
Sehr viel geschafft!
Merkel: „Keine Zweifel“, würde wieder so entscheiden
„Wir schaffen das“: Kaum ein Satz hat das Land so polarisiert wie drei Worte der damaligen Kanzlerin vor zehn Jahren. Heute blickt sie auf ihre Entscheidung und würde wieder so entscheiden. Reaktionen aus der Politik sind gemischt.
Montag, 25.08.2025, 12:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.08.2025, 14:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Zehn Jahre nach ihrem legendären Satz „Wir schaffen das“ zur Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge ist Deutschland nach Überzeugung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Integration von Migranten deutlich vorangekommen. „Das ist ein Prozess. Aber bis jetzt haben wir viel geschafft. Und was noch zu tun ist, muss weiter getan werden“, sagte die CDU-Politikerin in einem Interview mit dem Journalisten Ingo Zamperoni, das für eine ARD-Dokumentation geführt wurde.
Am 31. August 2015 hatte Merkel jene drei Worte gewählt, nachdem gerade bekanntgeworden war, dass für das laufende Jahr 800.000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet wurden und Tausende Geflüchtete von Ungarn kommend in Richtung Deutschland unterwegs waren.
Merkel sagt heute: „Dass das etwas wirklich Herausforderndes wird, das war mir klar.“ Zugleich habe es sie auch immer wieder verwundert, „wie sehr mir diese drei Worte ‚Wir schaffen das‘ auch um die Ohren gehauen wurden“. Sie habe bloß ausdrücken wollen, dass Deutschland vor einer großen Aufgabe stehe. Dabei habe sie auf die Menschen im Land gehofft.
Merkel: Ich würde wieder so entscheiden
Eine Überforderung Deutschlands durch ihre Entscheidung sieht Merkel nicht. „Das glaube ich nicht. Deutschland ist ein starkes Land“, sagte sie. „Insgesamt war ich der Überzeugung, dass Deutschland das stemmen kann.“ Sie habe „keine Zweifel“ daran, dass sie wieder so entscheiden würde wie vor zehn Jahren.
Die frühere Kanzlerin verwies darauf, dass die Alternative gewesen wäre, die geflüchteten Menschen mit Gewalt davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen. „Dazu hätte ich mich nie bereiterklärt“, stellte Merkel klar. Im Rückblick habe sie sich manchmal aber auch Vorwürfe gemacht, dass man nicht schon 2012/13 – als der Bürgerkrieg in Syrien bereits im Gange war – nicht mehr für die Menschen vor Ort getan habe.
AfD wurde stärker
Merkel räumte auch ein, dass ihre Entscheidung zum Aufschwung der AfD beigetragen hat. „Dadurch ist die AfD sicherlich stärker geworden.“ Das sei aber kein Grund gewesen, eine Entscheidung, die sie für richtig und vernünftig halte, nicht zu treffen. Auch habe ihr Entschluss zu Streit in der Union geführt, der nicht hilfreich dabei gewesen sei, die große Integrationsaufgabe zu bewältigen.
Ähnlich sieht es der frühere Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Er hat die Flüchtlingspolitik von Merkel verteidigt. Heute seien rund 86 Prozent der männlichen Flüchtlinge von damals in Arbeit, sagte Altmaier dem Radiosender MDR Aktuell in Leipzig. Die allermeisten von ihnen sprächen Deutsch. Als Fehler bezeichnete er den Streit von CDU und CSU zu Flüchtlingsobergrenzen. Damit sei der AfD Vorschub geleistet worden. Viele Menschen spürten, dass es heute unbewältigte Probleme gebe. „Die Frage ist nur, geht das zurück auf die Flüchtlingskrise von damals oder auch auf Entwicklungen, die anschließend eingetreten sind“, sagte Altmaier. Probleme mit Migration gebe es heute auch in Ländern, die damals so gut wie keine Flüchtlinge aufgenommen haben.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zog eine kritische Bilanz zehn Jahre nach dem Merkel-Satz. „Seit 2015 sind 6,5 Millionen Menschen zu uns gekommen und weniger als die Hälfte ist heute in Arbeit. Ich finde das, gelinde gesagt, nicht zufriedenstellend“, sagte Linnemann der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Heute gehe es darum, illegale Migration in die Sozialsysteme zu stoppen und reguläre Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zu fördern. „Das muss die Politik dieser Regierung 2025 sein – und das ist sie auch.“
Experten widersprechen
Studien und Arbeitsmarktexperten haben bereits mehrfach der Behauptung widersprochen, die Einwanderung sei das Problem gewesen. Viele Geflüchtete, die sich in den Arbeitsmarkt integriert haben, hätten es nicht mithilfe der Politik, sondern trotz der Politik geschafft. Bis heute müssten die Menschen unnötig viel Bürokratie überwinden, viel zu lange auf Sprach- und Integrationskurse warten oder auf die Anerkennung ihrer Qualifikationen. Auch die migrationsfeindliche Sprache der Politik trage dazu bei, dass Menschen sich nicht willkommen fühlten. Das bremse die Integration.
Soziologin Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit beklagt im Gespräch: „Die Politik ist gerade auf einem Kurs, wo alle Hürden wieder aufgebaut oder erhöht werden, von denen wir wissen, dass sie die Arbeitsmarktintegration behindern. Unsere Forschung sagt klar, dass all diese Dinge den Weg in den Arbeitsmarkt erschweren: lange Asylverfahren, der lange Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften, Sachleistungen und Bezahlkarten, Wohnsitzauflagen.“ (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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