Europaparlament, Parlament, EU, Europäische Union, Europa
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Rechtsextreme jubeln

Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz bringt Brüsseler Brandmauer zu Fall

Das EU-Lieferkettengesetz soll nur noch für wenige große Firmen gelten. In Brüssel gewinnt die konservative Parteienfamilie, zu der auch CDU und CSU gehören, bei einer Abstimmung mit Hilfe rechter und rechtsextremer Kräfte – AfD spricht vom Fall der Brandmauer. Die Kritik ist heftig.

Von Sonntag, 16.11.2025, 13:33 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.11.2025, 15:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Europaparlamentsfraktion um CDU und CSU hat mit der Unterstützung rechter und rechtsextremer Parteien wie der AfD den Weg für eine Abschwächung des Lieferkettengesetzes freigemacht. Unter anderem sollen die Vorgaben künftig nur noch für wenige sehr große Unternehmen gelten und es soll keine Pflicht bestehen, Handlungspläne für Klimaziele auszuarbeiten. Nun kann das Parlament finale Verhandlungen mit den EU-Staaten über das Vorhaben aufnehmen.

Konkret kam die Mehrheit unter anderem durch Abgeordnete der EVP-Fraktion, zu der CDU und CSU gehören, und der rechtskonservativen EKR, zu der etwa die Partei von Italiens rechter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gehört, zustande. Auch die Abgeordneten des Rechtsaußen-Bündnis PfE um Ungarns Regierungschef Viktor Orban und der Partei Rassemblement National (RN) von Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen sowie der ESN-Fraktion, der unter anderem die AfD angehört, sprachen sich dafür aus.

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EVP jubelt, AfD spricht von Fall der Brandmauer

„Heute ist ein guter Tag für Europas Wettbewerbsfähigkeit“, sagte der Fraktionsvorsitzende der EVP, Manfred Weber (CSU), nach der Abstimmung. Kritik gibt es daran, dass die EVP nicht auf eine sonst übliche Mehrheit gesetzt hat, die sie normalerweise versucht, mit Sozialdemokraten und Liberalen zu bilden.

Mit dem Fall der Brandmauer sei es einer Mehrheit auf der rechten Seite gelungen, schädliche Klima-Gesetzgebung abzuschwächen und dringend benötigte Entlastungen für unsere Unternehmen zu erreichen, teilte die AfD-Abgeordnete Mary Khan mit.

Im EU-Parlament gibt es einen sogenannten Cordon Sanitaire – eine Art informelle Übereinkunft der EVP, S&D, Liberalen und der Grünen, nicht mit Rechtsaußen zusammenzuarbeiten und beispielsweise keine Anträge der PfE und ESN zu unterstützen.

Liberale, Sozialdemokraten und Grüne kritisieren EVP

„Wer Änderungsanträge einbringt, die nur mit Extremisten durchsetzbar sind, kooperiert mit ihnen“, teilte der zuständige SPD-Europaabgeordnete René Repasi mit. Manche Änderungsanträge zur Abschwächung der Lieferkettenrichtlinie wären ohne die Stimmen von Fraktionen am rechten Rand des Parlaments nicht durchgegangen, wie aus den Abstimmungsergebnissen hervorgeht.

Der SPD-Politiker betonte: „Auf die Stimmen der AfD kam es nicht an, so dass deutsche Rechtsextreme hierfür nicht notwendig waren.“ Aber es seien Stimmen aus den Lagern etwa von Le Pen und Orban notwendig gewesen.

Die Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, sprach von einer „rücksichtslosen Bereitschaft, sich auf Kosten der pro-europäischen Mitte Europas auf die Seite der extremen Rechten zu stellen“. Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini sprach nach der nun gefundenen Mehrheit von einer Grenzüberschreitung. Erstmals habe Webers EVP ein Gesetz bewusst und kalkuliert mit den Stimmen der extrem Rechten durch das Parlament gebracht, so die Abgeordnete.

„Fatales Zeichen“: Bas kritisiert rechte Mehrheit in EU

Auch aus Deutschland wurde Kritik laut. Die SPD-Vorsitzende Bärbel Bas sagte nach einem Koalitionsausschuss in Berlin: „Ich halte das schon für ein fatales Zeichen, dass Manfred Weber als EVP-Chef bewusst den Kompromiss in der demokratischen Mitte nicht gesucht hat, also er hat ihn gesucht, aber er hat sich heute bewusst dafür entschieden, ihn nicht durchzutragen.“

„Für die SPD ist das schon ein fatales Zeichen“, sagte Bas. „Wir müssen wieder in die Mitte der demokratischen Familie kommen.“

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verwies auf die nun erwarteten finalen Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission. Er gehe davon aus, dass es bei der anschließenden Schlussabstimmung über einen Kompromiss im Europäischen Parlament eine Mehrheit aus EVP, sozialdemokratischer Fraktion und Liberalen gebe. „Ich gehe davon aus, dass es beim nächsten Mal wieder eine stabile Mehrheit in der Mitte des Europäischen Parlamentes gibt.“

Geheime Abstimmung vor drei Wochen

Eigentlich hatten sich Liberale, Sozialdemokraten und EVP auf Ausschussebene auf einen Kompromiss geeinigt. In einer geheimen Abstimmung fand dieser aber vor drei Wochen keine Mehrheit, was für teils heftige Kritik sorgte. So nannte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Entscheidung des Parlaments „inakzeptabel“ und forderte eine Korrektur.

Nach der erfolgreichen Abstimmung begrüßte er die Entscheidung. Er gehe davon aus, dass bei den bevorstehenden finalen Verhandlungen ein vernünftiger Kompromiss möglich sei, dem die Fraktionen der politischen Mitte – EVP, S&D und Liberale – zustimmen könnten.

Wenige Stimmen fehlten

Der gescheiterte Kompromiss sah vor, dass die Vorgaben nur noch für Großunternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Ursprünglich waren als Grenze 1.000 Mitarbeitende und eine Umsatzgrenze von 450 Millionen Euro vorgesehen.

Am Ende fehlten nur wenige Stimmen für eine Mehrheit. Nun wurden hunderte Änderungsanträge der Fraktionen eingereicht, über die der Reihe nach abgestimmt wurde. Die angenommenen Anträge gehen leicht über den Kompromiss des Rechtsausschusses hinaus. So will das Parlament etwa mildere Strafen ermöglichen, sollten sich Unternehmen nicht an die Vorgaben halten. Die Vorgabe zur Mitarbeiterzahl bleibt bei 5000, ebenso die Umsatzgrenze von 1,5 Milliarden Euro.

Lieferkettenrichtlinie in der Kritik

Das europäische Lieferkettengesetz wurde eigentlich bereits vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Nach Kritik von Unternehmen sollen Teile der Richtlinie vereinfacht werden, noch bevor sie angewendet wird.

Aus der Wirtschaft wird die Entscheidung des Parlaments begrüßt. Der Verband der Automobilindustrie lobte etwa, dass die EU-weite zivilrechtliche Haftung nicht weiterverfolgt werde. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach von einem wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Menschenrechtler hingegen sehen in den Lockerungen einen großen Rückschritt. Das Gesetz gehe zu Lasten der Ärmsten und begünstige große Unternehmen in reichen Ländern.

Künftig wechselnde Mehrheiten?

Eigentlich arbeiten Liberale, S&D und EVP in einer Art informellen Koalition zusammen. Die drei Fraktionen haben eine knappe Mehrheit im Parlament und hatten – mit Unterstützung der Grünen und wohl auch Stimmen der rechtskonservativen EKR-Fraktion – eine Mehrheit für eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin sichergestellt. Die Abstimmung dürfte auch Auswirkungen auf die künftige Zusammenarbeit haben. (dpa/mig) Leitartikel Politik

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