Türkische Presse Europa

08.10.2009 – Sarrazin, Integration, Süssmuth

Die Europaausgaben türkischer Tageszeitungen berichten auch heute ausführlich über die öffentliche Debatte um den Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazin. Die enquete Kommission zu Einwanderung und Integration in Hessen sowie eine Rede von Rita Süssmuth sind die weiteren Themen des Tages.

Freitag, 09.10.2009, 8:06 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 24.08.2010, 23:09 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Zurücktreten oder zurückgetreten werden
Sebastian Edathy (SPD) hat in einem Interview mit der Bild-Zeitung gefordert, dass Thilo Sarrazin nach seiner Ausländer-Schelte in einem Kulturmagazin zurücktreten soll. Andernfalls solle vom Amt genommen werden. Edathy habe seine Forderung damit begründet, dass er diese Art bisher nur von der NPD kenne. Dies sei weder akzeptabel noch zu rechtfertigen. Hierüber berichtet die HÜRRIYET.

Auch die Einladung des Vorsitzenden der Türkisch-Deutschen Industrie und Handelkammer, Dr. Rainhardt Freiherr von Leoprecht, an Sarrazin findet Erwähnung. Freiherr von Leoprecht habe Sarrazin eingeladen, um ihm zu zeigen, auf welchen Gebieten Türken mittlerweile erfolgreich Geschäfte machen und was sie leisten.

___STEADY_PAYWALL___

Die ZAMAN hingegen berichtet über die Worte Cem Özdemirs, der Thilo Sarrazin ebenfalls den Rücktritt nahegelegt, dies aber nicht direkt gefordert habe. Außerdem kommen Soziologen zu Wort, die meinen, dass man Migranten in Bildungsfragen nicht beschuldigen dürfe. Die sei ungerecht angesichts der jahrelangen Vernachlässigung dieser Menschen. Schließlich schaut sich die ZAMAN-Redaktion, die Unterstützer von Thilo Sarrazin an – Ralf Giordano, Henry Broder und Necla Kelek – und fragt, was wohl passiert wäre, wenn Sarrazin nicht Muslime sondern Juden auf die gleiche Art und Weise kritisiert hätte.

In einem Kommentar in der ZAMAN stellt Dr. Latif Celik eine weitere Frage: „SPD, du auch?“ Laut Celik sind die Worte Thilo Sarrazins (SPD) geeignet, die politische Atmosphäre kurz bis mittelfristig zu ändern. Während des kalten Krieges habe Deutschland viel dafür getan, um Menschen nach West-Berlin zu locken. Als sich alle anderen zu schade dafür waren, hätten sich Türken dort niedergelassen und mit ihrer Arbeitskraft die Stadt mit zu dem gemacht, was sie heute ist. Angesichts dessen sei eine einfache Entschuldigung nicht ausreichend.

Enquete Kommission zu Einwanderung und Integration in Hessen
In Hessen, so die SABAH, habe die Landesregierung mit den Stimmen der SPD und den Grünen eine Enquete Kommission zu Einwanderung und Integration beschlossen. Die Kommission aus Experten und Abgeordneten soll in den nächsten zwei Jahren Chancen und Risiken von Einwanderung und Integration gründlich erfassen und analysieren.

Migranten werden ihre Identität niemals aufgeben
Unter dieser Überschrift berichtet die TÜRKIYE über die Worte Rita Süssmuths während einer Eröffnungsveranstaltung in Mannheim. Süssmuth habe in ihrer Rede betont, dass man von Migranten nicht verlangen dürfe, dass sie ihre Identität ablegen. Niemand dürfe auch erwarten, dass Migranten sagen, dass sie Deutsche sind. Es reiche aus, wenn sie „Ja“ zu Deutschland sagen.

Außerdem habe Süssmuth die Bedeutung des interreligiösen Dialogs sowie des „Wir-Gefühls“ hervorgehoben; man müsse gemeinsam handeln. Schließlich sei es auch wichtig, den Islam näher kennen zu lernen. Das veraltete und vorurteilsbehaftete Wissen, dass die Lehrer heute vermitteln, dürfe nicht wegweisend sein. Man habe sehr viele Gemeinsamkeiten. Türkische Presse Europa

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Risse sagt:

    „Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, forderte erneut den Rücktritt Sarrazins von seinem Posten bei der Bundesbank.! zu dieser Meldung muß ich mich wie folgt äußern:
    Die Interessenvertretung von pol oder sonsigen Organisationen ist legitim.Nicht einzusehen ist jedoch, daß eine türkische Org , dieses mal TFD, Stellung gegen einen Mann bezieht, der einfach mal Unwillkommenes artikuliert hat, was in vielen Schulabgänger- und Kriminalstatisken nachzulesen ist. Was ist nicht schon alles gegen Deutschland in Türkischen Gazetten und von Politikern u.a. im Zusammenhang mit den Kurden und Armeniern gesagt worden, ohne das es jemals zu Rücktrittsforderungen gegen die Urheber in der Türkei gekommen wäre. Demokratie heißt auch, Toleranz zu zeigen und nicht sofort mit dem Knüppel wie Rücktritt, Rechtsextrem usw zu toben.

    • Mehmet sagt:

      „Nicht einzusehen ist jedoch, daß eine türkische Org , dieses mal TFD, Stellung gegen einen Mann bezieht, der einfach mal Unwillkommenes artikuliert hat, was in vielen Schulabgänger- und Kriminalstatisken nachzulesen ist.“

      Dann zeigen sie mir die vielen Kriminalstatistiken. Ich bin gespannt!!!

    • Johanna sagt:

      Ich fordere den Rücktritt von Herrn Kolat, da er seinen Landsleuten mehr schadet als nützt.

  2. Markus Hill sagt:

    Zitat:
    „Als sich alle anderen zu schade dafür waren, hätten sich Türken dort niedergelassen und mit ihrer Arbeitskraft die Stadt mit zu dem gemacht, was sie heute ist. Angesichts dessen sei eine einfache Entschuldigung nicht ausreichend.“
    Die Formulierung erscheint mir recht merkwürdig. Übersetzungsfehler?
    So weit mir bekannt ist, war die wirtschaftliche Lage damals in der Türkei alles andere als rosig. So ganz ohne Grund (der muss trifftig sein) verlässt man seine Heimat nicht. Der Verdacht liegt nahe, dass man sich weniger als Entwicklungshelfer gesehen hat, sondern wegen Geld gekommen ist. Und wegen der schlechten Lage in der Türkei hat man Berlin auch nicht wieder verlassen. Und die Deutschen haben netterweise dieses Verlassen trotz Auslauf von Arbeitsverträgen von diesen „Wahlberlinern“ (aufgrund ökonomischer Zwänge, oft keinesfalls aus Lieber zur Stadt) nicht eingefordert. Viele von denen, die geblieben sind, haben es dann wohl „versiebt“ – die Kinder nicht richtig erzogen und jetzt sieht man halt die Folgen an Berliner Schulen (als ein Beispiel).
    Sarrazin deutet an (in zugegebenermassen oft unsachlicher Form), was die Türken dem Empfinden vieler Berliner und Deutschen nach (Bildungsmisere etc.) aus bestimmten Teilen der Stadt gemacht haben. Das Empfinden ist überwiegend keinesfalls positiv.Natürlich ist das nur ein Ausschnitt der Realität. Genauso, wie man hier oft gern das Beleidigtsein-Gefühl und das Betroffenheits-Gefühl von Migranten darstellt, könnte man doch einfach einmal die Gefühle von vielen Deutschen einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Im Verständnis-einfordern sind manche Migrantengruppen wohl recht engagiert, das sollte aber keineswegs eine Einbahnstrasse sein.
    Auf beiden Seiten lassen sich die Gefühle erst einmal nicht rational wegdiskutieren. Es soll sogar so sein, dass die Bewohner dieses Landes (Deutsche) auch Gefühle haben sollen und sich um ihr Land (die Zustände in Ihren Städten, Schulen etc.) sehr grosse Sorgen machen. Das mag der eine oder andere Vertreter bestimmter Migrantengruppen nicht verstehen, aber man sollte es zumindest doch einmal akzeptieren können als ein Ausdruck von momentaner Befindlichkeit. Das Medienecho beim Sarrazin-Interview spricht doch Bände über die Stimmung im Land. Ohne das da irgendwer gewalttätig wird, es wird kontrovers diskutiert. Eine positive Entwicklung in der Diskussion über Migrationsthemen ist erkennbar.

    • Johanna sagt:

      >“Als sich alle anderen zu schade dafür waren, hätten sich Türken dort niedergelassen und mit ihrer Arbeitskraft die Stadt mit zu dem gemacht, was sie heute ist. Angesichts dessen sei eine einfache Entschuldigung nicht ausreichend.”<

      Jedesmal, wenn ich diese Desinformation lese – die in ignoranten, türkeiverliebten Zirkeln weite Verbreitung erfahren hat – fasse ich mich ob der zugrunde liegenden Frechheit an den Kopf.

  3. Mehmet sagt:

    „Genauso, wie man hier oft gern das Beleidigtsein-Gefühl und das Betroffenheits-Gefühl von Migranten darstellt, könnte man doch einfach einmal die Gefühle von vielen Deutschen einfach einmal zur Kenntnis nehmen.“
    Wenn im Gegenzug die Gefühle der vielen Türken zur Kenntnis genommen werden, dann gerne. Bisher sieht man nur eine Schuldzuweisung.

    • Mehmet sagt:

      Ups, dieser Kommentar sollte als Antwort von Markus Hill betrachtet werden.

    • Mehmet sagt:

      „Sarrazin deutet an (in zugegebenermassen oft unsachlicher Form), was die Türken dem Empfinden vieler Berliner und Deutschen nach (Bildungsmisere etc.) aus bestimmten Teilen der Stadt gemacht haben.“

      Hier sieht man die einseitige Schuldzuweisung nochmal…

      • Markus Hill sagt:

        Mehmet, Sie sollten bitte mein Statement genau lesen:
        Ich habe von Empfindungen gesprochen, also sehr differenziert ausgedrückt, warum Sarrazin „seltsamerweise“ trotz wenig verzeilicher verbaler Ausfälle (in Ergänzung zu durchaus diskussionswürdigen Statements) in der deutschen Öffentlichkeit auch auf grosse Zustimmung stösst.
        Sie können meinen wegen immer wieder emotional argumentieren. Trotzdem bringt es uns beide vielleicht in Sache etwas weiter, wenn man sich bei der Diskussion mehr auf die Inhalte beim Gegenüber konzentriert.

    • Markus Hill sagt:

      Mehmet, dass wird doch getan. Vielleicht nicht immer im ausreichenden Masse, dass ist immer schwer zu gewährleisten. Zumindest erkenne ich als positiv, dass Sie da die Gefühle der Deutschen als Einflussfaktor in der Diskussion anerkennen.
      Es ist doch auch ein Spannungsverhältnis und auch ein Gefälle gegeben: Die Betroffenheit und Gefühle der Deutschen versus die der türkischen Migranten. Da Deutschland mehrheitlich von deutschen Staatsbürgern bewohnt ist, die auch dieses Gemeinwesen verantwortlich gestalten wollen, liegt es in der Natur der Sache, dass da das Verhältnis nicht immer ausgewogen erscheint. Ich will an dieser Stelle die möglicherweise überzogenen, verletzenden Äusserungen von Sarrazin nicht verteidigen. Nur die Empörung der möglicherweise „Verletzten“ steht hier wohl im Verhältnis zu der sich seit Jahre anstauenden Empörung in der deutschen „Mehrheitsgesellschaft“. Diese hat wohl oft das Gefühl (EMOTION – kann sachlich begründet sein, in Teilen oder auch überhaupt nicht), dass ihr durch bestimmte Gruppen in der türkischen Community „auf der Nase herumgetanzt wird“ und dass man wohl durch die öffentliche Berichterstattung (Verschweigen, Beschönigen, das Leugnen des Offensichtlichen/Political Correctness etc.) auch noch von bestimmten Medien durch indirekt für dumm gehalten bzw. verhöhnt wird.
      Ich rede Empfindungen von all den Leuten im Land, die Steuern zahlen (sich genauso über solche Missstände bei deutschen Bildungsfernen ärgern) – alle Nationalitäten eingschlossen. Auch der gut integrierte Türke/Asiate/Aussiedler ärgert sich oft über diese Missstände in den „türkischen Problembezirken“ und versteht oft nicht, warum viele Deutsche sich das im eigenen Land auch noch gefallen lassen. Gute türkische und indische Freunde von mir ärgern sich da ebenso, unabhängig ob repräsentativ oder nicht – es werden bestimmt nicht die einzigen sein
      Das sind Gefühle, Befindlichkeiten und Stimmungen, die man nicht per Knopfdruck aus den Menschen bekommt (natürlich – Gefühle haben alle Gruppen). Das macht ja die ganze Diskussion beim Thema Migration so schwer.
      Mir ist so ein „Kladderadatsch“ mit Sarrazin als Ventil für aufgestaute Befindlichkeiten lieber, als möglicherweise die Stimme des Stammtischs, die dann später womöglich auch nocht rechtsextrem wählt. Wenn Sie hier öfter die Statements von Deutschen („Bio-Deutschen“ lesen, wird Ihnen auffallen, dass viele von diesen gerade wegen dieser Rechtsradikalismusgefahr besorgt sind. (Wobei ich das nicht dramatisieren möchte – die Wahlergebnisse haben es wieder gezeigt und Deutschland ist noch nicht Holland).
      In Zukunft sollte aus den Reaktionen zu Sarrazin gelernt werden und auch bei harter, berechtigter Kritik darauf geachtet werden, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.
      Mir tut es leid, wenn Sie sich durch die Bemerkungen von Herrn Sarrazin persönlich getroffen fühlen sollten. Genauso, wie es mir leid tut für türkische Freunde von mir. Ich kann mir vorstellen, dass er Migranten Sie und andere nicht gemeint hat (da gab es ja auch Rest-%-Sätze von gut-integrierten Türken – wie immer man auch Integration definieren mag). Das ist jetzt meine Interpretation seiner Statements. Natürlich geht bei solchen Interviews scharfe Pointierung oft zu lasten von Differenzierung – Sarrazin hat sich für diesen Weg entschieden, ich hätte vielleicht eine andere Variante gewählt.
      PS:
      Kommunikation als Prozess bedeutet in der Regel oft Irritation/Missverständnis/Entäuschung und Missinterpretation – da tasten sich wohl alle Seiten in einem langen Verfahren langsam nach vorne.:-)

    • Markus Hill sagt:

      PS: Um einmal von den Thema einer vermeintlichen oder tatsächlichen Schuldzuweisung (bitte nicht übel nehmen: Eltern sind nun einmal für die Erziehung ihrer Kinder AUCH verantwortlich) wegzukommen, sind doch interessante Punkte auch beim STERN angestossen worden (Zitat):
      „Dass Thilo Sarrazin verschiedene Einwandergruppen miteinander vergleicht, ist absolut zulässig. Dass dieses Thema bei der jüngsten Sendung von “Hart aber fair” von Gastgeber Frank Plasberg nur gestreift wurde, ist unverständlich. Vietnamesen waren nicht geladen. Osteuropäer auch nicht. Schade. Dann hätte sich vielleicht Ayten Kilicarslan vom Dachverband Türkisch-Islamische Union (DITIB) fragen lassen müssen: Was können die, was ihr nicht könnt? Unermüdlich behaupten türkische Verbandsvertreter, man könne Einwanderer nicht vergleichen, ohne die Atmosphäre zu vergiften. Hinter dieser Abwehr steht die Angst vor der Blamage. Das ist verständlich. Aber dennoch könnten sich die Muslime mal heimlich und ganz verwegen beim Freitagsgebet in der Moschee fragen: Was können wir von den Asiaten, von den Osteuropäern, von den Juden lernen? Oder von anderen Türken?“
      QUELLE:
      Integrationsdebatte:
      STERN: Sarrazin hat recht
      Seit ein paar Tagen wird der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin nahezu stündlich gegeißelt – als Rassist, Volksverhetzer, Ausländerfeind. Aber hat er wirklich so unrecht mit seiner Kritik an der misslungenen Integration türkischer und arabischer Einwanderer? Eine Bestandsaufnahme von Gerda-Marie Schönfeld
      http://www.stern.de/politik/deutschland/integrationsdebatte-sarrazin-hat-recht-1513696.html
      Das „auch von anderen Türken“ halte ich übrigens auch für eine sehr konstruktive und wertschätzende Anmerkung. Das deutsche Magazin geht auch auch die Befindlichkeit der türkischen Migranten ein, es weisst auf die Angst vor Blamage hin.
      Jetzt steht wieder das Problem der Gewichtung in der öffentlichen Diskussion:
      Was wiegt schwerer – die Analyse und die Suche nach Lösungsansätzen oder die Betroffenheit des scheinbar „Sich-ertappt-fühlenden“?
      Ein Sachverhalt, den die jeweils betroffenen Seiten wohl ganz unterschiedlich gewichten. Ein ganz normaler Interessenkonflikt tritt hier zutage.