlich darauf verzichtet, wenn es die Rolle in einem anderen Stück erfordert.

    Sehe ich das richtig?

  7. ihre annahmen sind nicht ganz richtig. die darstellerin trägt aus überzeugung ein kopftuch, deshalb haben wir es als kostümteil genommen. sie würde es auch nicht ausziehen wegen einer anderen rolle-und keiner von uns würde darauf bestehen. weder das kopftuch, noch die hautfarbe oder herkunft haben in unserem neuen konzept eine bedeutung: es spielt der, den wir am besten für eine rolle geeignet halten. d.h. diese darstellerin könnte auch das gretchen im faust spielen, ohne dass wir damit sagen wollen, faust missbraucht ein kopftuchmädchen. auf diese bedeutungs(lose) ebene zu vetrzichten, fällt machem zuschauer noch schwer, aber wir sind davon überzeugt, dass nach zwei drei jahren diese neue sehgewohnheit keine probleme mehr bereiten wird.

  8. keton sagt:

    @ Alexander Brill
    Eine Kopftuchfrau, die eine nichteheliche Beziehung, noch dazu mit einem Nichtmuslim, also Faust, eingeht….ohoh!! Da müssen Sie schon noch etwas länger warten bis die Sehgewohnheiten sich damit abfinden können.

  9. Mika sagt:

    @keton
    Hier geht es doch um die Inszenierung!!! Meine Güte, Sie haben einfach das Konzept nicht verstanden!

  10. MoBo sagt:

    Klartext: Wer Wortneuschöpfungen wie „Kopftuchfrau“ benutzt um einen ganzen Menschen aufgrund eines Kleidungsstücks zu diskreditieren, der würde auch „Nigger“ oder „Judensau“ sagen, wenn er dürfte. Der benutzt „Islamkritik“ nur, um seinen Rassismus offen ausleben zu dürfen.