Rezension

Arabboy. Eine Jugend in Deutschland oder das kurze Leben des Rashid A.

"Arabboy" lässt kaum ein Diskussionspunkt der letzten Jahre aus. Für den Durchschnittsleser dürfte die Versuchung, das Leben von Arabboy zu pauschalisieren, nicht klein sein. Jedenfalls wird viel Stoff geboten. Dennoch vermittelt es nicht den Eindruck, als ginge es der Autorin darum.

Von Montag, 05.01.2009, 12:58 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.04.2011, 21:35 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Güner Balci 1, ein Gastarbeiterkind mit türkischem Migrationshintergrund, hat ein Buch mit dem Titel “Arabboy” geschrieben, in der es um Integration von Jugendlichen geht; mehr ein Roman als ein Sachbuch.

Die Geschichte von Rashid, Sohn einer libanesisch-palästinensischen Familie, ist packend. Wer sich ein Bild von einem ausländischen Wiederholungstäter machen und wissen möchte, was sie antreibt, wie sie ticken, sollte das Buch lesen. Güner Balci gewährt in “Arabboy” nicht nur ein Blick hinter die harte Fassade dieser Jugendlichen, die Autorin hat auch dargelegt, was die Ursachen und Beweggründe sind. Ihre Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume sind von denen eines Otto-Normal-Verbrauchers nicht weit entfernt, doch treibt sie die Hoffnungslosigkeit und das “Gesetz der Straße”, in der sie sich tagtäglich behaupten müssen, in die falsche Richtung.

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Ich habe “Arabboy” stets unter dem Einfluss des Namens Necla Kelek auf dem Buchcover gelesen. War ständig auf der Suche nach Pauschalisierungen. Ehrenmord, Zwangsheirat, patriarchalische und gewalttätige Väter, hoffnungslose junge Mädchen und Mütter, versalzen mit einer Priese Religion. Das Buch lässt kaum ein Diskussionspunkt der letzten Jahre aus. Die gesamte Palette ist vertreten. Für den Durchschnittsleser dürfte die Versuchung, das Leben Rashid’s zu pauschalisieren, nicht klein sein. Jedenfalls wird viel Stoff geboten. Dennoch vermittelt es mir – im Gegensatz zu Kelek – nicht den Eindruck, als ginge es der Autorin darum.

Die Umstände in Deutschland, mit denen das Leben eines “Arabboys” beginnt, werden ebenso authentisch erzählt, wie die Situation der hoffnungslos überforderten Eltern, die meist aus Krisengebieten geflüchtet sind, selten eine Bildung genossen haben, aus einem ganz anderen Kulturkreis stammen und meist unvorbereitet – gepaart mit falschen und überzogenen Vorstellungen – mit Deutschland konfrontiert werden. Es sickert durch, dass diese Menschen nicht von Grund auf schlecht sind, sondern auch Opfer eines ebenfalls überforderten Aufnahmelandes sind. Das Geld, das Vater Staat den Flüchtlingen monatlich in die Taschen steckt, ist nichts anderes als der 100 DM-Geldschein in der Hosentasche von Rashid an seinem ersten Schultag allein in der Schule, während alle anderen Kinder von ihren Eltern begleitet, umsorgt und fotografiert werden.

Um ein Kopfschütteln kommt man nicht umhin, wenn man erfährt, wie Sozialeinrichtungen für Jugendliche geführt, betreut und finanziert werden. Der staatliche Versuch, Jugendliche mit unterfinanzierten Einrichtungen und überforderten Sozialarbeitern von der Straße zu holen, könnte nicht hoffnungsloser sein.

Sehr gelungen ist vor allem der im Grunde paradoxe und in Deutschland weit verbreitete, von der Mehrheitsgesellschaft größtenteils befürwortete Gedanke, gewalttätige Jugendliche in die Heimat zurückzuschicken. Deutschland, das von seinen Einwanderern ständig Heimatgefühle fordert, vermittelt Rashid durch die Abschiebung aber gerade, dass Deutschland eben nicht seine Heimat ist. Rashid aber würde alles geben, um in seiner Heimat “Berlin” bleiben zu dürfen.

Nimmt und begreift der Leser die Geschichte um Rashid als ein Schicksal eines Jungen, dass in anderen Variationen sicher und leider nicht nur einmal vorkommt, ist “Arabboy” empfehlenswert. Es fördert das Verständnis und lässt hinter die Mauer schauen. Ist der Leser aber geneigt, die Geschichte um Rashid auch auf andere zu projezieren, sollte er lieber die Finger vom Buch lassen. Es hilft dem Leser nicht, Rashid nicht, dem redlichen Ausländer um die Ecke nicht und Deutschland erst Recht nicht. Rashid’s leben ist ein Extrembeispiel, in der viel zusammenkommt und keinesfalls typisch für Ausländer ist. Allenfalls die Ausgangssituation, mit der viele Leben in Deutschland beginnen, dürfte kein Einzelfall sein.

Leseprobe von Arabboy (Vorwort in PDF)
Presseinformation zu Arabboy

Das Buch “Arabboy. Eine Jugend in Deutschland oder das kurze Leben des Rashid A.” zu bestellen bei Amazon: Erscheinungsdatum 9. September 2008, 288 Seiten, Fischer, S., Verlag GmbH

  1. Die Eltern der Autorin sind in den 60er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Güner Yasemin Balci ist 1975 in Berlin-Neukölln geboren und aufgewachsen. Sie studierte Erziehungs- und Literaturwissenschaft und arbeitete im Modellprojekt “Kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention” im sozialen Brennpunkt Neuköllns, im Rollbergviertel, sowie im Mädchentreff MaDonna mit Jugendlichen aus türkischen und arabischen Familien. Heute ist sie Redakteurin für das ZDF-Magazin Frontal21.
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