AfD und Ost-Wahlen
Warum 2024 ein Polit-Beben droht
Das Jahr geht mit einem AfD-Wahlgewinn im sächsischen Pirna zu Ende. Dort stellt die laut Verfassungsschutz „gesichert rechtsextreme“ Partei ihren ersten Oberbürgermeister. Aber das Jahr 2024 könnte die politische Landschaft in Deutschland erst recht erschüttern. Es stehen mehrere Wahlen an.
Von Jörg Ratzsch Dienstag, 19.12.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.12.2023, 13:21 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
„Das nächste Jahr ist das Jahr der AfD“, sagte der Publizist Michel Friedman zuletzt bei den Frankfurter Römerberggesprächen. Mit Sorge blickt er Richtung Ende der 20er Jahre – Friedman befürchtet, dass dann vielleicht auf Bundesebene erste Gedankenspiele über Koalitionen mit der Rechts-Partei salonfähig werden könnten. Das kommende Jahr sieht er als Teil einer möglichen Entwicklung dorthin.
Die seit Monaten hohen Umfragewerte für die AfD wirken wie Vorbeben. Der große Knall könnte im September folgen, sollte sie in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zum ersten Mal seit ihrer Gründung als Siegerin aus einer oder gar mehreren Landtagswahlen hervorgehen. Das Wahljahr 2024 steht somit ganz im Zeichen der Frage, ob der Höhenflug der AfD anhält – oder die anderen Parteien ihn stoppen können.
Nun kann bis zu den Wahlen im Osten noch viel passieren, die politische Großwetterlage kann sich schnell ändern – und auch eine neue Konkurrenz von links könnte der AfD Wähler abspenstig machen. Doch aktuell strotzt die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei vor Selbstbewusstsein. Sie hat sich das Motto „bereit für mehr“ ausgedacht, um klar zu machen, dass sie bald mitregieren will. Im kommenden Jahr würden die „Altparteien ihr blaues Wunder an der Wahlurne erleben“, tönte es im November auf dem Landesparteitag der AfD in Mecklenburg-Vorpommern.
Der unter Druck stehenden Ampel in Berlin würden dann weitere Zerreißproben drohen – und die Union muss entscheiden, mit welchem Kurs und Kanzlerkandidaten sie sich der Entwicklung entgegenstemmen und in die Bundestagswahl 2025 ziehen will. Wie immer hängt alles mit allem zusammen. Sechs Ereignisse, die in der Summe für ein innenpolitisch besonders turbulentes Jahr sorgen dürften:
EINS – Januar – Parteigründung Wagenknecht
Gleich zum Jahresbeginn will die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die deutsche Politik mit der Gründung einer neuen Partei aufmischen. Mit scharfer Opposition zur Wirtschafts-, Klima- und Transformationspolitik der Ampel und mit restriktiver Migrationspolitik will die 54-Jährige der AfD Wähler abwerben. Diejenigen, die auch aus Wut darüber nachdächten, AfD zu wählen, sollten eine seriöse Adresse bekommen, sagt Wagenknecht. Es gehe darum, eine politische Leerstelle im Land zu füllen.
Politikwissenschaftler bescheinigen einer Wagenknecht-Partei ein recht großes Potenzial vor allem im Osten. Wird sie den Höhenflug der AfD stoppen? Parteichef Tino Chrupalla sagte dem ZDF, er habe „keine Angstperlen auf der Stirn“. Im Januar wollen sich Wagenknecht und Unterstützer in Berlin zum Gründungsparteitag treffen.
ZWEI – Februar – Entscheidung zur Geheimdienst-Beobachtung der AfD
Im Februar geht es in Münster um eine wichtige juristische Frage, die ebenfalls Einfluss auf den Zuspruch für die AfD haben könnte: Das Oberverwaltungsgericht muss klären, ob der Verfassungsschutz die Partei bundesweit als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und entsprechend geheimdienstlich beobachten darf, um festzustellen, ob es tatsächlich Bestrebungen gibt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Landes zu untergraben. In der Vorinstanz hatte der Inlandsgeheimdienst recht bekommen. Das Verwaltungsgericht Köln hatte festgestellt, es gebe hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei.
Die AfD hatte Berufung eingelegt. Unabhängig davon, wie die Entscheidung jetzt ausfällt, wird die Partei damit versuchen, Anhänger zu mobilisieren: Im Erfolgsfall in Siegerpose gegenüber einem aus ihrer Sicht instrumentalisierten Verfassungsschutz, bei einer Niederlage als vermeintliches Opfer staatlicher Drangsalierung.
DREI – Juni – Europawahl und Kommunalwahlen
Der 9. Juni, der Tag der Europawahl, wird zeigen, wie die Stimmungslage im Land wirklich ist. Schrumpft die Wählerzustimmung für die Ampel weiter, droht der Dauerschwelbrand über Kurs und Prioritäten dieser Regierung vor allem zwischen FDP und Grünen erneut aufzuflammen. Die FDP fühlt sich mit schwindendem Wählerzuspruch immer unwohler in diesem Bündnis, kann es aber schlecht platzen lassen, weil sie bei einer Neuwahl laut Umfragen aus dem Bundestag fliegen könnte.
Der 9. Juni wird auch der erste Testlauf für Wagenknechts neue Partei. Kann sie aus dem Stand so viele Wähler gewinnen, dass das Projekt trägt, oder geht ihm nur wenige Monate nach der Gründung schon die Luft aus? Sie hofft auf ein zweistelliges Ergebnis.
Doch nicht nur die Europawahl wird ein Fingerzeig. Am selben Tag und zum Teil auch schon davor werden in acht Bundesländern, darunter in allen fünf ostdeutschen Ländern, Kreistage, Gemeindevertretungen und Bürgermeister gewählt. Kommunalpolitiker sind nicht für Migration, Inflation, Klima und Energie zuständig, doch die Bundesthemen könnten durchschlagen – und die AfD versucht, sich in den Kommunen weitere Ämter zu sichern, wie zuletzt schon vereinzelt geschehen. Die Strategie machte Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke, den Verfassungsschützer als Rechtsextremisten einstufen, im Sommer deutlich: Das „kommunale Fundament“ müsse tragfähig sein, „damit wir auf landespolitischer Ebene dann auch reüssieren können“.
VIER – September – Landtagswahlen
Am 1. September könnte Deutschland – ausgeruht nach Sommerpause und Strandurlaub – schließlich ziemlich hart auf dem Boden der politischen Tatsachen landen. In Sachsen und Thüringen werden neue Landtage gewählt, am 22. September ist Brandenburg dran. In Umfragen lag die AfD zuletzt in allen drei Ländern mit zum Teil deutlich über 30 Prozent klar vorn. Es wäre das erste Mal, dass die AfD eine Landtagswahl gewinnt. Zwar sind Umfragen nur Momentaufnahmen und keine Prognosen auf den Wahlausgang, dennoch spricht die Partei bereits öffentlich von absoluten Mehrheiten und einem Ministerpräsidenten Höcke in Thüringen.
Mit den derzeitigen Werten erscheint das unwahrscheinlich, aber Experten zufolge ist auch nicht völlig auszuschließen, dass die AfD an die Macht kommt. Legt sie noch mehr zu und die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde (die Möglichkeit deutete sich zumindest für Sachsen in einer Insa-Umfrage im Sommer an), könnte es knapp werden. Die beiden verbliebenen Parteien CDU und Linke müssten zusammen auf mehr Stimmen kommen, um die Wahl eines AfD-Ministerpräsidenten im Landtag verhindern zu können. Noch nicht eingepreist ist hier aber, welchen Effekt die geplante Wagenknecht-Partei hätte.
Schon jetzt zerbrechen sich einige den Kopf über solche Szenarien und über bisher nicht gekannte Kooperationen zwischen CDU und Linken: „Wenn es tatsächlich um die bis heute rein fiktive Situation geht, dass es mit CDU, AfD und Linken nur noch drei Fraktionen in Sachsens Landtag gibt, glaube ich, dass vielen Mitgliedern meiner Partei zu vermitteln ist, dass die AfD hier nichts zu entscheiden haben darf“, sagte Sachsens Linksfraktionschef Rico Gebhardt im Oktober der „Sächsischen Zeitung“.
Einen AfD-Ministerpräsidenten gemeinsam verhindern wäre das eine, aber was dann? Wer soll regieren und mit wem, wenn sich keine Mehrheiten mehr finden? Die CDU hat eine Regierungszusammenarbeit mit der Linken genauso ausgeschlossen wie mit der AfD.
Schockwellen bis ins Ausland
Die Landtagswahlen im Osten haben auch das Potenzial, Schockwellen ins Ausland zu senden. Das internationale Echo dürfte groß sein, wenn zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der größten Volkswirtschaft Europas eine rechte Partei stärkste Kraft wird.
Gewinnt die AfD die Landtagswahlen auf Kosten der Ampel-Parteien, wird in Berlin auch die Frage wieder aufkommen, ob diese Koalition noch trägt – siehe oben. Die Frage ist, wie lange ein Regierungsbündnis das aushält. Allerdings wächst auch der Durchhaltewille, je kleiner der Abstand zur Bundestagswahl 2025 wird.
FÜNF – Spätsommer/Herbst – Kanzlerkandidatur der Union
Rund um die Landtagswahlen, im Spätsommer 2024, soll auch die wichtigste Entscheidung des Jahres bei der Union fallen. CDU und CSU wollen dann die Frage der Kanzlerkandidatur beantworten und damit, wer bei der nächsten Bundestagswahl Herausforderer von Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird. Der genaue Termin steht noch nicht fest. CSU-Chef Markus Söder würde gerne den Urnengang im Osten abwarten. Das würde allerdings die Frage, ob es CDU-Chef Friedrich Merz wird, mit diesen Wahlergebnissen verknüpfen: Schafft Merz es, seine Partei auf stabilem Niveau zu halten oder sogar Zugewinne zu verbuchen, ist ihm die Kür in der K-Frage so gut wie sicher.
Verliert die CDU im Osten spürbar, könnte die Stunde der Konkurrenten schlagen: Söder oder die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Hendrik Wüst und Daniel Günther, die für den milderen Merkel-Mitte-Kurs stehen. Die interne Debatte darüber, ob dieser oder der knallige Merz-Kurs besser bei den Wählern zieht und Stimmen für die AfD verhindert, ist noch nicht entschieden.
SECHS – November – Wiederwahl von Trump?
Die US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 wird nicht nur außenpolitisch eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres. Sollte der Republikaner Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt werden, hätte das auch wieder Einfluss auf die deutsche Innenpolitik und das AfD-Thema. Die Rechten würden Rückenwind für sich und ihr Argument reklamieren, dass überall im Westen die Gegenbewegung zum, wie sie es nennen, „linksgrünen Mainstream“ die Oberhand gewinne.
Gemutmaßt wird außerdem, dass unter Trump die US-Unterstützung für die Ukraine zurückgeschraubt werden könnte, was Russlands Präsident Wladimir Putin in die Hände spielen würde. Ob die Europäer dauerhaft ohne die USA genug Unterstützung für die Ukraine leisten können und wollen, um Putins Expansionsbestrebungen entgegenzutreten, ist fraglich. Auch das wäre im Interesse der AfD, die von Anfang an dafür plädiert hat, sich herauszuhalten und von Russland weiter billig Öl und Gas zu kaufen.
Bei seiner Sommerpressekonferenz im Juli wurde Kanzler Scholz auch nach der Stärke der AfD gefragt. Seine Antwort: “Ich bin ganz zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht viel anders abschneiden wird als bei der letzten.“ Das war im Herbst 2021. Damals kam sie auf 10,3 Prozent. Ihre bundesweiten Umfragewerte sind momentan doppelt so hoch. (dpa/mig) Aktuell Politik
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