Tiefes Misstrauen

Ausländer in der DDR

Nach Außen präsentierte sich die DDR Weltoffen. Wie war es aber wirklich - insbesonder in Bezug auf Fremde? Welcher Umgang wurde mit anderen Kulturen, Lebenseinstellungen und Weltanschauungen gepflegt? Dr. Heidrun Budde ging diesen Fragen nach.

Von Heidrun Budde Dienstag, 02.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.10.2012, 6:19 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Nach dem Zusammenbruch des SED-Staates fand das Thema des Umgangs mit Ausländern in der DDR kaum Beachtung. Doch es ist notwendig, sich diesen Fragen zuzuwenden, denn die einstmals geheim gehaltenen Akten belegen ein tiefes Misstrauen gegenüber jeglichen fremden Einflüssen, eine anmaßende willkürliche Kontrolle und eine gewollte strikte Abgrenzung zu ausländischen Mitbürgern.
Der Grundsatz aus Artikel 86 der DDR-Verfassung, wonach die sozialistische Staats- und Rechtsordnung „Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit“ bei der Rechtsdurchsetzung zu garantieren hatte, verkommt bei näherer Betrachtung zu einer politischen Phrase.

1. Willkür beim Aufenthaltsrecht
Die veröffentlichten Rechtsvorschriften beantworteten die Frage nicht, unter welchen Voraussetzungen Ausländern der Aufenthalt in der DDR genehmigt wurde. Diese Regelungen unterlagen der strikten Geheimhaltung. Einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Asyl gab es nicht. 1 Bei der Entscheidungsfindung stand nicht die Situation des Antragstellers im Vordergrund, sondern das nationale Interesse der DDR. Das belegt eine Aufnahmemöglichkeit „aus anderen politischen Gründen“, die in einer vertraulichen Vorschrift des Innenministers aufgeführt wird:

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„Der Aufenthalt aus anderen politischen Gründen kann Personen gewährt werden, bei denen keine Asylgründe vorliegen, jedoch der Aufenthalt in der DDR wegen ihres Eintretens für den gesellschaftlichen Fortschritt erforderlich wird bzw. aus anderen politischen Gründen, die im staatlichen oder gesellschaftlichen Interesse der DDR oder anderer sozialistischer Staaten liegen.“ 2

Jeder international gesuchte Terrorist konnte in der DDR Unterschlupf finden, wenn die SED-Funktionäre der Meinung waren, dass der „gesellschaftliche Fortschritt“ die kriminellen Machenschaften rechtfertigte. Die Aufnahmeentscheidung war absolut willkürlich und wurde kollektiv mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED herbeigeführt. Die Aufgabe der Koordinierung lag in den Händen des Ministeriums des Innern.

Das SED-Regime prüfte intern sorgfältig, welche Ausländer aufgenommen wurden und doch war das Misstrauen grundsätzlicher Art, denn die nachfolgende heimliche Überwachung war wohl organisiert.

2. Personenakten
Ausländer, die in der DDR Asyl bekamen oder die sich längere Zeit befristet zur Berufsausübung oder zum Studium in der DDR aufhielten, bekamen von Anfang an eine geheim geführte Personenakte, auch Ausländerakte genannt. Ein konkreter Anfangsverdacht für eine Straftat war für das Anlegen dieser Akten nicht Voraussetzung. Die Registrierung erfolgte durch die Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter (Abt. PM der VPKÄ) des Hauptwohnsitzes.

Die VPKÄ vor Ort hatten die Kontrolle der Ausländer „differenziert nach der Staatsbürgerschaft, der Art und Dauer des Aufenthaltes sowie unter Beachtung der Persönlichkeit und des bisherigen Verhaltens“ vorzunehmen. Dazu wurden konkrete Kontrollaufgaben an den Abschnittsbevollmächtigten der Polizei (ABV), dem zuständigen Volkspolizisten am Wohnort, erteilt. Das Ziel war, allumfassend über das Leben der Ausländer informiert zu werden, insbesondere über den Lebenswandel und über Kontakte, die zu DDR-Bürgern geknüpft wurden.

In der geheimen DV 041/77 des Innenministers ist heute nachzulesen, was früher zu ermitteln war:

  • „Verhalten am Wohn- bzw. Aufenthaltsort, an den Studien-, Lehr- und Ausbildungseinrichtungen und Arbeitsstellen sowie Verbindungen und Kontakte zu dritten Personen;
  • Einhaltung der mit der Genehmigung für den Aufenthalt ausgesprochenen Auflagen sowie der Normen des sozialistischen Rechts und der sozialistischen Moral, insbesondere der Arbeitsmoral und Disziplin;
  • Verhalten vor, während und nach der Durchführung von Reisen nach außerhalb der DDR;
  • Häufigkeit und Gründe der Ausreisen nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin;
  • Gründe und Dauer für wiederholt zeitweilige Abwesenheit vom Wohn- bzw. Aufenthaltsort.“
Ausländerakte von politischen Emigranten. Akte DO 1/9.0/502005 Bundesarchiv © Budde

Ausländerakte von politischen Emigranten. Akte DO 1/9.0/502005 Bundesarchiv © Budde

Nichts blieb verborgen, keine freundschaftlichen Kontakte zu DDR-Bürgern, keine Liebesverhältnisse, keine sozialismusfeindlichen Äußerungen und keine Verhaltensweisen, die irgendwelche heimlichen Aufpasser als nicht der „sozialistischen Moral“ entsprechend einordneten. Wie gründlich die Beobachtung erfolgte, soll anhand einer Personenakte aufgezeigt werden.

2.1. Die Personenakte von Xantipos E.
1950 erhielt der Grieche Xantipos E. politisches Asyl in der DDR. 3 Seine Akte weist auf, dass er kontinuierlich heimlich kontrolliert wurde, obwohl er ein völlig unauffälliges Familienleben führte. Auszüge aus den Berichten sollen aufzeigen, welche Informationen über 20 Jahre lang erfasst wurden.

11.12.1961:
„Seiner Arbeit geht er regelmäßig nach. Leumund ist gut, desweiteren auch seine Einstellung zur DDR. Gesellschaftliche Arbeit leistet er nicht. Verstoßen gegen die Gesetze oder Verordnungen der DDR hat er noch nicht. Vom Heimleiter wird er als ein ruhiger Mensch bezeichnet. Besuche von Ausländern erfolgt durch eine Regelung der gegenseitigen Besuche in der DDR. E. fährt nicht nach Berlin.“

20.8.1962:
„Die Obengenannten sind seit 14 Tagen verheiratet und haben keine Kinder. (…)Beide gehen regelmäßig ihrer Arbeit nach und haben eine gute Arbeitsmoral. Ihre sozialen und familiären Verhältnisse sind geordnet. Im Heim werden sie bestens beleumundet. Ihr moralisches Verhalten in der Öffentlichkeit ist in jeder Beziehung einwandfrei. In gesellschaftspolitischer Hinsicht arbeiten beide im Wohnbezirk nicht mit. Über ihre Einstellung zu unserem Arbeiter und Bauern Staat kann nichts genaues berichtet werden, da sie sich nur wenig in politische Diskussionen einlassen. Die Familie E. verkehrt in keinen bestimmten Gaststätten, noch in einem bestimmten Personenkreis.“

30.11.1964:
„E. ist verheiratet und hat ein Kind von 2 Jahren. (…) Die wirtschaftlichen und Familienverhältnisse sind geordnet. Er ist parteilos und beteiligt sich nicht am gesellschaftspolitischen Leben des Wohngebietes. Seine Einstellung zur DDR ist positiv. Verstöße gegen Gesetze und Verordnungen liegen nicht vor, desweiteren gibt es keine Beschwerden seitens der Hausbewohner. (…) An Hausversammlungen beteiligt er sich und spendet auch bei Sammlungen der NF.“

10.11.1970:
„Die Fam. hat im Haus und in der Nachbarschaft einen guten Leumund. Die fam. und wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet. Am gesellschaftlichen und politischen Leben im Wohnbezirk nehmen sie nur wenig Anteil. Ihre Einstellung gegenüber der DDR und SU ist zurückhaltend. An bisher durchgeführten Pflegearbeiten am Hause nahmen sie teil. Anläßlich von Staatsfeiertagen ist keine Beflaggung ersichtlich. Im Jahre 1970 war die Mutter von Herrn E. aus Rumänien zu Besuch. Ansonsten wurden keinerlei Verbindungen nach WD (Westdeutschland), WB(Westberlin) oder zu kap. Ausland bekannt.“

  1. Art. 23 III DDR Verfassung 1974.
  2. Punkt 2.1. der Dienstvorschrift Nr. 041/77 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über den Aufenthalt von Personen, die nicht Staatsbürger der DDR sind, in der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1976, erlassen als „Vertrauliche Verschlußsache I 020 801“. Quelle: Bundesarchiv.
  3. „Akten ehemaliger politischer Emigranten“, Aktenzeichen DO 1/9.0/502002, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde.
Leitartikel Meinung

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  1. saggse sagt:

    „Anhand dieser Auszüge wird sicherlich deutlich, mit welcher unverschämten Selbstverständlichkeit das Privatleben der Ausländer heimlich observiert wurde. Der Polizist im Wohngebiet befragte unterschiedliche zuverlässige „Auskunftspersonen“ im Haus, in Kneipen, auf der Arbeitsstelle oder an der Universität, um dann festzuhalten, dass die „familiären Verhältnisse geordnet waren“. Der Ausländer war vom Wohlwollen dieser befragten DDR-Bürger abhängig, ohne dass er diese Informationen selbst kannte.“

    Was will die Autorin dieses Artikels eigentlich beweisen ? Daß in der DDR Ausländer genauso überwacht wurden wie die autochtone Bevölkerung ? Man könnte also sagen, daß es in der DDR keine Diskriminierung gab, weil alle gleichmäßig diskriminiert worden sind.

  2. AHA sagt:

    Also aus erster Hand hatte ich von Ostdeutschen und deren Geschichten auch schon mitgekriegt das z.B. die Vietnamesen als Fidschis bezeichnet wurden. Es gab keineswegs irgendwelche Bestrebungen ausserhalb einer Berufsausbildung irgendwo wirkliche völkerverbindenden Tätigkeiten zu kreiren. Die Floskel der sozialistischen Brüderschaft blieb die ganze Zeit über eine eben solche ohne wirklichen Wert. Und das war letztlich sogar gegenüber den anderen Warschauer Pakt Waffenbrüdern nicht anders.

  3. daweed sagt:

    @AHA:

    „Die Floskel der sozialistischen Brüderschaft blieb die ganze Zeit über eine eben solche ohne wirklichen Wert.“

    Zum Glück kann ich aus erster Hand (ohne Hörensagen!) berichten, dass sieser Kommentar Schwachsinn ist.

    Denn es gab sicher aufgrund der Mangelwirtschaft in vielen Freundes- und Familienkreisen, immer einen der jemanden kannte, der dies oder jenes besorgen oder machen kann.
    In Mehrfamielienhäuser saßen oftmals alle Mieter zusammen, zum Feierabendbierchen und Gesprächen über Gott und die Welt…

    Und falls dir meine Behauptungen nicht reichen, kann gerne Angela Davis fragen, wie das war mit der Solidarität:

    http://scienceblogs.de/zeittaucher/2010/08/22/wer-erinnert-sich-an-die-solidaritatskampagne-fur-angela-davis-zeitzeugen-gesucht/

  4. S. Busch sagt:

    Ja, so war das. Die Vietnamesen in Berlin wurden in eigenen Wohnheimen untergebracht, der Aufenthalt war auf eine bestimmte Dauer befristet. Der Kontakt zu der deutschen Bevölkerung wurde so gut es ging erschwert, war nicht gewollt. Bestand eine zwischenmenschliche Beziehung zwischen einem Vietnamesen und einem Deutschen, wurde diese sogar dadurch beendet, dass der/die Vietnamese nach hause geschickt wurde, auch wenn ein gemeinsames Kind unterwegs war.

  5. AHA sagt:

    @daweed

    Äh hier geht es nicht um innergesellschaftliches Miteinander der Deutschen, Das mag durchaus stimmen. Der Artikel handelt vom Umgang der DDR Bürger mit ausländischen „sozialistischen Brüdern“. Und ich habe noch mit hineingebracht wie sich die Brüder untereinander teilweise behandelt haben. Brüderlichkeit empfanden wohl nur noch die die von der Ideologie noch voll durchdrungen waren. Zur Wendezeit ging ich mit meiner Familie mehrmals nach Ungarn in Urlaub. In einem Häkelgeschäft wollte eine ostdeutsche Urlauberin gerne etwas gesticktes kaufen. Tja, die wollten aber kein DDR Blechgeld. Meine Mutter hatte ihr dann weil sie schon fast am weinen war das entsprechende Teil gekauft. Das nur mal so zur sozialistischen Bruderschaft.