
Von Serbien nach Deutschland
Mirzeta Haugs Geschichte von Flucht, Integration und Toleranz
Als elfjähriges Mädchen musste Mirzeta Haug aus Serbien fliehen. Heute arbeitet die Muslimin in Baden-Württemberg bei der evangelischen Kirche und ist eine Brückenbauerin zwischen der Gesellschaft und Neuangekommenen.
Von Judith Kubitscheck Donnerstag, 19.06.2025, 12:43 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 19.06.2025, 12:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Sie ist Muslimin und arbeitet in der Evangelischen Erwachsenenbildung in Pforzheim. Dass sie einmal bei der Kirche angestellt sein wird, hätte sich die gebürtige Serbin Mirzeta Haug früher nicht vorstellen können.
Geboren wurde Haug in Novi Pazar, das im Sandschak, einer Gebirgsregion im Süden Serbiens, liegt. Ihre Familie gehörte der muslimischen Minderheit des Landes an. In ihrem Geburtsort waren zwar rund 80 Prozent der Menschen Muslime, trotzdem wurden dort alle wichtigen Ämter wie Lehrer, Richter und Bürgermeister von christlich-orthodoxen Serben besetzt, erzählt sie. „Wir wurden nie als gleichberechtigte Bürger angesehen.“
Deshalb war ihr Vater politisch aktiv und kritisierte die Diskriminierung der Muslime. 1984 wurde er tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt, doch seine Tochter geht davon aus, dass politische Motive eine Rolle spielten.
Asylantrag abgelehnt
Als 1992 der Bürgerkrieg in Bosnien aufflammte, verschärfte sich die Situation im Nachbarland Serbien weiter: Haugs Mutter verlor wegen ihrer Religionszugehörigkeit ihre Arbeit. „Die Stimmung in der Schule wurde für meine Schwester und mich unerträglich, weshalb wir entschieden, zu Hause zu bleiben“, erinnert sich Haug. Panzer rollten durch die Straßen in Richtung Bosnien. „Als die Nachbarn anfingen, sich zu bewaffnen, wusste meine Mutter: Es ist Zeit zu fliehen.“
In Deutschland, wo ein Onkel lebte, waren die Probleme aber nicht vorbei. „Mit unserer Fluchtgeschichte konnten die Behörden damals wenig anfangen. Unser Asylantrag wurde abgelehnt.“ Die Abschiebung drohte, doch „wir haben viele Menschen gehabt, Christen, Deutsche, die uns geholfen haben. Das hat mein Vertrauen wieder gestärkt und mir gezeigt, dass auch Christen gute Menschen sein können.“
Heute Projektleitung
Heute leitet die 43-Jährige das Projekt „Interkulturelle und interreligiöse Bildungsarbeit“ der Evangelischen Erwachsenenbildung Pforzheim, koordiniert die interkulturelle Woche und arbeitet im „Rat der Religionen“ vor Ort mit. In diesem kommen Christen, Juden, Muslime, Jesiden und andere Gläubige zusammen.
Die Beziehungen untereinander sind gut, es besteht Vertrauen zwischen den Akteuren. So erklärt sich Mirzeta Haug, dass es auch nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel und seinen Folgen möglich ist, trotz unterschiedlicher Meinungen im Nahostkonflikt weiter an einem Tisch zusammenzukommen. „An anderen Orten sind die interreligiösen Beziehungen nach dem 7. Oktober 2023 abgebrochen. Ich finde es schön, dass wir es schaffen, uns trotzdem in unseren unterschiedlichen Meinungen stehen zu lassen, auch wenn das sehr herausfordernd sein kann.“
Ramadan oder Weihnachten, oder beides?
Auch privat lebt Haug das Miteinander der Religionen: Sie ist mit einem evangelischen Mann verheiratet: „Das braucht viel Toleranz, Offenheit und viel Kommunikation von beiden Seiten.“ Denn immer wieder stellen sich im Alltag ganz praktische Fragen, wie: Gibt es bei unseren Mahlzeiten Schweinefleisch? Oder: Feiern wir Ramadan oder Weihnachten, oder beides? Dem Ehepaar sei wichtig, dass die Kinder beide Religionen kennenlernen und dann später selbst entscheiden können, welcher Religion sie angehören und ob sie sich zum Beispiel taufen lassen wollen.
Als Geflüchtete kann sie sich gut in die Menschen hineinversetzen, die neu in Deutschland ankommen. Sie ist überzeugt: „99 Prozent aller Menschen, die hierherkommen, wollen in Frieden und in einem guten Miteinander hier leben.“ Und viele wünschten sich auch mehr Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft – doch das ist nicht immer einfach: „Auch ich musste damals drei Jahre warten, bis ich zum ersten Mal von einer Mitschülerin zum Geburtstag eingeladen wurde.“ Andererseits sieht sie auch Zugewanderte, die schon gut integriert sind, in der Pflicht: „Wir können denjenigen, die hier ankommen, helfen, sich in dieser Gesellschaft zu integrieren. Weil wir beides kennen, und weil wir den Weg schon gegangen sind.“ (epd/mig) Aktuell Panorama
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