Grenzkontrolle, Deutschland, Grenze, Kontrolle, Polizei, Polizeikontrolle
Grenzkontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze © Michaela Stache/AFP

Dobrindt unter Druck

Im Namen des Staates – gegen das Recht?

Die Zurückweisung von Asylsuchenden ist einem Gerichtsurteil zufolge rechtswidrig. Dennoch hält der Innenminister an den umstrittenen Grenzkontrollen fest. Der Koalitionspartner fordert Prüfung. Die Debatte nimmt immer weiter Fahrt an – mit Strafanzeigen, Drohungen, Vorwürfen und Zahlen.

Montag, 09.06.2025, 17:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.06.2025, 17:25 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Eine Woche nach der Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts zu Zurückweisungen bleibt unklar, wie es langfristig an den deutschen Grenzen weitergeht. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bekräftigte, am bisherigen Kurs und verstärkten Grenzkontrollen festhalten zu wollen. Die SPD meldete über das Pfingstwochenende Zweifel an. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch geht nicht davon aus, dass es beim aktuellen Vorgehen bleiben kann.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und der Innenminister hatten bereits nach der Entscheidung erklärt, an Zurückweisungen auch von Asylsuchenden festzuhalten. Die Entscheidung des Gerichts enge die Spielräume möglicherweise noch einmal etwas ein, sagte Merz. Aber man wisse, dass man nach wie vor Zurückweisungen vornehmen könne.

___STEADY_PAYWALL___

Große Skepsis beim Koalitionspartner

SPD-Fraktionschef Miersch hingegen sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Pauschale Rückweisungen wird es aus meiner Sicht nicht mehr geben können, weil die Gerichte das stoppen werden.“ Er erwarte eine Prüfung der bisherigen Praxis, sagte er an den Koalitionspartner Union gerichtet, „weil wir ansonsten erleben werden, dass wir in den nächsten Monaten weitere Verfahren verlieren“.

Innenminister Dobrindt hatte kurz nach dem Antritt der neuen Regierung vor einem Monat intensivere Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, dass künftig auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können. Die Rechtsgrundlage blieb lange unklar. Das Innenministerium machte dazu unterschiedliche Angaben. Mal berief es sich auf EU-Recht, mal auf deutsche Gesetze. Vor Gericht ging es um eine „Notlage“, eine Ausnahmeregel im Europäischen Recht.

Dobrindt erklärte, er sehe eine „Notlage“ darin, „dass Deutschland in so vielen wichtigen Lebensbereichen überfordert“ sei. Städte, Gemeinden und Landkreise seien am Limit. „Wir stehen an einem gesellschaftlichen Kipppunkt“, sagte Dobrindt. Daraus entstehe eine Notwendigkeit zum Schutz der öffentlichen Ordnung.

Zahlen sprechen gegen Dobrindt

Zahlen aus der Bundespolizei indes lassen Zweifel darüber aufkommen, ob die Einschränkung des verfassungsrechtlich verbrieften Asylrechts überhaupt geeignet ist, die vermeintliche „Notlage“ zu bekämpfen. Rechnet man die Zahl der zurückgewiesenen Asylbewerber seit Beginn der Grenzkontrollen (160) auf das Jahr hoch, kommt man auf rund 2.000 Personen. Zum Vergleich: Allein aus der Ukraine hat Deutschland über eine Million Geflüchtete aufgenommen und versorgt. Ob die Zurückweisung von ein paar tausend Asylbewerbern geeignet ist, den vermeintlichen „Notstand“ zu bekämpfen, bezweifeln Experten.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte in seiner Eilentscheidung jedenfalls festgestellt, dass die Begründung für eine „Notlage“, nicht ausreichend sei, mithin sei die die Zurückweisung dreier Somalier bei einer Kontrolle am Bahnhof der Grenzstadt Frankfurt (Oder) rechtswidrig. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die drei Somalier sind mittlerweile in Berlin.

Dobrindt: Europäischer Gerichtshof soll entscheiden

„Das ist ein Einzelfallurteil“, sagte Dobrindt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Das Gericht habe angemerkt, dass die Begründung nicht ausreichend sei. „Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden.“ Ein mögliches Veto des Europäischen Gerichtshofs gegen Zurückweisungen würde er aber „selbstverständlich“ akzeptieren, so der Innenminister. Erfahrungsgemäß können viele Jahre vergehen, bis ein Verfahren vor dem EuGH landet und entschieden wird – wenn es überhaupt dazu kommt.

Die Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts Erna Viktoria Xalter sagte im Interview mit „Zeit Online“: „Wie soll das zum EuGH durchlaufen? Die Eilentscheidung ist unanfechtbar.“ Sie gehe davon aus, dass es auch an anderen Grenzen, durch andere Bundespolizeidirektionen, zu Zurückweisungen komme, die dann von anderen Gerichten überprüft würden.

Nach Auffassung der Fachanwältin für Migrationsrecht, Gisela Seidler, ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin und des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg bereits eindeutig. „Auch wenn ein Gesetz oder eine Rechtsprechung einem nicht gefällt, muss man sich als Exekutive daran halten“, sagte Seidler, Vorsitzende im Gesetzgebungsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, dem Evangelischen Pressedienst.

Migrationsforscher: Bundesregierung wird weitermachen

Der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer kritisierte ebenfalls die Ankündigung der Bundesregierung, Asylsuchende trotz Gerichtsurteil weiterhin zurückzuweisen. „Die Schutz suchenden Menschen werden nun von Staat zu Staat bis an die EU-Außengrenzen weitergereicht und müssen so das politische Versagen Deutschlands und der EU ausbaden“, sagte Oltmer. Letztlich scheitere das Asylsystem seit Jahren immer wieder an der mangelnden Solidarität der EU-Staaten untereinander, wenn es um die Verteilung von Geflüchteten gehe.

Oltmer sagte, die Bundesregierung werde vermutlich auch bei weiteren zu erwartenden Urteilen ihr Vorgehen nicht ändern. Bis es zu Grundsatzentscheidungen von Oberverwaltungsgerichten oder dem Europäischen Gerichtshof komme, werde es lange dauern. In dieser Zeit wolle die Bundesregierung offenbar die übrigen EU-Staaten durch die Praxis der Zurückweisung unter Druck setzen.

Weitere Kritik am Vorgehen der Regierung kam unter anderem von den Grünen. „Was bringt die Dobrindtsche Migrationspolitik an den Grenzen?“, schrieb die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic auf der Plattform X. „Tägliche Rechtsunsicherheiten und eine massive Überlastung der Bundespolizei“, fügte sie hinzu.

Strafanzeige gegen Dobrindt und Bundespolizei

Der Polizeibeauftragte des Bundes beim Deutschen Bundestag, Uli Grötsch, sagte der „Rheinischen Post“, er sei zwar kein Jurist, sondern Polizist, sehe aber auf den ersten Blick, dass die Exekutive hier was anderes sage als die Judikative. „Das halte ich für einen wahrhaft problematischen Zustand, der schleunigst geklärt werden muss.“

Die Rechercheplattform „FragDenStaat“ hatte Strafanzeigen gegen Dobrindt und den Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, gestellt. Die Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Grenzen auf Weisung Dobrindts seien rechtswidrig, erklärte die Rechercheplattform am Freitag in Berlin. Dennoch rufe der Innenminister Bundespolizisten dazu auf, seine Weisung durchzusetzen. Diese machten sich strafbar, wenn sie die Zurückweisungen weiter durchsetzten. „Alexander Dobrindt setzt mit seiner Weisung auf offenen Rechtsbruch“, erklärte Arne Semsrott, Projektleiter von „FragDenStaat“.

CSU attackiert Pro Asyl: „Züge einer Inszenierung“

Derweil kommen aus der CSU schwere Vorwürfe in Richtung der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, die die drei somalischen Asylsuchenden bei ihrer Klage unterstützt hatte. Der Fall trage „fast absurde Züge“ und deute auf eine „Inszenierung“ hin, sagte der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Hoffmann, der „Augsburger Allgemeinen“. „Pro Asyl ist schon seit Jahren entlang der Fluchtrouten unterwegs, auch an den Grenzübergängen. Dort wird Flüchtlingen empfohlen, ihre Ausweise wegzuwerfen, weil das eine Abschiebung aus Deutschland deutlich erschwert“, sagte er.

Hoffmann sagte weiter: „Eine Person war bei den ersten beiden Einreiseversuchen volljährig und ist beim dritten Versuch auf einmal minderjährig, sie hat Ausweisdokumente dabei, die Merkmale von Fälschungen aufweisen.“ Alle drei Personen hätten nagelneue Handys gehabt, mit denen man die Reiseroute nicht zurückverfolgen könne. „Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten.“

Pro Asyl weist „falsche Unterstellungen“ zurück

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Karl Kopp, entgegnete in der Zeitung, diese Vorwürfe hätten nichts mit den Fakten zu tun. „Wir sind eine Menschenrechtsorganisation und unterstützen Geflüchtete vor Gericht“, betonte er. „So war es auch im Fall der drei Menschen aus Somalia, von denen eine Frau noch minderjährig ist.“ Dass man Menschen empfehle, ihre Ausweise zu entsorgen oder neue Handys anzuschaffen, seien falsche Unterstellungen. „Damit wird unsere Arbeit angegriffen.“

In einer Pressemitteilung der Organisation vom Samstag heißt es, statt die offensichtlichen Rechtsbrüche zu beenden, würden „menschenrechtliche Arbeit diffamiert und verleumdet“ sowie Richterinnen und Richter bedroht.

Angriffe auf Justiz nach Asyl-Entscheidung

Seit den Eilentscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts über die Rechtswidrigkeit von Zurückweisungen Asylsuchender werden die beteiligten zwei Richter diffamiert und bedroht, wie der Deutsche Richterbund am Donnerstag mitgeteilt hatte. Die Justizminister von Bund und Ländern verurteilten die Angriffe. „Wer Richterinnen und Richter angreift oder bedroht, greift das Herz unseres Rechtsstaats an“, erklärte Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) nach Beratungen mit ihren Ressortkollegen aus den Ländern am Freitag in Bad Schandau.

Hubig machte deutlich, dass sich diese Angriffe nicht nur gegen einzelne Personen richten, „sondern gegen das Recht selbst – und gegen die Idee einer unabhängigen Justiz“. Die Vorsitzende der Justizministerkonferenz und sächsische Justizministerin Constanze Geiert (CDU) sowie die Ressortchefs aus Hamburg und Bayern, Anna Gallina (Grüne) und Georg Eisenreich (CSU), betonten die richterliche Unabhängigkeit als „tragendes Fundament“ des Rechtsstaats. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)