In Gedenken an Marwa El Sherbiny

Fragen, die bis heute nicht beantwortet worden sind

Heute vor fünf Jahren wurde Alex Wiens, der Mörder von Marwa El Sherbiny, am Landgericht Dresden zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Damit ist der Fall für Politik, Medien und die Justiz abgeschlossen – trotz offener Fragen. Ein Rückblick von Sabine Schiffer.

Von Dienstag, 11.11.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.11.2014, 19:59 Uhr Lesedauer: 13 Minuten  |  

Als die fast 32-jährige Apothekerin Dr. Marwa Ali El Sherbiny am 1. Juli 2009 von Alexander Wiens erstochen wurde, befand sie sich anlässlich eines Berufungsverfahrens im Dresdner Landgericht. Wiens war bereits zu einer Geldstrafe von 320,- Euro verurteilt worden, weil er die junge Mutter im Herbst 2008 auf einem Spielplatz als „Terroristin“ und „Islamistin“ beleidigt hatte. Die hinzu gerufene Polizei nahm sie mit und bis heute geht ihr Ehemann Elwy Okaz davon aus, dass sie lediglich als Zeugin ein Protokoll unterschrieben hatte, während die Polizei sie eine Anzeige unterschreiben ließ.

Die Verurteilung hatten sowohl Wiens als auch die Staatsanwaltschaft angefochten. Der eine hatte kein Einsehen und die andere hielt das Strafmaß für zu gering, setzte sich also im Sinne des Opfers ein. Marwa hätte beim Berufungsverfahren eigentlich gar nicht anwesend sein müssen, da ihre Aussage bereits schriftlich vorlag, aber einer der Schöffen bestand auf erneuter Vorladung. Mustafa, der kleine Sohn war am 1. Juli 2009 kränklich und wurde von seinen Eltern mitgenommen. Elwy Okaz hatte sich für den Prozess frei genommen, um seine Frau zu diesem unangenehmen Termin zu begleiten. Er beschreibt später, wie enttäuscht sie waren, als sie erkannten, dass man es ihnen nicht ersparen würde, dem Mann zu begegnen, der Marwa so unflätig und aggressiv beschimpft hatte.

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Durch die bis dato übliche Anordnung von Anklagebank und Zeugenstand, saß Alexander Wiens direkt vor der Tür des Gerichtssaals, einem kleinen Nebensaal im Erdgeschoss des Landgerichts. Nach der Aussage mussten alle drei direkt an Wiens vorbei zur Tür gehen und in diesem Moment stach dieser auf die Zeugin ein.

Bezüglich dieses Überfalls gibt es verschiedene Erzählungen und widersprüchliche Helden- und Fluchtgeschichten. Fakt ist, dass der Täter Zeit für 18 Messerstiche hatte und dass der Verteidigungskampf des Ehemanns mit dem Mörder durch einen Schuss auf den Ehemann aus einer Polizeipistole endete. Niemand konnte dem zu Hilfe gerufenen Polizisten zurufen, wer der Täter war von den beiden kämpfenden Männern, weil alle Prozessbeteiligten aus dem Raum geflohen waren und sich im Nachbarraum eingeschlossen hatten. Das Kind ließen sie dabei zurück. Deshalb schoss der Polizist auf denjenigen, den er offenbar für den Täter hielt. Okaz, der mit 16 Messerstichen verletzt war und dem der gezielte Schuss ins Bein die Aorta zertrümmerte, fiel ins Koma. Der Mörder blieb unverletzt.

Die Berichterstattung über die tragischen Ereignisse löste Entsetzen und eine sofortige Diskussion über die Sicherheit in Gerichten aus. Das Institut für Medienverantwortung erreichten viele Anfragen von Muslimen, was denn genau passiert sei in Dresden und wie das Ereignis einzuschätzen sei. Dies machte uns auf die lückenhafte Berichterstattung aufmerksam, und es schien uns nach Prüfung der bis dato zugänglichen Fakten geboten, mit einer Pressemitteilung auf die offensichtlich islamfeindlichen Hintergründe der Tat aufmerksam zu machen und baten um eine umfassendere Berichterstattung sowie kritischere Recherche auch in Bezug auf das mögliche Wirken stereotyper Medienbilder über Araber und Muslime.

In der Pressemitteilung vom 3. Juli 2009 mit dem Titel „Beim Namen nennen: antiislamischer Mord in Deutschland“ hieß es:

Mit Bestürzung haben wir die Nachricht wie auch die Art der Berichterstattung über die antiislamische Messerattacke in Dresden aufgenommen. Mit Kategorisierungen durch Begriffe wie „ausländerfeindlich“ oder „rassistisch“ wird versucht die Tatsache zu umgehen, dass die antiislamische Agitation, die wir seit rund 30 Jahren beobachten und seit etlichen Jahren anmahnen, eine neue Stufe erreicht hat.

Dass bisherige Bemühungen um eine Versachlichung der Diskussionen um Islam und Muslime bei weitem nicht ausreichen, zeigt diese Tat wie auch die Tatsache, dass der Ehemann des Opfers von einem Polizisten angeschossen wurde – nicht der tatsächliche Täter. Ob dies etwas mit dem Aussehen der Betroffenen zu tun hat, wäre in einem Gutachten zu prüfen. Statt hier Alarm zu schlagen im Sinne einer Vierten Gewalt, verlegt man sich medial eher auf Straftatberichterstattung as usual – Russlanddeutscher, also nicht unser Problem.

Dabei ist eine solche Tat, in der der Täter sein Opfer als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpfte, ein eindeutiges Signal, dass die Saat der antiislamischen Hassprediger wie auch deren Pendants der sinn-induktiven Verknüpfung von Gewaltthemen mit Symbolen des Islams in den Mainstream-Medien aufgeht. Wenn sich die Politik weiterhin wie bisher dilettantisch mit dem Erstarken eines antiislamischen Ressentiments als Ausdruck von Meinungsfreiheit befasst und Probleme ausschließlich aufseiten von Muslimen vermutet, werden wir die längst gerufenen Geister bald nicht mehr bändigen können. Es gab nie eine Multi-Kulti-Idylle in Deutschland und von der sind wir auch heute wieder ganz sicher und sehr weit entfernt.

Unser Mitgefühl gilt der Familie des Opfers! Unsere Sorge uns allen ohne Ausnahme.

Leitartikel Meinung Politik

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  1. humanoid sagt:

    danke frau doktor schiffer

    sie sind eine stimme der vernunft und wahrheit in zeiten von hass und lügen .

  2. surviver sagt:

    Soviel ich weiß, wurde dieser Vorfall von Marwa el Sherbiny von den Medien schön Totgeschwiegen.