Mittelmeer
Seenotretterin: „Wir müssen für Menschlichkeit kämpfen“
Acht Mal half die Marburger Ärztin Ruby Hartbrich auf Rettungsschiffen der Organisation "Sea-Watch" im Mittelmeer. Doch Europa sperrt sich gegen die Seenotrettung: Bei Hartbrichs letztem Einsatz im April durfte das Schiff den Hafen nicht verlassen.
Von Stefanie Walter Mittwoch, 22.05.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.05.2019, 16:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im April wollte Ruby Hartbrich wieder auf der „Sea-Watch 3“ im Mittelmeer helfen. Doch das Seenotrettungsschiff durfte nicht auslaufen. Erst nach einer Gerichtsentscheidung vergangenen Samstag stach das Schiff erneut in See – da war die Ärztin längst wieder in Marburg.
Am Mittwoch rettete die Sea-Watch-Crew 65 Flüchtlinge aus Seenot vor der libyschen Küste, darunter zwei Babys und 13 weitere Minderjährige. Wie viele private Rettungsschiffe in den vergangenen Monaten erhält auch die „Sea-Watch 3“ keine Erlaubnis, um die Geretteten zu einem Hafen zu bringen. Crew und Flüchtlinge harren derzeit im Mittelmeer aus und hoffen auf eine Lösung.
„Wir müssen für Menschlichkeit kämpfen“
Die Bedingungen für die privaten Seenotretter haben sich in der vergangenen Zeit sehr verschlechtert. Es ist keine leichte Mission. „Wir müssen für Menschlichkeit kämpfen und dafür auf die Straße gehen“, fordert Hartbrich auf einer Veranstaltung in Marburg ihre Zuhörer auf.
Die 29-Jährige hat dem Publikum einen Film über die Arbeit von „Sea-Watch“ mitgebracht, einem Berliner Verein, der Rettungsaktionen im Mittelmeer organisiert. Zu sehen sind dramatische Szenen: Helfer ziehen Migranten an Bord der „Sea-Watch“. Dort liegen sie dicht gedrängt, einige weinen, zittern, eingehüllt in die glitzernden, bronzefarbenen Rettungsdecken. Ein Helfer hält ein Kind im Arm, um das Handgelenk des Kleinen klebt ein Zettel mit Zahlen: Telefonnummern von Verwandten, vermutet der Retter.
Bilder des Unglücks
Acht Mal half Ruby Hartbrich bereits auf den Rettungsschiffen von „Sea-Watch“. 2015, damals noch Studentin, sah sie Bilder des Unglücks vor Lampedusa, wo vermutlich Hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken. Sie bewarb sich bei dem Verein. Wenig später startete ihr erster Einsatz.
Drei Wochen am Stück seien die Ehrenamtlichen an Bord, berichtet Hartbrich. Die Crew besteht aus Medizinern, Mechanikern, Matrosen, Schnellbootfahrern und einem Koch. Hat das Boot Flüchtlinge gerettet, versucht es, sie an Land zu bringen. Doch immer mehr Länder weigern sich, die Menschen aufzunehmen. Sie seien zuletzt bis nach Spanien gefahren, berichtet die Ärztin. Eine lange Reise, während der die „Sea-Watch“ nicht vor der libyschen Küste war und niemanden retten konnte.
Ein gutes Geschäft für Schlepperbanden
Ganz unterschiedliche Menschen versuchen übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Mal zeigt der Film ein Boot mit Männern aus Afrika südlich der Sahara, mal Frauen mit Kindern, mal Menschen aus Bangladesch. Auch die Ausstattung der Boote variiere; einige hätten Trinkwasser dabei, sagt Hartbrich.
Migranten nach Europa zu bringen, ist ein gutes Geschäft für Schlepperbanden. Es existiere ein Markt, erklärt die Ärztin. „Sea-Watch“ wird manchmal vorgeworfen, Teil dieses Marktes zu sein: Weil Flüchtlinge gerettet werden, versuchten noch mehr Schlepper, noch mehr Menschen über das Mittelmeer zu schleusen. Hartbrich entgegnet: Migranten, die sie retten, sagten, dass sie lieber ertrinken würden. Aber niemals gingen sie zurück nach Libyen oder in ihre Heimat. Wer so denkt, fliehe sowieso, argumentiert sie.
Furchtbare Zustände in Libyen
Vor Libyen spiele sich derzeit das hauptsächliche Flüchtlingsgeschehen ab. Es sei sehr leicht, in das kriegszerrüttete Land zu kommen. In Libyen herrschten dann allerdings furchtbare Zustände: Die Flüchtlinge lebten zu Tausenden in Lagern. Sie berichteten von Gewalt, Folter und Sklaverei.
Die Erkrankungen der Flüchtlinge, die Hartbrich behandeln muss, reichen von Verbrennungen bis zu Infektionskrankheiten. Alle seien seekrank, viele dehydriert, einige hätten Schusswunden oder schlecht verheilte Brüche, die sie sich auf der Flucht zuzogen. Manchmal sieht die Ärztin auch Leichen. Aber meistens würden die Toten bereits vorher über Bord geworfen.
Traumatisierende Situationen
Manche Situationen erlebt sie als traumatisierend. Etwa, wenn Boote untergegangen sind. Immer weniger Rettungsschiffe seien im Mittelmeer im Einsatz, weil die EU sich gegen die Seenotrettung formiert habe. Hartbrich fordert: „Europa muss eine staatliche Seenotrettung organisieren.“ Es brauche legale Fluchtwege nach Europa, damit die Menschen nicht den tödlichen Weg übers Meer wählen müssen.
Im August steht ihr nächster Einsatz auf der „Sea-Watch 3“ an. Hartbrich, die in Marburg als Ärztin in der Tropenmedizin arbeitet, hofft nur, dass das Boot dann nicht wieder im Hafen festgesetzt wird. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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