Wochenrückblick

KW 9/11 – Antworten auf Innenminister Friedrich

Das Thema der 9. Kalenderwoche: Innenminister Friedrich und die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Als Zugabe ein Blick auf die Identitätsfrage und zwei Blicke nach München.

Von Leo Brux Montag, 07.03.2011, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.03.2011, 5:06 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Hans-Peter Friedrich, CSU, neuer Innenminister:
„Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.“

Anmerkung: Mit „Tatsache“ meint Friedrich hier vermutlich „Behauptung“. (Oder meint er: Es ist durchaus eine Tatsache, dass der Islam heute zu Deutschland gehört, auch wenn das in der Vergangenheit nicht so war?)

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Das also ist Friedrichs Einstieg in seine Arbeit als Integrationsminister. Das Handelsblatt titelt:

Neuer Innenminister vergeigt Amtsantritt

und zitiert u. a. den Berliner Ersten Bürgermeister Wowereit:

Dieser erklärte, Friedrich „sollte erst einmal in seinem Amt ankommen, sich einarbeiten, die politische Realität in Deutschland anerkennen und sich dann äußern“. Wenn er an seinem ersten Amtstag gleich versuche, „die Gesellschaft mit Parolen zu spalten, wird er es schwer haben als Innenminister“. Den Islam auszugrenzen, führe zur Verunsicherung bei den in Deutschland lebenden Muslimen. „Er befördert so unnötig Ressentiments. Ich kann nur hoffen, dass er sich in seinem Amt weiterentwickelt“, sagte Wowereit.

Das Christliche Medienmagazin pro bringt eine Reihe kritischer Aussagen zu Friedrich. Eine davon kommt von Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland:

„Ich bin enttäuscht von dieser ersten Aussage. Sie steht im Widerspruch zu seiner Aufgabe als Vorsitzender der Islamkonferenz.“ Unter den Muslimen in Deutschland „kommt das nicht gut an“. Der neue Innenminister „wäre gut beraten, der Linie seiner Vorgänger zu folgen, dass der Islam Teil der Bundesrepublik Deutschland ist“.

Friedrich hat unterdessen angekündigt, die Islamkonferenz fortzuführen und ihr einen hohen Stellenwert beizumessen. Es gehe darum, die unterschiedlichen Potenziale einer Gesellschaft zu nutzen. Dazu gehöre, „dass man Dinge zusammenführt und nicht auseinandertreibt und nicht polarisiert“, so Friedrich.

Auch Koalitionspartner FDP wird ein Wörtchen mitreden wollen:

Der Innenexperte der FDP, Hartfried Wolff, teilte mit, Friedrichs Aussage sei für den interkulturellen Austausch ein eher schlechter Start. Weiter hieß es: „Wenn der neue Bundesinnenminister Friedrich erklärt, aus der Geschichte lasse sich die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland nicht belegen, meine ich: Beschäftigen wir uns lieber mit der Gegenwart!“ „Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Freitag auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa.

Lamya Kaddor geht in ihrer Kritik noch weiter, und Ali Kizilkaya stellt an Angela Merkel die Gretchenfrage (Quelle: Frankfurter Rundschau):

Eine „Ohrfeige ins Gesicht der Muslime“ nannte die Vorsitzende des liberal-islamischen Bundes, Lamya Kaddor, die Äußerung des neuen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. „So eine Aussage ist nicht nur politisch und geschichtlich falsch“, sagte sie der FR, „ich halte sie für gefährlich.“ Damit würden alle Fortschritte in der Islamdebatte der vergangenen Jahre negiert und die Dialogbereitschaft vieler Muslime geschwächt.

Kaddor kritisierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür, das Innenministerium einem Mann übertragen zu haben, von dem sie wisse, dass er in Integrationsfragen rückständig denke. Der Vorsitzende des Islamrates, Ali Kizilkaya, forderte ein klärendes Wort von der Kanzlerin. Die Muslime müssten wissen, ob ihre Religion zu Deutschland gehöre.

Wo steht Angela Merkel in dieser Sache? In der Frankfurter Rundschau lesen wir:

Regierungssprecher Steffen Seibert versuchte die Wogen am Freitag in Berlin zu glätten. Er betonte, nach Ansicht der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Bundesregierung gehöre der Islam zu Deutschland.

Steffen Seibert schlägt sodann eine beschwichtigende Interpretation vor, von der wir nicht wissen, ob der neue Innenminister sie akzeptieren wird:

Seibert sagte, es werde ein Gegensatz in Äußerungen des Bundespräsidenten und des neuen Innenministers hineingedeutet, den es so gar nicht gebe. Die Muslime und der Islam seien ein Teil der Gegenwart und der Gesellschaft. Er könne nicht erkennen, dass Friedrich dieses in Abrede gestellt habe. Die Geschichte und Kultur des Landes seien aber tatsächlich vom Christentum, vom Judentum und von der Aufklärung geprägt. «Da kann man also von einer historischen Prägung Deutschlands durch den Islam nicht reden», sagte Seibert.

Einen wütenden Verteidiger findet Friedrich in Spiegels Matussek:

Sagen wir es so: Ich habe einige muslimische Freunde. Trotzdem gehört der Islam nicht zu Deutschland, geschichtlich, er gehört nicht in unsere historisch-religiöse DNA, denn die ist, allen Unkenrufen zum Trotz, immer noch christlich.

Eine weitere Äußerung Friedrichs wirft ein Problem auf:
Die in der Bundesrepublik lebenden Menschen islamischen Glaubens gehörten aber natürlich zu Deutschland. Ihre Religion hingegen nicht.

Auf meinem Blog kommentiere ich das so:

Gibt es einen Islam ohne Muslime? Gibt es Muslime ohne Islam? Wie lässt sich beides praktisch trennen?

Das ist wie: Homosexuelle sind Bürger Deutschlands, Teil Deutschlands, gehören zu Deutschland — aber die Homosexualität – nicht?

Das würde Homosexuelle zu Bürgern zweiter Klasse machen. Etwas Wesentliches, Kennzeichnendes, die Identität Mitbestimmendes, sie von anderen markant und legitim Unterscheidendes wird ausgeschlossen.

So degradiert man Menschen.

Und tut dann scheinheilig so, als ob man den Menschen anerkennt – nur eben seine Homosexualität bzw. seine Religion nicht; die wird ausgegrenzt.

Naika Foroutan: Wir brauchen in Deutschland eine neue, gemeinsame Identität.

Ihr Beitrag im „Manifest der vielen“ findet sich auch im FREITAG. Worauf läuft dieser Gedanke hinaus?

Offensichtlich haben viele Menschen das Bedürfnis nach Vaterlandsliebe und Patriotismus, ebenso wie es bei vielen Menschen ein starkes Bedürfnis nach Religion und Glauben gibt.

Für Menschen, die religiös und national unmusikalisch sind, um mit Max Weber zu sprechen, sind diese Zugänge unmodern.

Für weite Teile der Bevölkerung, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, scheinen sie aber ein elementares Grundbedürfnis darzustellen – und auch darüber sollten wir reden.

Über unsere gemeinsame Identität im pluralen Deutschland: die neue deutsche Identität, die sich nicht über Herkunft definiert oder Religion und Kultur – denn genau diese Formen von Rassismus und Ausschluss gilt es zu überwinden.

Die neue deutsche Identität definiert sich über einen gemeinsamen Ausblick in die Zukunft eines heterogenen Deutschland in einem entgrenzten globalen Markt, einem entgrenzten globalen Raum. …

Auch wenn die Vergangenheit und die einzelnen Narrative die Menschen von­einander unterscheiden – die Vorstellung von einer gemeinsamen deutschen Identität könnte sie einigen.

Bernd Kastner hat in der Süddeutschen eine Verbindung des rechtspopulistischen Hetzportals PI und der Münchner CSU entdeckt:

Mehrere PI-Aktivisten sind Mitglied der CSU, Stürzenberger selbst ist erst 2010 beigetreten, obwohl er von 2003 bis 2004 Pressesprecher der Münchner CSU war. An führender Stelle will er zusammen mit anderen im Juni den Landesverband Bayern der neuen Partei „Die Freiheit“ gründen. Deren großes Vorbild ist der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders.

Das bringt die CSU in die Bredouille, die Münchner Partei-Oberen wirken alles andere als glücklich über Mitglieder à la Stürzenberger. „Sehr kritisch“ beobachte die CSU deren Aktivitäten, erklärt Parteichef Otmar Bernhard. „Kräfte, die sich gegen die Religionsfreiheit aussprechen, teilen nicht die Grundwerte der CSU und haben in der Mitte der CSU keinen Platz.“ Allein, ein Parteiausschluss ist an sehr hohe Hürden geknüpft.

Wenn sich „byzanz“ Stürzenberger an der Gründung des Konkurrenzunternehmens Die Freiheit in Bayern beteiligt, sollte diese Hürde leicht zu überspringen sein.

Die Islamische Gemeinde Penzberg steht wieder im Bayerischen Verfassungsschutzbericht.

Den Bayerischen Innenminister hat es nicht beeindruckt, dass Imam Idriz engagierte Unterstützer auch in seiner eigenen Partei hat: Alois Glück zum Beispiel, den Präsidenten des deutschen Katholikentages, oder Josef Schmid, den Chef der Münchner CSU. Auch die Bundesjustizministerin legt ihre Hand für Idriz und die Penzberger ins Feuer. Die Süddeutsche kommentiert am 4. März (nicht online):

Keine neuen Erkenntnisse also. Was legitimiert dann die Nennung, die schwerwiegende Folgen für die Gemeinde hat? Nichts! Sie nährt nur die Vermutung, dass die Erwähnung im Bericht von Anfang an politisch gewünscht war, um das Projekt einer islamischen Akademie, die der Penzberger Imam Benjamin Idriz in München errichten will, zu Fall zu bringen. Mittlerweile kann man den Eindruck gewinnen, dass das Innenministerium sich aus gekränkter Eitelkeit in diesen Kampf verbissen hat.

Und der schadet nicht nur den Penzbergern. Er schadet letztlich auch der Demokratie: Wenn die Muslime ihren Glauben an den Rechsstaat verlieren. Wenn das Vertrauen der Bürger in den Verfassungsschutz erschüttert wird, weil diese wichtige Behörde als Spielball der Politik missbraucht wird. Wochenschau

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