Migranten-Milieu Studie

Wo liegt der „Norden“ superdiverser Stadtgesellschaften?

Prof. Dr. Thomas Kunz, Vertretungsprofessor für das Fachgebiet „Soziale Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft“ an der Fachhochschule Frankfurt am Main, kommentiert die Studie „Migranten-Milieus“ des vhw (wir berichteten).

Von Montag, 09.11.2009, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 16:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Um es vorwegzunehmen: Es ist zu begrüßen, dass das Thema Migration auch in Milieustudien zunehmend den grundlegenden Stellenwert einnimmt, der ihm kraft seiner demografischen Bedeutung zukommt. Deutschland ist ein Einwanderungsland und die Kommunen und Städte sind seit Längerem die zentralen Orte, an denen Migration (und Integration) im wahrsten Sinnen des Wortes „stadt“finden. Dieser Bedeutung trägt die Studie (und auch ihre Vorläufer) Rechnung. Nachfolgend sollen einige Punkte herausgegriffen werden, um diese Innovation zu illustrieren.

Begrüßenswert ist zum einen die Anerkennung zunehmender Diversität, die sich in der Studie mittels der – wenn auch eher randständigen – Verwendung des Begriffes „superdivers“ vollzieht. Der Terminus Superdiversität kann als Antwort auf und Überwindung der Begrenztheiten und ethnisierenden Fixierungen des Begriffes Multikulturalität verstanden werden. Ob er diesen Anspruch tatsächlich zu erfüllen kann, muss die weitere Diskussion zeigen. Aber ein begrifflicher Anfang ist immerhin gemacht. Die Betonung des begrifflichen Unterschiedes und die umrissene Dynamik bei der Suche nach neuen, angemesseneren Kategorien, welche die integrationspolitischen Realitäten heutiger Stadtgesellschaften adäquater benennen, lässt sich auch am Beispiel der Diskussionen um neuere kommunale Integrationskonzepte belegen.

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So wird beispielsweise in Frankfurt am Main – über Jahrzehnte eine, wenn nicht die bundesdeutsche Vorzeigekommune, wenn es um städtische Integrationspolitik und deren Institutionalisierung ging – derzeit ein neues Integrationskonzept erarbeitet, welches dieser Diversität Rechnung zu tragen beansprucht. Und wesentlich ist hierbei auch die kritische (Selbst-)Infragestellung des in die Jahre gekommenen Begriffes Multikulturalität 1. Ebenso begrüßenswert an der vhw-Studie ist die generelle Betonung des Stellenwertes von Stadtentwicklung und der Bedeutung der sozialräumlichen Ebene für gesellschaftliche Integrationsprozesse in einer Einwanderungsgesellschaft. Mag diese Erkenntnis für Fachleute und Experten bereits seit Längerem zum Wissenskanon gehören: Es ist dennoch erfreulich, wenn dieser Sachverhalt durch die Publikation der Studie einmal mehr ins öffentliche Bewusstsein rückt.

Positiv zu erwähnen ist ferner, dass mit der Studie die in der bundesdeutschen Integrationsdiskussion häufig erkennbare Problemgruppenfixierung konterkariert wird. Mit der Feststellung, dass „Migranten der Schlüssel zur Stadtgesellschaft von morgen“ seien, wird deutlich, dass hier Innovations- und Impulspotenziale schlummern, die bislang noch gar nicht oder zu wenig wahrgenommen wurden. Ebenso spannend sind die Erkenntnisse, die sich mit Blick auf die Dynamik der Milieuentwicklung im Bevölkerungsteil der Menschen mit Migrationshintergrund abbilden lassen. Hier vermag die Studie einen interessanten Mosaikstein zur Sichtbarmachung sozialer Integrationsprozesse – und dem Beharrungsvermögen bestimmter (hier: traditioneller) Milieubereiche – beizusteuern. Gleichwohl gilt es, hierfür Ursachen zu benennen und zu diskutieren, welche Aussagen hieraus ableitbar sind. Auch auf die gezielte Vertiefung des Themas Integration entlang zentraler Bereiche (Staatsangehörigkeit, Sprachkenntnisse, Bildung) ist positiv hinzuweisen.

  1. vgl. Frankfurter Rundschau v. 27. August 2009, S. F6.
Meinung

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