Eilverfahren
Weitere Gerichtsentscheidung befeuert Streit um Bezahlkarte
Das Hamburger Sozialgericht hatte im Eilverfahren entschieden, dass die starre Bargeldgrenze der Bezahlkarte für Flüchtlinge im Einzelfall unzulässig sein kann. Nun gibt es einen weiteren, gegenteiligen Beschluss. Das entflammt die Debatte neu.
Sonntag, 28.07.2024, 12:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.07.2024, 12:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Diskussion um die Hamburger Bezahlkarte für Flüchtlinge und die damit einhergehende beschränkte Bargeld-Verfügbarkeit wird durch Entscheidungen der Sozialgerichte weiter angefeuert – auch innerhalb der rot-grünen Koalition. Während sich die Grünen weiter für eine Bezahlkarte ohne Einschränkungen starkmachen, will die SPD weiter an einer Bargeld-Obergrenze festhalten.
Hintergrund ist eine Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg, das die Beschwerde eines Asylsuchenden gegen die Bezahlkarte abgewiesen hatte. In seinem nicht anfechtbaren Beschluss, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, führt das Gericht aus, dass durch die Bargeldregelung mit keinen wesentlichen Nachteilen für den Antragsteller zu rechnen sei. Zuvor war der Kläger mit seiner Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrags auf ein Eilverfahren schon in erster Instanz gescheitert.
Das Gericht hält es für zumutbar, wenn der Antragsteller „vorläufig für die Zeit seines Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung, in der der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gewährt wird, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache die ihm bewilligten Leistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) auf eine Bezahlkarte erhält, für die eine Bargeldbeschränkung in Höhe von 50 Euro gilt“, heißt es in dem Beschluss.
Gericht: 50 Euro in bar ausreichend zur Deckung des persönlichen Bedarfs
Verfassungsrechtlich sei es grundsätzlich zulässig, das Existenzminimum durch Geld-, aber auch durch Sach- oder Dienstleistungen zu gewähren. „Die Bezahlkarte ermöglicht es dem Antragsteller, einen Teil der Leistungen für den persönlichen Bedarf in bar abzuheben und mit dem restlichen Teil für Waren und Dienstleistungen überall dort zu bezahlen, wo eine Zahlung mit einer Visakreditkarte möglich ist“, führte das Gericht weiter aus.
Im Falle einer Flüchtlingsfamilie war das Sozialgericht zuvor zu einer anderen Entscheidung gelangt – allerdings nur im vorläufigen Verfahren. Hier wurde erstinstanzlich entschieden, dass starre Bargeldobergrenzen nicht geeignet seien, um den Mehrbedarf beispielsweise von Schwangeren oder Familien mit Kleinkindern zu decken.
Flüchtlingsfamilie zuvor im Eilverfahren mit Beschwerde erfolgreich
Antragstellende in dem Eilverfahren war eine geflüchtete Familie mit einem 2022 geborenen Kind, die in diesem Jahr das zweite Kind erwartet. Sie forderte mehr Bargeld oder eine Einzahlung des Mehrbedarfs auf ein anderes Konto. Die Familie erhält laut Gericht derzeit einen Bargeldbetrag von 110 Euro. Das Gericht sprach ihr nun einen Bargeldbedarf von 270 Euro zu. Entscheidungen im Eilverfahren sind vorläufig und im konkreten Fall auch noch nicht rechtskräftig. Innen- und Sozialbehörde hatten mitgeteilt, eine Beschwerde zu prüfen. An der bisherigen Praxis wolle man derweil festhalten.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die beide Verfahren nach eigenen Angaben vorbereitet und begleitet hat, verwies darauf, dass das Landessozialgericht sich lediglich mit dem Antrag des Asylsuchenden auf eine Eilentscheidung befasst habe. Über die Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte oder die Bargeldbeschränkung sei gar nicht entschieden worden, sagte Verfahrenskoordinatorin Lena Frerichs.
Innenbehörde sieht Hamburger „SocialCard“ durch Entscheidung bestätigt
Die SPD-geführten Innen- und Sozialbehörden sehen sich durch die neue Entscheidung dennoch „klar bestätigt“, wie ein Sprecher der Innenbehörde der dpa sagte. „Wir sind weiter von der Rechtmäßigkeit des Einsatzes und der Modalitäten der SocialCard überzeugt. Die Entscheidung des Landessozialgerichts enthält keine Anhaltspunkte, daran zu zweifeln.“ Die Karte garantiere einen unkomplizierten Zugang zu den Leistungen und sei gleichzeitig so ausgestaltet, „dass die staatlich bereitgestellten Finanzmittel auch wirklich für den eigenen Lebensunterhalt eingesetzt werden“.
Auf die Karte bekommen erwachsene Leistungsbezieher monatlich 185 Euro gutgeschrieben. Davon können bis zu 50 Euro monatlich pro Erwachsenen und bei Familien 10 Euro zusätzlich pro Kind bar an Geldautomaten abgehoben werden.
Rot-grüner Zwist um Bezahlkarte neu befeuert
„Wir haben von Anfang an davor gewarnt, dass Bargeldobergrenzen aus der Bezahlkarte ein Bürokratiemonster machen könnten. Genau das wird nach der Beschwerde der schwangeren Frau jetzt wohl eintreten“, sagte hingegen Mareike Engels, sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Sie warnte: „Tausende Einzelfallprüfungen würden das Amt für Migration noch weiter überlasten. Deshalb machen wir uns für eine Rücknahme der Obergrenzen und eine Bezahlkarte ohne Einschränkungen stark.“
Bei der SPD ist man anderer Meinung: „Ein Staat, der Sozialleistungen zahlt, kann erwarten, dass diese ausschließlich zur Existenzsicherung aufgewendet werden“, sagte deren Sozialexpertin Annkathrin Kammeyer. Die „SocialCard“ solle eine schnellere, einfachere und stigmatisierungsfreie Nutzung von Sozialleistungen ermöglichen. „Erste Erkenntnisse zum Projekt weisen darauf hin, dass sich die Sozialkarte bewährt.“ Klar sei dabei, dass die Höhe der Bargeldauszahlung den Bedarfen gerecht werden und laufend evaluiert werden müsse.
Opposition: Bezahlkarte zeigt tiefe Spaltung bei Rot-Grün
Der anhaltende Streit zwischen SPD und Grünen zeige „die tiefe Spaltung der rot-grünen Koalition in der Beantwortung entscheidender Fragen und Herausforderungen unserer Zeit“, sagte die erst jüngst von der FDP zur CDU gewechselte Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. „Einen Senat, der in grundsätzlichen Entscheidungen für unsere Stadt derart uneins auftritt, kann sich Hamburg nicht leisten.“ Die vom Landessozialgericht geäußerte Ansicht, dass eine Obergrenze bei der Bargeldauszahlung verfassungsrechtlich generell zulässig sei, bezeichnete sie als „erfreulich und in der Sache richtig“. (dpa/mig) Aktuell Recht
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