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Bundesrat © LoboStudioHamburg @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

„Brauchen eine Million Migranten“

Einwanderung von Fachkräften: Reform nimmt letzte Hürde im Bundesrat

Deutschland öffnet die Türen für mehr Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern. Gesetzliche Regeln und Vorschriften werden entschlackt, um mehr Arbeitskräfte für alle Branchen zu gewinnen. Nun kommt es auf die Praxis an. Experten zufolge braucht Deutschland eine Million Einwanderer.

Sonntag, 09.07.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 08.07.2023, 21:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Deutschland ändert seine Regeln, um mehr internationale Fachkräfte zu gewinnen. Der Bundesrat hat am Freitag in Berlin grünes Licht gegeben für das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Ampel-Koalition, das der Bundestag im Juni verabschiedet hatte. Es ermöglicht Interessierten aus Nicht-EU-Ländern erstmals die Einwanderung nach einem Punktesystem, bei dem unter anderem Alter, Sprachkenntnisse und Berufserfahrung eine Rolle spielen.

Bund und Länder erhoffen sich dem Gesetz zufolge eine Zuwanderung von rund 130.000 Fachkräften pro Jahr. Die neuen Regeln zielen vor allem darauf, bürokratische Hürden abzubauen, qualifizierten Ausländerinnen und Ausländern die Arbeitssuche in Deutschland zu ermöglichen und das Bleiben zu erleichtern. So sollen Fachkräfte etwa künftig auch ihre Eltern oder Schwiegereltern nach Deutschland kommen lassen können.

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Schleppenden Visaverfahren in deutschen Botschaften

Interessenten wird es künftig ermöglicht, den Berufsabschluss aus ihrem Heimatland in Deutschland anerkennen zu lassen, wenn sie bereits hier arbeiten. Sie können sich hier weiterqualifizieren und sollen dabei von ihren Arbeitgebern unterstützt werden. Bisher ist die Anerkennung des Berufsabschlusses durch die deutschen Stellen einer der Flaschenhälse in den komplizierten und langwierigen Verfahren vor der Einreise. Ein anderer sind die schleppenden Visaverfahren in den deutschen Botschaften.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dazu im Bundesrat, das beste Gesetz helfe nicht, wenn es nicht gelinge, die Bürokratie zu vermindern sowie die Visaverfahren und Anerkennung der Berufsabschlüsse zu beschleunigen. Deutschland brauche bis 2035 sieben Millionen Arbeits- und Fachkräfte. Deshalb müssten Einwanderung und die Mobilisierung zusätzlicher Arbeitskräfte im Inland Hand in Hand gehen.

IfW-Chef: Brauchen eine Million Migranten

Dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, zufolge ist Zuwanderung als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel die einzige Lösung. „Unser größter Wettbewerbsnachteil sind nicht Unternehmenssteuern, sondern Fachkräftemangel und Demografie. Wir brauchen eine Million Migranten“, sagte Schularick der „Rheinischen Post“.

Dafür müsse es eine entsprechende Offenheit im Land geben. „Das wäre die wichtigste Strukturreform. Das erfordert Mut zum Wandel“, sagte der Ökonom. „Zudem müssten wir die frühkindliche Erziehung ausbauen, um Mütter im Arbeitsmarkt zu halten. Wenn wir beides schaffen, bin ich optimistisch für den Standort.“ Aus Sicht der „Wirtschaftsweisen“ Monika Schnitzer benötigt Deutschland sogar 1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr, „wenn wir abzüglich der beträchtlichen Abwanderung jedes Jahr 400.000 neue Bürger haben und so die Zahl der Arbeitskräfte halten wollen“.

Mindestgehaltsschwellen für Akademiker gesenkt

Mit dem Fachkräftegesetz werden auch die Mindestgehaltsschwellen für Akademiker gesenkt, um zusätzlich Berufsanfänger anzulocken. Asylbewerber, die zum Stichtag 29. März 2023 im Asylverfahren waren und bereits eine Arbeitsstelle haben, erhalten die Möglichkeit zum sogenannten „Spurwechsel“: Sie können das Asylverfahren abbrechen und einen Aufenthaltstitel als Fachkraft beantragen. Für alle künftigen Asylbewerber gilt das nicht.

Die Bundesländer stimmten auch der Novelle der Beschäftigungsverordnung zu, von der die Umsetzung etlicher der neuen Regeln abhängt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind dort aktuell 32.000 freie Stellen gemeldet, für die Arbeitgeber auch Bewerber aus Drittstaaten einstellen würden. Heil und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) appellierten an die Unternehmen in Deutschland, stärker dazu beizutragen, internationale Fachkräfte für Deutschland zu interessieren.

Dulig: Fachkräfteeinwanderungsgesetz allein reicht nicht aus

Das am Freitag vom Bundesrat gebilligte Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist aus Sicht des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig „ein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung inländischer Beschäftigter“. „Der Schlüssel für die Sicherung unseres Wohlstandes und unserer sozialen Sicherungssysteme sind motivierte und gut qualifizierte Arbeits- und Fachkräfte“, sagte der SPD-Politiker am Freitag im Bundesrat. Doch das reiche bei Weitem nicht aus, um die entstehenden Lücken bei den Fach- und Arbeitskräften zu schließen.

„Rund sieben Millionen Personen werden nach den derzeitigen Prognosen bis 2035 – also in nur 12 Jahren – aus dem Erwerbsleben ausscheiden.“ Die inländischen Fach- und Arbeitskräfte könnten dieses Problem nicht allein lösen. „Was wir brauchen, sind offene Türen für Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland“, sagte Dulig. Deutschland müsse sich zu einem modernen Einwanderungsland entwickeln. Dafür bräuchte das Land eine sichtbare Willkommenskultur und eine nachhaltige Integration der zugezogenen Menschen. „Eines dürfen wir allerdings nicht vergessen. Es kommen nicht in erster Linie Arbeits- und Fachkräfte, sondern es kommen Menschen, oft auch mit ihren Familien.“

Bayern scheitert mit Antrag gegen das Gesetz

Bayern scheiterte mit dem Antrag, das Gesetz nicht passieren zu lassen, sondern den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anzurufen. Die bayerische Regierung lehnt das Gesetz in allen wesentlichen Teilen ab. Die Union hatte ihm im Bundestag ebenfalls nicht zugestimmt.

Der Bundesrat ließ außerdem das Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung der Bundesregierung passieren. Es soll dafür sorgen, dass Beschäftigte im Inland sich für neue Anforderungen am Arbeitsmarkt qualifizieren können und dabei auch finanziell stärker unterstützt werden. Jugendliche erhalten eine Ausbildungsplatzgarantie. (epd/mig) Aktuell Politik

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