Religionsmonitor

Mehrheit der Deutschen findet religiöse Vielfalt bereichernd

Die Mehrheit der Menschen sind religiös und die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen überwiegen. Dennoch gibt es große Vorbehalte gegenüber dem Islam. Stereotype scheinen entscheidend zu sein.

Montag, 29.04.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Rund 85 Prozent der Menschen in Deutschland sagen, dass man allen Religionen gegenüber offen sein sollte – in den westlichen Bundesländern sind es sogar 87 Prozent. Auch der Aussage, dass jede Religion einen wahren Kern hat, stimmen 67 Prozent der Bevölkerung zu. Und 60 Prozent der Befragten empfinden die wachsende religiöse Vielfalt als eine Bereicherung.

Allerdings erkennen noch mehr Befragte (64 Prozent) darin eine Ursache für Konflikte. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung. Für die repräsentative Studie zur gesellschaftlichen Bedeutung von Religion und Werten wurden in Deutschland sowie in zwölf anderen Ländern umfangreiche Daten erhoben.

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Mehrheit religiös
Die Ergebnisse zeigen, dass die Zentren hoher Religiosität heute außerhalb Europas liegen: die Türkei (82 Prozent), Brasilien (74 Prozent) Indien (70 Prozent) und die USA (67 Prozent) weisen die größten Anteile derjenigen auf, die angeben „mittel“, „ziemlich“ oder „sehr religiös“ zu sein. In Schweden (28 Prozent) und Israel (31 Prozent) liegt dieser Wert am niedrigsten. Deutschland liegt mit 57 Prozent der Personen, die dies angeben, in der Mitte (Ostdeutschland 26 Prozent, Westdeutschland 64 Prozent).

Doch auch in Deutschland und Europa ist die Mehrheit der Menschen religiös. „Religion ist ein wesentlicher Faktor für das Denken und Handeln der Menschen, denn sie gibt Orientierung und Sinn“, betont Liz Mohn, stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung. Man solle aber nicht vergessen, dass unterschiedliche Religionen, wenn sie aufeinanderstoßen, auch Konfliktpotenzial besitzen.

Echte Begegnungen weniger entscheidend als Stereotype
So sehen 51 Prozent der Befragten in Deutschland den Islam eher als Bedrohung an, in Ostdeutschland, wo es kaum Muslime gibt, sind sogar 57 Prozent dieser Auffassung. Auch das Judentum halten 19 Prozent der Befragten in Deutschland für eine Bedrohung. „Für die negative Einschätzung nicht-christlicher Religionen sind offenbar echte Begegnungen weniger entscheidend als die Stereotype, die über sie verbreitet werden“, erklärt Stephan Vopel, Programmleiter der Bertelsmann Stiftung. „Die Daten des Religionsmonitors belegen, dass der persönliche Kontakt mit Menschen anderer Religionen eng verbunden ist mit einer höheren Aufgeschlossenheit ihnen gegenüber.“

Der Religionsmonitor: Mit dem Religionsmonitor 2013 stellt die Bertelsmann Stiftung ein Instrument zur Verfügung, das es erlaubt, die Wechselwirkungen zwischen Religion, Werten und Zusammenhalt in der Gesellschaft genauer zu beleuchten. An dem internationalen Projekt haben Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen mitgewirkt. In die Auswertung sind Antworten von 14.000 Menschen aus 13 Ländern auf rund 100 Fragen eingeflossen. Ein zentraler Anspruch des Religionsmonitors ist es, durch wissenschaftliche Erkenntnisse die Verständigung zwischen den Religionen und den Dialog zwischen Religion und Gesellschaft zu befördern. Herunterladen kann man den Religionsmonitor hier.

Insgesamt fällt auf, dass die Ablehnung des Islam ein Phänomen der westlichen Welt zu sein scheint. So fühlen sich die Menschen auch in Spanien (60 Prozent), den USA (42 Prozent), der Schweiz (50 Prozent) und Israel (76 Prozent) vom Islam bedroht; deutlich weniger stark dagegen jene in Südkorea (16 Prozent) oder Indien (30 Prozent). Auf der anderen Seite nehmen 32 Prozent der Befragten in der Türkei und 27 Prozent der Israelis das Christentum als Bedrohung wahr. 50 Prozent der Befragten in Deutschland lehnen die Aussage ab, dass der Islam in die westliche Welt passe. Die höchsten Ablehnungswerte finden sich in Europa in Spanien mit 65 Prozent und in der Schweiz mit 58 Prozent, der niedrigste Wert findet sich in Großbritannien mit 45 Prozent.

Bildung = Offenheit
Neben dem persönlichen Kontakt mit Menschen anderer Religionen hängen auch eine höhere Bildung sowie eine bessere wirtschaftliche Lage mit größerer Offenheit gegenüber anderen Religionen zusammen. Zudem wirkt der eigene Glaube als Brückenbauer: So neigen religiöse Menschen eher dazu, die zunehmende religiöse Vielfalt als Bereicherung wahrzunehmen.

Der Religionsmonitor macht noch ein Weiteres deutlich: Eine überwältigende Zustimmung zur Demokratie als Regierungsform und zur Trennung von Religion und Politik über alle Glaubensrichtungen hinweg. Hierin unterscheiden sich die Ergebnisse in Deutschland kaum von denen der übrigen untersuchten Länder. Die höchste Zustimmung zur Demokratie findet sich in Schweden (95 Prozent), die niedrigste mit immerhin 79 Prozent in Großbritannien. In Deutschland halten 88 Prozent der Christen, 79 Prozent der Muslime und 80 Prozent der Konfessionslosen die demokratische Regierungsform für gut. „Diese Antworten stimmen in Bezug auf die Stärke und Akzeptanz unseres Regierungssystems zuversichtlich“, analysiert Stephan Vopel. „Die Sorge, dass religiöse Dogmatiker und Fundamentalisten unsere Demokratien unterwandern könnten, erweist sich als unbegründet.“

Unterschiedliche Werte
Jenseits des breiten Konsenses zu demokratischen Grundwerten legt der Religionsmonitor unterschiedliche Haltungen zu ausgewählten ethischen Grundsatzfragen offen. Die Konfliktlinien verlaufen dabei zwischen den Religionen, aber auch zwischen den christlichen Konfessionen: So sprechen sich 62 Prozent der Protestanten für ein grundsätzliches Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch aus. Unter den Katholiken wie auch den Muslimen vertritt nur eine Minderheit diese Auffassung (46 bzw. 35 Prozent). Dass Homosexuelle die Möglichkeit haben sollten, zu heiraten, finden immerhin 70 Prozent der Katholiken und stellen sich damit gegen die Lehrmeinung ihrer eigenen Amtskirche. Unter den Muslimen ist die Zustimmung mit 48 Prozent deutlich geringer. Konfessionslose vertreten in allen Fragen eher liberale Positionen.

„Es ist eine der großen Herausforderungen moderner Gesellschaften, ein friedliches Miteinander der Menschen mit unterschiedlichen Werten und Überzeugungen zu ermöglichen“, betont die stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, Liz Mohn. Der Wandel hin zu mehr Vielfalt sei unumkehrbar, daher müsse die Kompetenz im Umgang damit gefördert werden. „Die persönliche Begegnung mit anderen Religionen ist dafür ein Türöffner, denn sie trägt zum besseren gegenseitigen Verstehen bei.“ Das gelte auch für ethische Konfliktthemen, bei denen die Meinungen weit auseinandergehen: „Hierfür brauchen wir geeignete öffentliche Räume, in denen diese Fragen gemeinsam diskutiert und verhandelt werden können.“ (eb) Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. malenki lizard sagt:

    Schweden wird doch hier immer als Musterland gelobt. Man sieht, geringe Religiosität und hohes Demokratieverständnis und Humanismus gehen scheinbar Hand in Hand. Ist ja auch besser, als sich ständig die Köpfe einzuschlagen, wer den besseren Gott/Propheten hat, oder?

  2. Einspruch sagt:

    Mehrheit der Deutschen findet religiöse Vielfalt bereichernd

    aber nur auf Religionen die sich im Privaten abspielen und einem quasi guttun. Also nichts was anstrengt, abverlangt und regulierend ist. Und dazu gehören eindeutig alle monotheistischen Religionen.

    @malenki lizard
    Schweden wird doch hier immer als Musterland gelobt. Man sieht, geringe Religiosität und hohes Demokratieverständnis und Humanismus gehen scheinbar Hand in Hand. Ist ja auch besser, als sich ständig die Köpfe einzuschlagen, wer den besseren Gott/Propheten hat, oder?

    Hm, wir haben wohl unterschiedliche Informationen oder eine unterschiedliche Wahnehmung. Wie auch immer.
    Wenn Schweden das Musterländle in Sachen Integration und Problemlösung ist wieso sitzen dann viele jüdische Schweden, Franzosen etc. in ganz Westeuropa auf gepackten Koffern??