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Verwaltung (Symbolfoto) © Verwaltung @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Digitale Behörden

Warum die neue Online-Welt viele Migranten ausschließt

Viele Behördenangebote werden digital. Für Migranten entstehen dabei zusätzliche Hürden, weil wichtige Hilfsmittel der persönlichen Kommunikation online wegfallen - und viele Portale schwer verständlich sind.

Sonntag, 07.12.2025, 0:51 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.12.2025, 15:55 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die Digitalisierung der deutschen Verwaltung gilt als Fortschritt: weniger Papier, weniger Wartezeiten, weniger Stress. Doch für viele Menschen mit Migrationserfahrung – vor allem für neu angekommene Geflüchtete – bedeutet dieser Wandel vor allem eines: neue Hürden, die sie alleine kaum überwinden können.

Während der klassische Behördengang zumindest die Chance bot, sich mit Gesten, Blicken oder einer Mischung aus wenigen Worten und viel Intuition verständlich zu machen, entfällt dieser menschliche Raum im Netz vollständig. Was bleibt, sind starre Formulare, technische Stolpersteine und eine digitale Verwaltungswelt, die oft an denen vorbeigeht, die sie am dringendsten brauchen.

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Wenn Behörden digital werden, aber Sprache ein Bollwerk bleibt

Mehrsprachige Informationen sind in Deutschland nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Während Hotels, Banken oder Versandhändler ihre Webseiten längst in mehreren Sprachen anbieten, halten staatliche Stellen oft am monolingualen Prinzip fest – Deutsch ist schließlich die Amtssprache. Was für geübte Deutschsprechende selbstverständlich erscheint, wird für Menschen mit unsicherer Sprachkompetenz schnell zur Barriere: kryptisch benannte Menüpunkte, Fachausdrücke, die nicht erklärt werden, und Formulare, in denen jeder Fehler zu Ablehnung oder Verzögerung führt.

Dabei war der persönliche Kontakt bislang ein entscheidendes Sicherheitsnetz. Wer am Schalter sitzt, kann erkennen, wenn eine Person überfordert wirkt. Er oder sie kann langsam sprechen, zeigen, erklären, improvisieren. Wer die Sprache nicht perfekt beherrscht, nutzt Hände, Mimik, kleine Skizzen oder ein Smartphone-Wörterbuch. Dieses Zusammenspiel aus nonverbaler Kommunikation und menschlicher Geduld trägt viele Situationen – ein unsichtbarer sozialer Puffer, der im digitalen Raum vollständig verschwindet.

Online gibt es kein Stirnrunzeln, das Verwirrung verrät. Kein Lächeln, das signalisiert: „Alles gut, wir schaffen das.“ Keine Handbewegung, die zeigt, wo ein Häkchen gesetzt werden muss. Digitale Verwaltung rechnet damit, dass Menschen sprachlich souverän sind. Doch große Teile der Bevölkerung – nicht nur Neuzugewanderte – erfüllen diese Erwartung schlicht nicht.

Digitale Formulare als neue Einwanderungshürde

Deutschland spricht seit Jahren über Integration, Zugang zu Bildung und Teilhabe. Gleichzeitig wächst ein System heran, das zentrale Lebensbereiche nur noch online zugänglich macht: Terminvergaben, Anträge, Bescheide, Korrespondenz. Wer nicht online zurechtkommt, bleibt buchstäblich außen vor. Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass Nutzer teilweise sogar in vergleichsweise weniger wichtigen online Angeboten der Freizeit- und Unterhaltungsbranche auf weniger Hürden stoßen, selbst ein Platz im örtlichen Kino kann inzwischen mehrsprachig online reserviert werden. Dort jedoch, wo über Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnisse, also in Ausländerbehörden über Existenzen entschieden werden, sieht es anders aus.

Schon heute berichten viele Beratungsstellen, dass Menschen mit Migrationserfahrung wochenlang versuchen, Termine online zu ergattern – häufig ohne Erfolg. Nicht, weil keine Termine existieren, sondern weil das Portal schwer verständlich ist, ständig aktualisiert werden muss oder Fehler produziert, deren Ursache unklar bleibt. Für viele bedeutet das: Die Aufenthaltserlaubnis droht zu laufen, die Arbeitserlaubnis verzögert sich, Familiennachzug wird erschwert. Ausgerechnet die Gruppen, die rechtlich am stärksten von der Verwaltung abhängig sind, tragen die größten Belastungen.

Diese digitale Abhängigkeit wird durch den Wegfall informeller Hilfsmittel verstärkt. Früher konnte man zur Behörde gehen, auch ohne vorher alles perfekt zu verstehen. Man konnte erklären, worum es geht. Oft half ein einzelner Mitarbeitender weiter, indem er das Anliegen aus wenigen Worten rekonstruierte. Online ist das unmöglich. Dort wird niemand aktiv, wenn ein Formular falsch ausgefüllt ist. Die digitale Verwaltung kennt keine Zwischentöne.

Sprachbarrieren und Misstrauen: ein unsichtbarer Teufelskreis

Digitale Unzugänglichkeit hat nicht nur praktische Folgen, sondern auch soziale: Sie verstärkt Misstrauen und Unsicherheit. Viele Menschen mit Migrationserfahrung berichten, dass sie sich im Umgang mit Online-Behördenportalen alleingelassen fühlen. Fehler scheinen endgültig, Entscheidungen intransparent. Diese Erfahrung trifft auf eine Gruppe, die ohnehin strukturelle Ausschlüsse erlebt – auf dem Wohnungsmarkt, in der Arbeitswelt oder im Bildungssystem.

Während Politikerinnen und Politiker immer wieder betonen, wie wichtig Einwanderung für Deutschlands Wirtschaft sei, wächst im digitalen Alltag eine neue Form der Barriere, die selten thematisiert wird: der Mangel an zugänglichen, mehrsprachigen und verständlichen digitalen Verwaltungswegen.

Dabei zeigt sich an anderer Stelle, wie einfach Verbesserungen möglich wären. Viele internationale Websites – ob Universitäten, Fluggesellschaften oder Behörden – bieten übersichtliche Info-Seiten mit Icons, klaren Abläufen, Erklärvideos und Formularhilfen. In Deutschland bleibt diese Offenheit die Ausnahme, besonders im Bereich der Migration.

Barrierefreie digitale Dienste – mehr als ein technisches Detail

Digitale Barrierefreiheit wird häufig mit körperlichen Einschränkungen verbunden – und ist dafür auch zentral. Doch sie umfasst weit mehr: einfache Sprache, klare Navigation, verständliche Erklärungen, logische Abläufe und Möglichkeiten der Rückmeldung. All das hilft Menschen, die sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden müssen. Viele Geflüchtete berichten davon, dass sie Verwaltungsportale weniger aufgrund technischer Hürden meiden, sondern wegen sprachlicher und struktureller Überforderung.

Dabei würden schon wenige Schritte enorme Wirkung zeigen:

  • einfache Formulierungen und kurze Sätze
  • begleitende Erklärgrafiken
  • automatische Sprachanpassung
  • Videos in verschiedenen Sprachen
  • klare Schritt-für-Schritt-Logik
  • sichtbare Kontaktmöglichkeiten bei Unsicherheiten

Was für Behörden „Nice to have“ wirkt, entscheidet für viele Migrantinnen und Migranten über Integrationserfolg in die Gesellschaft.

Menschliche Unterstützung lässt sich digital nicht ersetzen

Die Digitalisierung mag effizienter sein – aber sie ersetzt keinen menschlichen Blick. Sie ersetzt nicht das kleine Nicken, das vermittelt: „Sie sind hier richtig.“ Sie ersetzt nicht die Geduld eines Mitarbeitenden, der bereist merkt, wenn ein Formularfeld unklar ist. Und sie ersetzt schon gar nicht die wichtige Möglichkeit, Schwierigkeiten nonverbal zu überbrücken.

Im analogen Behördengespräch war der gemeinsame Raum ein Ort, an dem Verständnis entstehen konnte – trotz sprachlicher Differenzen. Im digitalen Behördensystem hingegen müssen Menschen mit Migrationserfahrung sprachlich und technisch perfekt funktionieren, bevor sie überhaupt teilnehmen dürfen. Es ist ein Anspruch, den viele nicht erfüllen können.

Warum digitale Teilhabe zu einer Integrationsfrage wird

Wenn digitale Behördenportale schwer zugänglich sind, ist das kein Randproblem – es wird zu einer Frage der Gerechtigkeit. Denn Integration scheitert nicht an fehlendem Willen, sondern oft an Strukturen, die zu kompliziert sind, um verstanden zu werden. Ein Staat, der Menschen zur Online-Kommunikation zwingt, hat die Verantwortung, diese Wege so zu gestalten, dass sie niemanden ausschließen.

Eine inklusive digitale Verwaltung wäre ein Gewinn für alle: Sie würde Verfahren beschleunigen, Vertrauen stärken und echte Teilhabe ermöglichen. Sie wäre ein Zeichen dafür, dass Deutschland verstanden hat, was Einwanderungsgesellschaft bedeutet: nicht nur Menschen aufzunehmen, sondern ihnen auch die Werkzeuge zu geben, sich im Alltag zurechtzufinden. (em) Panorama

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