Tiefes Misstrauen

Ausländer in der DDR

Nach Außen präsentierte sich die DDR Weltoffen. Wie war es aber wirklich – insbesonder in Bezug auf Fremde? Welcher Umgang wurde mit anderen Kulturen, Lebenseinstellungen und Weltanschauungen gepflegt? Dr. Heidrun Budde ging diesen Fragen nach.

Nach dem Zusammenbruch des SED-Staates fand das Thema des Umgangs mit Ausländern in der DDR kaum Beachtung. Doch es ist notwendig, sich diesen Fragen zuzuwenden, denn die einstmals geheim gehaltenen Akten belegen ein tiefes Misstrauen gegenüber jeglichen fremden Einflüssen, eine anmaßende willkürliche Kontrolle und eine gewollte strikte Abgrenzung zu ausländischen Mitbürgern.
Der Grundsatz aus Artikel 86 der DDR-Verfassung, wonach die sozialistische Staats- und Rechtsordnung „Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit“ bei der Rechtsdurchsetzung zu garantieren hatte, verkommt bei näherer Betrachtung zu einer politischen Phrase.

1. Willkür beim Aufenthaltsrecht
Die veröffentlichten Rechtsvorschriften beantworteten die Frage nicht, unter welchen Voraussetzungen Ausländern der Aufenthalt in der DDR genehmigt wurde. Diese Regelungen unterlagen der strikten Geheimhaltung. Einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Asyl gab es nicht. 1 Bei der Entscheidungsfindung stand nicht die Situation des Antragstellers im Vordergrund, sondern das nationale Interesse der DDR. Das belegt eine Aufnahmemöglichkeit „aus anderen politischen Gründen“, die in einer vertraulichen Vorschrift des Innenministers aufgeführt wird:

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„Der Aufenthalt aus anderen politischen Gründen kann Personen gewährt werden, bei denen keine Asylgründe vorliegen, jedoch der Aufenthalt in der DDR wegen ihres Eintretens für den gesellschaftlichen Fortschritt erforderlich wird bzw. aus anderen politischen Gründen, die im staatlichen oder gesellschaftlichen Interesse der DDR oder anderer sozialistischer Staaten liegen.“ 2

Jeder international gesuchte Terrorist konnte in der DDR Unterschlupf finden, wenn die SED-Funktionäre der Meinung waren, dass der „gesellschaftliche Fortschritt“ die kriminellen Machenschaften rechtfertigte. Die Aufnahmeentscheidung war absolut willkürlich und wurde kollektiv mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED herbeigeführt. Die Aufgabe der Koordinierung lag in den Händen des Ministeriums des Innern.

Das SED-Regime prüfte intern sorgfältig, welche Ausländer aufgenommen wurden und doch war das Misstrauen grundsätzlicher Art, denn die nachfolgende heimliche Überwachung war wohl organisiert.

2. Personenakten
Ausländer, die in der DDR Asyl bekamen oder die sich längere Zeit befristet zur Berufsausübung oder zum Studium in der DDR aufhielten, bekamen von Anfang an eine geheim geführte Personenakte, auch Ausländerakte genannt. Ein konkreter Anfangsverdacht für eine Straftat war für das Anlegen dieser Akten nicht Voraussetzung. Die Registrierung erfolgte durch die Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter (Abt. PM der VPKÄ) des Hauptwohnsitzes.

Die VPKÄ vor Ort hatten die Kontrolle der Ausländer „differenziert nach der Staatsbürgerschaft, der Art und Dauer des Aufenthaltes sowie unter Beachtung der Persönlichkeit und des bisherigen Verhaltens“ vorzunehmen. Dazu wurden konkrete Kontrollaufgaben an den Abschnittsbevollmächtigten der Polizei (ABV), dem zuständigen Volkspolizisten am Wohnort, erteilt. Das Ziel war, allumfassend über das Leben der Ausländer informiert zu werden, insbesondere über den Lebenswandel und über Kontakte, die zu DDR-Bürgern geknüpft wurden.

In der geheimen DV 041/77 des Innenministers ist heute nachzulesen, was früher zu ermitteln war:

Ausländerakte von politischen Emigranten. Akte DO 1/9.0/502005 Bundesarchiv © Budde

Nichts blieb verborgen, keine freundschaftlichen Kontakte zu DDR-Bürgern, keine Liebesverhältnisse, keine sozialismusfeindlichen Äußerungen und keine Verhaltensweisen, die irgendwelche heimlichen Aufpasser als nicht der „sozialistischen Moral“ entsprechend einordneten. Wie gründlich die Beobachtung erfolgte, soll anhand einer Personenakte aufgezeigt werden.

2.1. Die Personenakte von Xantipos E.
1950 erhielt der Grieche Xantipos E. politisches Asyl in der DDR. 3 Seine Akte weist auf, dass er kontinuierlich heimlich kontrolliert wurde, obwohl er ein völlig unauffälliges Familienleben führte. Auszüge aus den Berichten sollen aufzeigen, welche Informationen über 20 Jahre lang erfasst wurden.

11.12.1961:
„Seiner Arbeit geht er regelmäßig nach. Leumund ist gut, desweiteren auch seine Einstellung zur DDR. Gesellschaftliche Arbeit leistet er nicht. Verstoßen gegen die Gesetze oder Verordnungen der DDR hat er noch nicht. Vom Heimleiter wird er als ein ruhiger Mensch bezeichnet. Besuche von Ausländern erfolgt durch eine Regelung der gegenseitigen Besuche in der DDR. E. fährt nicht nach Berlin.“

20.8.1962:
„Die Obengenannten sind seit 14 Tagen verheiratet und haben keine Kinder. (…)Beide gehen regelmäßig ihrer Arbeit nach und haben eine gute Arbeitsmoral. Ihre sozialen und familiären Verhältnisse sind geordnet. Im Heim werden sie bestens beleumundet. Ihr moralisches Verhalten in der Öffentlichkeit ist in jeder Beziehung einwandfrei. In gesellschaftspolitischer Hinsicht arbeiten beide im Wohnbezirk nicht mit. Über ihre Einstellung zu unserem Arbeiter und Bauern Staat kann nichts genaues berichtet werden, da sie sich nur wenig in politische Diskussionen einlassen. Die Familie E. verkehrt in keinen bestimmten Gaststätten, noch in einem bestimmten Personenkreis.“

30.11.1964:
„E. ist verheiratet und hat ein Kind von 2 Jahren. (…) Die wirtschaftlichen und Familienverhältnisse sind geordnet. Er ist parteilos und beteiligt sich nicht am gesellschaftspolitischen Leben des Wohngebietes. Seine Einstellung zur DDR ist positiv. Verstöße gegen Gesetze und Verordnungen liegen nicht vor, desweiteren gibt es keine Beschwerden seitens der Hausbewohner. (…) An Hausversammlungen beteiligt er sich und spendet auch bei Sammlungen der NF.“

10.11.1970:
„Die Fam. hat im Haus und in der Nachbarschaft einen guten Leumund. Die fam. und wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet. Am gesellschaftlichen und politischen Leben im Wohnbezirk nehmen sie nur wenig Anteil. Ihre Einstellung gegenüber der DDR und SU ist zurückhaltend. An bisher durchgeführten Pflegearbeiten am Hause nahmen sie teil. Anläßlich von Staatsfeiertagen ist keine Beflaggung ersichtlich. Im Jahre 1970 war die Mutter von Herrn E. aus Rumänien zu Besuch. Ansonsten wurden keinerlei Verbindungen nach WD (Westdeutschland), WB(Westberlin) oder zu kap. Ausland bekannt.“

Anhand dieser Auszüge wird sicherlich deutlich, mit welcher unverschämten Selbstverständlichkeit das Privatleben der Ausländer heimlich observiert wurde. Der Polizist im Wohngebiet befragte unterschiedliche zuverlässige „Auskunftspersonen“ im Haus, in Kneipen, auf der Arbeitsstelle oder an der Universität, um dann festzuhalten, dass die „familiären Verhältnisse geordnet waren“. Der Ausländer war vom Wohlwollen dieser befragten DDR-Bürger abhängig, ohne dass er diese Informationen selbst kannte. Wenn die interne „Begutachtung“ seiner Person negativ ausfiel, wurde die Aufenthaltsgenehmigung kurzerhand ohne Rechtsschutz entzogen. 4
Die Akten belegen, dass diese Verfahrensweise der heimlichen Überwachung auch nach der Aufnahme der DDR in die UNO ohne Änderungen fortgesetzt wurde. Am 31. Januar 1985 verfasste die Polizei z. B. einen „Ermittlungsbericht“ über eine Frau aus Laos, in dem u. a. zu lesen ist:

„Die Genannte lebt seit 1982 in der DDR (…) Sie arbeitet als Kinderärztin in der Kinderpoliklinik (…)Die Genannte lebt in guten Verhältnissen in (…). Zu ihrer Familie, die in Laos lebt, hat sie engen brieflichen Kontakt. Im Wohngebiet ist über die Genannte nichts nachteiliges bekannt. Sie gilt als freundlich und wird von den Hausbewohnern geachtet. (…) 5

Nicht jede gegebene Auskunft hinter dem Rücken der Ausländer war boshaft, aber viel wichtiger ist die Erkenntnis, dass diese vom Staat gewollte Umgangsweise den DDR-Bürgern eine nationale Überheblichkeit suggerierte. Ausländer waren keine gleichberechtigten Mitbürger auf Zeit. Es waren Fremde, die argwöhnisch beobachtet wurden und die jederzeit mit der Ausweisung ohne Rechtsschutz rechnen mussten.

3. Kontakte unerwünscht
Aufgrund dieser lückenlosen Überwachung waren die DDR-Behörden bestens über bestehende Kontakte zwischen Ausländern und DDR-Bürgern informiert und heute zeigt sich, wie ablehnend das SED-Regime mit diesen sich entwickelnden Freundschaften und Liebesverhältnissen umging.

Rostock war mit dem großen Überseehafen die Stadt der Seefahrt. Der Beruf des Seemanns war überaus begehrt, weil die DDR-Bürger dadurch ein wenig Weltoffenheit genießen konnten. Allerdings lag im Verborgenen, nach welchen Kriterien der Zugang zu diesem Beruf genehmigt oder versagt wurde. Kurz nach dem Zusammenbruch der DDR sicherten Bürgerrechtler einen Panzerschrank mit einstmals geheim gehaltenen Akten, die aufzeigen, dass diese Entscheidungen absolut willkürlich getroffen wurden und dass Kontakte zu Ausländern durchaus für den Verlust des Seemannsberufes ursächlich waren. Hier einige Beispiele: 6

Elektriker Oleg K. (12.9.1980): „Es wurde festgestellt, daß die Eltern des Gen. K. Verbindungen zu ehemaligen sowjetischen Bürgern in der BRD aufgenommen haben. Aus Sicherheitsgründen kann er nicht mehr zur See fahren.“

Vollmatrose Mike S. (31.1.1986): „Der Gen. S. hatte laut Information der Schiffsleitung vom 18.11.1985 einen Antrag auf Eheschließung mit einer vietnamesischen Bürgerin gestellt. Nach klärender Aussprache erklärte Gen. S., daß er seinen Antrag nach gründlichem Durchdenken nicht mehr aufrecht erhält und die Kontakte abbricht. Festlegung: In Anerkenntnis seiner bisherigen Entwicklung und seines jetzt bezogenen Standpunktes wird dem weiteren seeseitigen Einsatz zugestimmt. Sein Einsatz hat in einer anderen Relation zu erfolgen.“

Schiffsoffizier Peter M. (7.6.1985): „Die familiären Verhältnisse des Gen. M. sind nicht geordnet. Durch Kontakte seiner Ehefrau zu ausländischen Bürgern ist Gen. M. gefährdet. Er bezieht dazu keine eindeutige Position. (…)“

Offizier für elektrische Anlagen (16.11.1979): „K. unterhält Verbindungen zu einer Niederländerin (gemeinsames Kind). K. war im Besitz von Hetzschriften aus China. Entscheidung: Aufhebungsvertrag anbieten. Streichung des Sichtvermerkes beantragen.“

Wirtschaftshelferin Petra V. (29.10.1982): „Die Genn. V. mußte wegen Intimkontakten mit einem Mitarbeiter des Stena Reisebüros gesperrt werden. Die daraus entstandene Schwangerschaft ließ Genn. V. unterbrechen. Die Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Verkehr sind bei der Genn. V. nicht mehr vorhanden. Festlegungen: Der Sichtvermerk der Genn. V. ist aus kaderpolitischen Gründen zu streichen. Das Seefahrtsbuch ist einzuziehen und zur Streichung des Sichtvermerks weiterzuleiten. Mit Genn. V. ist auf der Grundlage des § 54 des AGB das Arbeitsrechtsverhältnis zu lösen.“

In keiner Rechtsvorschrift war damals nachzulesen, dass Kontakte mit Ausländern zu derartigen beruflichen Konsequenzen führten. Den Seeleuten wurde lediglich die Entscheidung mitgeteilt, dass es mit dem Traumberuf vorbei war, ohne Begründung und ohne Rechtsschutz. 7

4. Fazit
In der DDR wurde jegliche Fremdheit nicht als Bereicherung des Zusammenlebens, sondern als Bedrohung der zwangsverordneten Ideologie angesehen. Einen unbefangenen Umgang mit anderen Kulturen, Lebenseinstellungen und Weltanschauungen gab es nicht. Tiefes Misstrauen herrschte hinter der zur Schau getragenen, angeblichen Weltoffenheit.

Der tatsächliche anmaßende und willkürliche Umgang mit ausländischen Mitbürgern ist ein trauriges Erbe der DDR und ausländerfeindliche Übergriffe in den so genannten neuen Bundesländern haben auch (neben anderen Ursachen) darin ihre Wurzeln.

Die DDR wollte international anerkannt sein, trat in der UNO selbstbewusst auf und verkündete immer wieder, dass die Menschenrechte im „Sozialismus“ verwirklicht wurden. Wie sehr die SED-Funktionäre aber eine Bloßstellung ihrer tatsächlichen Umgangsweise vor der Weltöffentlichkeit fürchteten, weil sie genau wussten, dass selbst die Verfassung aus politischen Gründen konterkariert wurde, zeigt heute eine einstmals geheime Vorschrift des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, vom 15. Mai 1984 auf:

„(…) Aktivitäten zur Erzwingung von Übersiedlungen im Zusammenwirken mit (…) anderen feindlichen Stellen oder Personen im Ausland, wie der sogenannten Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, (…) sind als Staatsverbrechen zu verfolgen (§§ 99 und 100 StGB).“ 8

Die Straftatbestände § 99 „Landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ waren mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 12 Jahren und § 100 „Landesverräterische Agententätigkeit“ mit bis zu 10 Jahren bedroht. DDR-Bürger, die sich auf international anerkannte Menschenrechte beriefen und internationale Organisationen um Hilfe baten, wurden kurzerhand kriminalisiert, alles dem politischen Zweck unterworfen, den mühsam aufgebauten, geschönten Anschein des SED-Staates im Ausland zu erhalten.

Hinter der Fassade des SED-Regimes offenbart sich heute das Gesicht einer primitiven, spießbürgerlichen Diktatur, der ich die Merkmale Fiktion, Lüge, Misswirtschaft, Selbstentfremdung, Kontrolle und Bestrafung zuordne. 9

Das ganze Ausmaß der öffentlichen Lüge ist bisher nur in Ansätzen bekannt. Die einstige strikte Geheimhaltung der tatsächlichen Vorgehensweise und die Vernichtung vieler belastender Akten sind dafür ursächlich. Doch ein realistischer Rückblick wird nur dann gelingen, wenn die Komplexität des damaligen gesellschaftlichen Vorgehens gründlich aufgeklärt wird.

  1. Art. 23 III DDR Verfassung 1974.
  2. Punkt 2.1. der Dienstvorschrift Nr. 041/77 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über den Aufenthalt von Personen, die nicht Staatsbürger der DDR sind, in der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1976, erlassen als „Vertrauliche Verschlußsache I 020 801“. Quelle: Bundesarchiv.
  3. „Akten ehemaliger politischer Emigranten“, Aktenzeichen DO 1/9.0/502002, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde.
  4. Siehe Budde, Rechtlos, VR 2009 (307-310). Hier wird aufgezeigt, wie einem Iraner sein Sohn willkürlich in der DDR entzogen wurde.
  5. Quelle: Archiv der Polizeidirektion Neubrandenburg. Das Dokument ist abgedruckt in Budde, Voyeure im Namen des Sozialismus Ehe Ost-West nach 1972, 1. Aufl. 1999, S. 44.
  6. Quelle: Stadtarchiv Rostock.
  7. Jeder Seemann benötigte für das Überschreiten der Staatsgrenze einen Pass. Das Seefahrtsbuch war Passersatz und musste einen gültigen Sichtvermerk haben. Dieser Vermerk wurde immer nur befristet erteilt. Der Entzug bedurfte keiner Begründung und es gab auch keinen Rechtsschutz gegen diese Entscheidung. Siehe Anordnung über die An- und Abmusterung von Seeleuten vom 28 April 1960. In: Gesetzblatt der DDR Teil I Nr. 34, S. 356.
  8. Mielke „Orientierung zur Strafverfolgung bei Aktivitäten zur Erreichung der Übersiedlung im Zusammenhang mit diplomatischen Vertretungen nichtsozialistischer Staaten“ vom 15. Mai 1984 VVS MfS o008-45/84, BStU-Außenstelle Rostock.
  9. Siehe Budde, Gestohlene Seelen, 2. Aufl. 2008.