Streichholz, Feuer, Brandanschlag, Rauch, Straftat
Streichholz (Symbolfoto) © HG-Fotografie @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Nur noch Randerinnerung

Anschlag auf das jüdische Altersheim in München vor 50 Jahren

Er ist einer der schwersten Angriffe auf die jüdische Gemeinschaft nach 1945: der bis heute nicht aufgeklärte Anschlag vom 13. Februar 1970 in München mit sieben Toten. Aus dem öffentlichen Bewusstsein ist er aber nahezu verschwunden.

Von Mittwoch, 12.02.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.02.2020, 15:18 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Notruf geht am Abend des 13. Februar 1970 ein – kurz nach Sabbatbeginn. Im jüdischen Altersheim in der Münchner Reichenbachstraße, wo sich auch die Hauptsynagoge befindet, ist ein Feuer ausgebrochen. Erst glaubt man noch an einen Unfall, doch der Fund eines Benzinkanisters vor Ort bringt die traurige Gewissheit. Das Feuer wurde absichtlich gelegt. Sechs Bewohner ersticken oder verbrennen in den Flammen, ein siebter überlebt den Sprung aus dem vierten Stock nicht.

Der 13. Februar 1970 markiert bis heute einen der schwersten Anschläge auf die jüdische Gemeinschaft im Nachkriegsdeutschland. Die Täter werden nie ermittelt. Trotz dieser Tragweite: Aus dem öffentlichen Bewusstsein ist der Anschlag so gut wie verschwunden. Kein öffentliches Mahnmal erinnert an das Geschehen. Am 50. Jahrestag soll es nun eine Gedenkfeier im Alten Rathaus München geben.

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Eine „Katastrophe“

Münchner Oberbürgermeister war 1970 Hans-Jochen Vogel (SPD). Im Gespräch mit dem „Evangelischen Pressedienst“ nennt er den Anschlag 50 Jahre später eine „Katastrophe“. Die Opfer waren Holocaust-Überlebende; und sie wurden in Deutschland, dem Land der Täter, ermordet.

Vogel berief noch in der Tatnacht eine Pressekonferenz ein. In den folgenden Tagen kam Politprominenz aus ganz Deutschland nach München, unter ihnen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), und zur Trauerfeier Bundespräsident Gustav Heinemann. Die Polizei fahndete derweil nach den Brandstiftern – doch obwohl „außerordentlich gründliche Ermittlungen“ stattgefunden hätten, habe man die Täter nicht finden können, bedauert Vogel. Für ihn sei das ein Grund dafür, dass der Anschlag eher nur noch eine „Randerinnerung“ im öffentlichen Bewusstsein sei.

„Ein schlimmer Tag“

Das mit der „Randerinnerung“ können prominente Münchner Juden wie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch (87), und der SPD-Stadtrat Marian Offman (71) nur bestätigen. Sie nennen noch einen weiteren Grund, warum der Anschlag nicht so sehr im Vordergrund stehe: der Umgang Deutschlands mit der NS-Vergangenheit.

Für Knobloch war der 13. Februar 1970 „ein schlimmer Tag“. Viele der Opfer und Bewohner des Seniorenheims habe sie persönlich gekannt, berichtet sie. Offman erzählt, dass in der jüdischen Gemeinde „völlige Verzweiflung“ darüber geherrscht habe, dass nach dem Holocaust in Deutschland wieder Juden ermordet worden seien. Er bezeichnet es als „unglaublich“, dass Holocaust-Überlebende an einem vermeintlich sicheren Ort getötet werden konnten. Es blieben bis heute viele offene Fragen.

Nicht ins Bild gepasst

Dass es nach der „Stunde Null“ immer noch antisemitische Angriffe gab – das habe nicht ins Selbstbild des neuen und demokratischen Deutschlands gepasst, erklärt die Leiterin der städtischen Fachstelle für Demokratie, Miriam Heigl. Deshalb würden solche Anschläge oft als „Einzeltaten“ abgetan und verschwänden schnell aus dem öffentlichen Fokus. Das sei kein Phänomen von München, sondern typisch für Nachkriegsdeutschland, betont Heigl. Ihre Fachstelle organisiert die Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag unter anderen mit der Israelitischen Kultusgemeinde.

Ein Aufschrei in der jüdischen Gemeinde blieb angesichts der erfolglosen Suche nach den Tätern aus. Denn die Juden hätten damals „in einem selbst gewählten Ghetto“ gelebt, wie es Charlotte Knobloch ausdrückt. Die meisten Überlebenden wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg aus; in München lebte Anfang der 70er Jahre nur wenige Juden.

„Überschallt“

Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) nennt einen weiteren Grund, warum der Brandanschlag von 1970 in Vergessenheit geraten ist: die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 durch palästinensische Terroristen. Bei der Befreiungsaktion am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck sterben vor den Augen der Weltöffentlichkeit elf israelische Sportler und ein bayerischer Polizist. Ein solcher Anschlag nur zwei Jahre später überschatte alles andere, sagt Spaenle.

Die Frage, warum und von wem vor 50 Jahren sieben Menschen im jüdischen Altersheim getötet wurden, wird wohl nie beantwortet werden. Nachdem neue Hinweise auf mögliche Täter aufgetaucht waren, wurden 2013 die Ermittlungen wieder aufgenommen – und 2017 ergebnislos eingestellt. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel

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