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I love Lampedusa © Tiziana Fabi/AFP

Das menschliche Gesicht Europas

Freiwillige heißen auf Lampedusa Bootsflüchtlinge willkommen

Malerische Buchten, idyllische Strände: Lampedusa ist ein Urlaubsparadies – und zugleich Ziel zahlreicher Bootsflüchtlinge, die von Nordafrika nach Europa wollen. Willkommen sind sie eher nicht. Dennoch erleben sie bei ihrer Ankunft Menschlichkeit.

Von Dienstag, 09.09.2025, 14:38 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.09.2025, 14:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Molo Favaloro ist ein unwirtlicher Ort. An dem kurzen Landungssteg der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, in Sichtweite zum Jachthafen, treffen fast täglich Bootsflüchtlinge aus Nordafrika ein: meist barfuß, hungrig und erschöpft, verletzt oder traumatisiert – und erleichtert, dass sie die gefährliche Überfahrt von Tunesien oder Libyen überlebt haben. Wenn sie an Land gehen, sollen sie so schnell wie möglich aus dem Hafenbild verschwinden und ins nahegelegene Erstaufnahmelager, den sogenannten Hotspot, gebracht werden. Sitzmöglichkeiten gibt es an dem Pier fast keine, die Toiletten funktionieren seit Jahren nicht, obwohl Hilfsorganisationen immer wieder auf Abhilfe dringen.

Dennoch werden die Ankommenden nicht nur als lästige Migranten betrachtet, deren Zahl die EU mit allen Mitteln begrenzen will. Das liegt vor allem an Leuten wie Arianna: Direkt am Pier begrüßt die 24-jährige Studentin aus Bologna die entkräfteten und verunsicherten Männer, Frauen und Kinder, die aus den Booten steigen. Sie gehört zu einer Gruppe von Freiwilligen, die bei jeder Bootsankunft vor Ort sind. Sie schauen den Menschen freundlich in die Augen, sprechen mit ihnen, verteilen Wasser und Lebensmittel, bieten Decken, Kinderbekleidung und Windeln an, die sie in schlichten Kisten am Pier bereithalten. Einfache Gesten der Menschlichkeit.

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„Es ist unsere humanitäre Mission, die Menschen willkommen zu heißen“, sagt Valeria Sottani von Mediterranean Hope. Die Hilfsorganisation des Bundes Evangelischer Kirchen in Italien unterhält seit Jahren eine Beobachtungsstelle auf Lampedusa und organisiert die Begleitung der Geflüchteten, an der sich auch katholische Ordensschwestern beteiligen. „Das sind unsere Schwestern und Brüder“, sagt eine von ihnen über die Flüchtlinge. Dass die meisten keine Christen seien, spiele keine Rolle.

Tag und Nacht in Bereitschaft

Die Helfergruppe ist Tag und Nacht in Bereitschaft und wird bei der Sichtung eines Flüchtlingsboots von der Küstenwache über die Zahl der Insassen und die voraussichtliche Ankunftszeit informiert. Per WhatsApp wird dann abgesprochen, wer zum Pier fährt, auch Einheimische werden möglichst einbezogen. „Wir sagen den eintreffenden Menschen, wo sie sind, dass sie in Sicherheit sind und wie es weitergeht“, berichtet Arianna. Die Geflüchteten werden zum Krankenwagen oder zum Bus begleitet, der sie zum Hotspot bringt.

Arianna ist angerührt von den Schicksalen, die ihr in ihren ersten vier Wochen auf Lampedusa begegnet sind. Mit vielen Schwangeren und Müttern habe sie gesprochen. Schockiert war sie, als einmal ein Boot mit 50 Menschen ankam, von denen nur zehn noch am Leben waren. In solchen Momenten zeige sich, wie wichtig die Begleitung der Menschen sei, die oft Schlimmes erlebt und all ihr Hab und Gut hinter sich gelassen haben.

Die Freiwilligendienste dauern meist nur zwei Monate, um möglichst vielen jungen Leuten solche Erfahrungen zu ermöglichen, ohne sie zu überfordern. Bewerbungen gibt es reichlich. Arianna fing Feuer, nachdem eine Freundin positiv von ihren Erlebnissen erzählt hatte.

Viele Flüchtlinge überleben nicht

Rund 42.000 Asylsuchende und Migranten landeten laut der Mediterranean-Hope-Beobachtungsstelle 2024 am Molo Favarolo, im Vorjahr waren es mehr als doppelt so viele. Im ersten Halbjahr 2025 wurden gut 20.600 Geflüchtete gezählt, von denen 90 Prozent im gut 300 Kilometer entfernten Libyen in See stachen. Die Ankünfte aus dem nur 113 Kilometer entfernten Tunesien seien deutlich zurückgegangen.

Viele Flüchtlinge überleben die Überfahrt nicht: Die Internationale Organisation für Migration (IOM) verzeichnet mehr als 32.000 Tote und Vermisste im Mittelmeer seit 2014, die Dunkelziffer ist sehr viel höher.

Wer es nach Lampedusa schafft, wird direkt in den Hotspot und von dort in der Regel binnen 24 Stunden zur Weiterverteilung in Italien per Fähre nach Sizilien gebracht. Im Auffanglager werden die Menschen identifiziert, befragt und registriert, Frauen und Familien werden gesondert untergebracht. Notfälle und Hochschwangere werden per Hubschrauber nach Sizilien ausgeflogen – auf Lampedusa sind nur ambulante Behandlungen möglich, es gibt kein Krankenhaus. Inzwischen steht aber eine mobile Station für Geburtshilfe bereit und es ist immer eine Hebamme erreichbar – davon profitieren auch die 6.000 Einwohnerinnen und Einwohner Lampedusas.

Hotspot wirkt wie ein Gefängnis

Der seit zwei Jahren vom Roten Kreuz betriebene, hoch eingezäunte Hotspot wirkt wie ein von Soldaten gut bewachtes Gefängnis – und wie ein auf Dauer angelegtes Provisorium. „Die hygienischen Verhältnisse sind schlecht“, sagt Mediterranean-Hope-Mitarbeiterin Giulia Gori. Die Plätze reichen für maximal 600 Menschen, bei stärkerer Belegung werden Feldbetten im Freien aufgebaut.

Insgesamt 76 Beschäftigte sorgen für eine schnelle Abwicklung. Beteiligt sind alle relevanten Organisationen, darunter neben IOM die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die EU-Asylagentur, das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Hilfsorganisation „Save the Children“, die sich um unbegleitete Minderjährige kümmert.

Einheimische und Touristen bekommen vom abgeschotteten Geschehen im Lager nichts mit. „Sie sehen Bilder von Flüchtlingen eher im Fernsehen“, sagt Giulia Gora. „Manche wissen nicht einmal, dass es den Hotspot gibt.“ Auch deshalb sei die würdige Begrüßung der Ankommenden durch das Solidaritätsnetz von Mediterranean Hope wichtig. Mit Menschen wie Arianna. (epd/mig)

  Ausland Leitartikel

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