Offener Brief

Wir sind keine Schlitzaugen

Im Rahmen der Ausstellung „I love NK“ hat sich der Berliner Theaterhaus Heimathafen Neukölln ein Fauxpass erlaubt. Trotz zahlreichen Beschwerden wurde ein für asiatische Menschen unzweifelhaft verletzendes Bild gezeigt. Auf dem Foto war eine blonde weiße Frau zu sehen, die mit ihren Fingern ihre Augen zu „Schlitzen“ hochzieht. In einem offenen Brief fordern zahlreiche Unterzeichner nun eine offizielle Entschuldigung.

Dienstag, 18.02.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.02.2014, 7:32 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Sehr geehrte Stefanie Aehnelt,

da Sie die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Heimathafen Neukölln (Berlin) sind, wenden wir uns mit einem offenen Brief an Sie. Wir haben zu unserem Entsetzen erfahren, dass bis zum 04. Februar 2014 über einen längeren Zeitraum hinweg trotz eingegangener Beschwerden der Heimathafen Neukölln im Rahmen seiner Ausstellung „I love NK“ ein für asiatische Menschen unzweifelhaft verletzendes Bild gezeigt hat. Auf diesem Foto ist eine blonde weiße Frau in einem weißen Heimathafen-T-Shirt mit dem Aufdruck „I love NK“ in einer ostasiatisch anmutenden Parkanlage zu sehen. Ihr grinsendes Gesicht reproduziert ein altes und sehr herabsetzendes rassistisches Stereotyp, indem sie mit ihren Fingern ihre Augen zu „Schlitzen“ hochzieht.

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Als belesene und kulturell gebildete Personen sind wir uns sicher einig, dass diese Darstellung anti-asiatischen Rassismus fördert. Das Bild vermittelt die Macht, als überlegen fühlende Weiße in Blackfacing-Manier sich über „asiatisch“ Aussehende lustig zu machen und dabei ihr Gesicht zu einer Grimasse zu deformieren. Sowohl die zynische Karikatur (ost)asiatischer Menschen als hinterhältige Unmenschen als auch der Mythos der „Schlitzaugen“ als typisch ostasiatische Attribute verfügen über eine jahrhundertalte kolonial-rassistische Tradierung. Auch die publizistische Kultur in Deutschland engagierte sich stark im Kampf gegen die „gelbe Gefahr“ und bemühte gerne solche biologistischen Feindbilder. Umso erschreckender ist daher der Umstand, dass diese rassistische Entgleisung als aktueller künstlerischer Beitrag im Heimathafen Neukölln in einem offiziellen Rahmen über einen längeren Zeitraum hinweg öffentlich präsentiert wurde. Dabei ist nicht die Frage entscheidend, ob die Absicht rassistisch motiviert war, sondern die Tatsache, dass diese Grimasse eine rassistische Wirkung besitzt. Hinzu kommt, dass der verletzende Bildbeitrag als Teil der Ausstellung geplant war und sich daher keineswegs spontan oder zufällig ereignet hat.

Vor dem Hintergrund, dass der Heimathafen Neukölln sich als Volkstheater versteht und mit dieser Aktion weltweit für das interkulturelle Zusammenleben in Berlin-Neukölln werben will, ist der hier offensichtlich zelebrierte anti-asiatische Rassismus besonders schwerwiegend und bedauerlich. Wir haben bereits von vielen Menschen aus der asiatischen Community in Neukölln und darüber hinaus zahlreiche Reaktionen erhalten; viele sind zutiefst verunsichert und besorgt, dass sich selbst Kulturinstitutionen an der anti-asiatischen Stimmungsmache beteiligen und eigens produzierte rassistische Bilder verbreiten.

Wir fordern die Leitung des Heimathafen Neukölln auf, Verantwortung zu übernehmen und sich umgehend öffentlich zu entschuldigen. Ferner fordern wir Sie nachdrücklich dazu auf, diese künstlerische Entgleisung in der Öffentlichkeit lückenlos und vorbehaltlos aufzuklären und bitten Sie auf folgende Fragen einzugehen:

  1. Wie ist diese Ausstellung zustande gekommen? Wer hat sie kuratiert? Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der Bildmotive für die Ausstellung?
  2. Welche Gründe haben die künstlerische Leitung bzw. die Kuratierenden dazu bewogen, dieses Bild als vermeintlich positiven Kulturbeitrag in der Ausstellung zu präsentieren?
  3. Welche Intentionen und Ziele waren mit dieser Auswahlentscheidung verbunden?
  4. Wie kann durch ein solches Bildmotiv die Botschaft der Ausstellung „I love NK“ positiv transportiert werden? Sie schreiben in einer Antwort auf einen Protestbrief: „Wir begegnen allen Kulturen mit Respekt und Humor“. Wir fragen uns, inwieweit das inzwischen abgehängte Bild „allen Kulturen mit Respekt und Humor“ begegnet. Solche zynisch wirkende Antworten vermitteln den Eindruck, dass der Heimathafen über Tage und Wochen hinweg der Auffassung ist, dass mit verletzenden und diskriminierenden Bildern im Sinne der Werte des Heimathafens Volkstheater auf Kosten von Minderheiten gemacht werden kann. Wir haben eine andere Auffassung von Demokratie, kulturellem Respekt und institutioneller Verantwortung gegenüber der Diskriminierungsfreiheit in der Migrationsgesellschaft.
  5. Seit wann haben Sie Kenntnis darüber, dass dieses rassistische Bild als verletzend wahrgenommen wird? Uns ist bekannt, dass spätestens am 29.01.2014 erste Protestschreiben im Heimathafen Neukölln eingegangen sind. Warum hat es bis zum 04.02.2014 gedauert bis diese Beschwerden ernstgenommen und das verletzende Bild abgehängt wurde?
  6. Haben die Ausstellungsmacher_innen bzw. hat die künstlerische Leitung des Heimathafen Neukölln den rassistischen Gehalt dieses Bildes (nicht) erkannt?
  7. Wurde zuvor reflektiert, wie asiatische Menschen im In- und Ausland dieses Bild empfinden werden? Waren die verletzenden Auswirkungen für Sie nicht absehbar bzw. erwartbar oder spielen solche Überlegungen in Ihrer Projekt- und Öffentlichkeitsarbeit keine Rolle? Sie haben in einem Antwortschreiben auf eine Beschwerde ausgeführt, dass Sie keine Rücksicht auf „oberflächliche political correctness“ zu nehmen bräuchten. Wie ist diese Aussage in diesem konkreten Fall zu verstehen?
  8. Sehen Sie einen Widerspruch zwischen der von Ihnen definierten Form der künstlerischen Freiheit und anti-rassistischen Prinzipien wie etwa der Wertschätzung von Nicht-Diskriminierung und interkultureller Willkommenskultur? War es für die künstlerische Leitung selbst nach besorgten Nachfragen nicht erkennbar, dass das stereotypisierende Bild keinen positiven Beitrag für diese Ziele leisten kann?
  9. Der Heimathafen Neukölln hat in vorangegangenen Antworten auf Beschwerden von Ausstellungsbesucher_innen und besorgten Einzelpersonen seine interkulturelle Expertise und die langjährige Erfahrung bei der Bearbeitung von Migrationsthemen hervorgehoben. Wie ist diese Kompetenz mit der unkritischen Auswahl dieses Bildmotivs und der wiederholt laxen Reaktion auf Beschwerden vereinbar?
  10. Hat das künstlerische Qualitätssicherungssystem in Ihrem Haus in diesem Fall versagt?
  11. Wie will der Heimathafen Neukölln zukünftig sicherstellen, dass in seiner Kulturarbeit rassistische Diskurse und ausgrenzende Botschaften nicht mehr in die Öffentlichkeit transportiert werden?
  12. Was plant der Heimathafen Neukölln nach diesem rassistischen Vorfall zu tun, um asiatisch markierten Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass wir in diesen Räumen uns kulturell wie menschlich wohl fühlen können und hier willkommen sind?
  13. Wir fordern Sie auf, in Ihren Räumen zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu dieser Problematik einzuladen und Mitteln für die Durchführung bereitzustellen (wie Aufwandsentschädigung, Fahrt- und Hotelkosten). Bei der Konzeption, Organisation als auch auf dem Podium müssen Vertreter_innen der deutsch-asiatischen Community gleichberechtigt beteiligt sein.
  14. Da ein fundiertes Wissen über Asiatische Deutsche, unsere Selbstwahrnehmungen und Perspektiven sowie über unseren diasporischen Kulturpraktiken anscheinend im Heimathafen fehlt, weisen wir Sie auf folgende Publikationen hin: Nächste Woche erscheint das Dossier „Asian Germany – Asiatische Diaspora in Germany“ im Migrationsportal der Heinrich Böll Stiftung (http://heimatkunde.boell.de). Ferner ist April 2013 im Kultur- und Gesellschaftsmagazin „freitext“ ein Sonderheft zu diesem Thema erschienen. Außerdem ist im Berliner Verlag Assoziation A das Buch „Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond“ (2012) veröffentlicht worden. Gerne empfehlen wir Ihnen bei Interesse weitere Literaturhinweise zur kulturellen Weiterbildung.

Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit und bitten Sie eindringlich um Stellungnahme zu unseren Fragen und Forderungen. Über eine baldige Antwort würden wir uns freuen. Da dieses Problem ein öffentliches ist und sich in der Öffentlichkeit ereignet hat, behalten wir uns das Recht vor, alle Reaktionen auf diesen offenen Brief publik zu machen.

Die Liste der Unterzeichner finden sie auf der nächsten Seite Aktuell Meinung

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  1. H.P.Barkam sagt:

    Ich habe den obigen Beitrag zweimal gelesen und mir die beeindruckende Liste der Kritiker angesehen.
    Es gibt scheinbar doch viele – wenn ich mir die Unterschriftenliste betrachte – sehr viele eigentlich vernünftige Menschen, die eine merkwürdige Angst haben, als rassistisch eingestuft zu werden. Dass sich neuerdings immer mehr Verbands- und Vereinsvertreter befleißigt fühlen, in allem und bei jedem Rassismus anzuprangern, heißt noch lange nicht, dass dies zu Recht geschieht.
    Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind zweifelsohne die mit Abstand größten gesellschaftlichen Übel, sind gerade in Deutschland ein riesiges Problem.
    Trotzdem sollten nicht nur die obigen Unterzeichner, sondern wir uns alle überlegen, ob kleine politische Fehlverhalten schlimmer sind, als die Freiheit der Kunst zu unterdrücken und damit auch ein nicht opportunes, nicht dem momentanen Zeitgeist unterliegendes Denken.
    Es ist doch gerade die Stärke einer freien Gesellschaft, sich und den Alltag durch bildhafte Verzerrungen, Satire und Ironie darstellen zu können.

    In diesem Sinne

  2. Pingback: korientation Aktion: "Wir sind keine Schlitzaugen!" | korientation e.V.

  3. C. Ban sagt:

    Augenscheinlich scheint H.P. Barkam
    1.Beleidigung,
    2.negative Stereotypisierung augrund von ethnischen Merkmalen,
    3. Zuschreibung kolonialistischer Merkmale und eines gesellschaftlichen Standes aufgrund von Ethnizität
    4. Verfestigung von rassistischen Vorurteilen
    als gerechtfertigt zu sehen, wenn es als Freiheit der Kunst ausgeübt wird. unter dem Motto „Nun, das darf man noch noch sagen oder?“

    Folgerung: das Recht auf freie Ausübung der Kunst steht über dem Recht auf Menschenwürde, inkl. GG §§ 1, Satz 1, 2, Satz 2, 3, Satz 3.

    Rassismus gliedert sich in (1) Einteilung von Menschen nach der Rassentheorie (2) Theorie über Überlegenheit / Hierarchie unter den Rassen und (3) Zustimmung und Verbreitung rassistischer Ideen.
    […]

    In diesem Sinne

  4. Cemal sagt:

    Wowww gute Lobbyarbeit! Ich finde die Liste stark, schön bunt und hoffe, dass in der Zukunft noch weitere solcher kultur- und ethnienübergreifender Zusammenschlüsse sich ergeben. Nur so sind wir startk. Selbstorganisation und Flagge zeigen heißt die Devise!

  5. Freddy Eynsford-Hill sagt:

    Ich bin durch den Artikel in der ZEIT hierhergekommen, um mir den Brief mal durchzulesen. Als Deutscher, der im Ausland aufgewachsen ist und dort lange Jahre gelebt hat und bald wieder ins Ausland gehen wird, kann ich über Alltagsrassismus ein Wörtchen mitreden. Und ich finde, man sollte sich nicht immer so anstellen. Wenn ich an jeden, der mich aufgrund meiner Nationalität blöd behandelt hat, einen offenen Brief schreiben würde, hätte ich einiges zu tun. Und wir reden hier nicht von Begriffen à la „Schlitzauge“, sondern von viel ernsteren Beleidigungen.

    Was mich aber viel mehr aufregt – und da hätte ich gerne eine Stellungnahme Ihrer Initiative – warum verwenden Sie den Begriff „Asiate“ und als Gegenpart den Begriff „Weißer“? Warum schreiben Sie nicht „Gelbe“ und „Weiße“ oder „Asiaten“ und „Europäer“? Ich finde diesen Ausdruck ebenfalls rassistisch, vor allem in diesem Kontext.

  6. Andreas sagt:

    Liebe Schreiber und Unterzeichner des offenen Briefs,
    bei allen euren hehren Motiven habt ihr leider vergessen, dass es moralisch nicht möglich ist, sich für seine (Un-)Taten zu entschuldigen. Das wäre doch zu einfach, sich mit solch einer gerne geforderten Geste reinzuwaschen. Es ist nur möglich, um Entschuldigung oder Verzeihung zu bitten. Die Gewährung derselben liegt dann bei der verletzten Person oder Gruppe. Eine öffentliche Entschuldigung ist ein beliebtes Ritual, das alle glücklich macht, dem aber mangels echter Einbeziehung der Betroffenen die moralische Berechtigung fehlt. Also bitte in Zukunft nicht nur öffentlich ethische Missstände anprangern, sondern vorher überlegen, ob der eigene Sprachgebrauch wirklich der bessere ist. Vielen Dank.

  7. KNH sagt:

    ich will nur darauf hinweisen, dass die neuesten Informationen und weiterführende Hintergrundberichte zu diesem Fall hier zu finden sind:
    http://www.korientation.de/08/02/2014/offener-brief-wir-sind-keine-schlitzaugen-heimathafen-neukolln/

  8. Pingback: Offener Brief an Heimathafen Neukölln: Wir sind keine "Schlitzaugen"! | korientation e.V.

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