Interview mit Alaa Zouiten

„Unsere Konzerte sind ein Stück Kindheitserinnerung für das Publikum“

Der marokkanische Musiker Alaa Zouiten kuratiert aus dem arabischen Raum die Konzertreihe „Arab Song Jam“ in der Berliner „Werkstatt der Kulturen“. Sein Schwerpunkt: Neuinterpretationen und herkömmliche Spielweisen populärer und traditioneller Stücke aus dem Maghreb. Ein Interview über den Irrtum europäischer Vorstellungen arabischer Musik, die Vielfalt nordafrikanischer Stile und das syrische Publikum.

Dienstag, 27.03.2018, 6:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 28.03.2018, 15:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Herr Zouiten, die arabische Community Berlins ist nicht erst seit den jüngsten Migrationsbewegungen aus Syrien fester und wachsender Bestandteil der Großstadtkultur. Was ist das Innovative an „Arab Song Jam“?

Alaa Zouiten: Ihre Beobachtung teile ich. Berlin ist eine Weltstadt, in der fast alle Kulturen der Welt zu finden sind. Dennoch findet die arabische Musikkultur und vor allem die nordafrikanische hier nicht den angemessenen Raum, in dem sie hochqualitativ repräsentiert werden kann. Die „Arab Song Jam“ in der „Werkstatt der Kulturen“ schließt genau diese Lücke und bietet erstmals eine professionelle Plattform, um die Vielfalt arabischer Musikstile und ihrer Verwebungen auf die Bühne zu bringen. Darüber hinaus ist die Jam ein Ort für die Vernetzung der Neuen Berliner. Ein Ort, an dem sich Künstler treffen. Ein Ort, an dem Altes auflebt und Neues entsteht.

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Wie können sich Gäste den Abend musikalisch vorstellen?

Info: Termine und weitere Informationen zu „Arab Song Jam“ gibt es im Internet auf „Werkstatt der Kulturen„.

Alaa Zouiten: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in Europa arabische Musik irrtümlich nur als syrisch, irakisch oder ägyptisch gedacht wird. Jedoch ist allein schon die Vielfalt im Maghreb weit größer: Hier kommen Komponenten wie das musikalische Erbe der Berber ins Spiel, die mit der Tar, einer Rahmentrommel, oder der Darbukka, einer Bechertrommel, durch den eher rhythmusbetonten, meist zyklischen und dadurch teilweise tranceartigen Charakter beschrieben werden können. Auf der Bühne kommen diese Klänge ins Zusammenspiel mit anderen musikalischen Einflüssen wie der Gnaouamusik, die durch erzwungene Migration von in Marokko versklavten Menschen aus dem Senegal, Sudan und Ghana in die Region kam. Zu hören sind auch Chaabi, Maalouf und arabo-andalusische Musik. Instrumental wird der Klangteppich breit bedient mit Oud, Schlagzeug, Bass, Qanun, Gitarre, Piano, Saxophon oder Nay.

Die Reihe ARAB SONG JAM ist damit Konzert und Jam gleichzeitig?

Alaa Zouiten: Ich eröffne den Abend im 1. Set mit einer Opening Band, die aus wechselnden Musikern, meist ein Trio, und einem Special Guest besteht. In der Edition „Arab Song Jam goes Maghreb“ hatte ich so die Ehre, mit Gitarrenvirtuose, Sänger, Songwriter und Produzent Momo Djender gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Im 2. Set sind im Raum befindliche Musiker, die das Repertoire kennen und einsteigen möchten, aufgefordert, bei mir vorstellig zu werden. Dann stehen gut zehn Musiker gemeinsam auf der Bühne. Wir adaptieren damit die Schwarze US-amerikanische Jamsession-Kultur der 40er Jahre. Ähnlich wie sich die Jazz-Jam-Sessions in allen Metropolen der Welt inzwischen am „Real Book“ mit seinen Jazz-Standards orientiert, bedient sich „Arab Song Jam“ aus dem facettenreichen sehr populären arabischen Lied-Repertoire.

Wie entstehen die Neuinterpretationen?

Alaa Zouiten: Es gibt zwei Möglichkeiten der Neuinterpretationen: während der Probe mit dem Special Guest des Abends entwickeln wir gemeinsam neue Arrangements, die im 1. Set präsentiert werden. Im 2. Set entstehen live und in Echtzeit auf der Bühne neue Interpretation durch die Einflüsse der Musiker, die in die Jam einsteigen. Dieser Part ist unfassbar spannend – für mich ebenso wie für die Künstler und das Publikum.

Gibt es vergleichbare Konzerte in der Stadt für die Community?

Alaa Zouiten: Es gibt zwar Jam-Sessions in Berlin, die der Community dienen. Die Besonderheit von „Arab Song Jam“ jedoch besteht darin, dass wir mit Schwerpunkten für jede Edition arbeiten. Bei der ersten Edition standen mit der Sängerin Chiha tunesische Sounds im Mittelpunkt, es folgte ein algerischer Fokus mit Momo Djender. Im kommenden Jahr beschäftigt sich die Reihe musikalisch mit Marokko, Andalusien und Gnaoua. Dieses Konzept ist in Berlin einmalig!

Welche Bedeutung hat „Arab Song Jam goes Maghreb“ für die Community?

Alaa Zouiten: Zum einen das große Wiedererkennungspotenzial der Stücke, die wir auf der Bühne neu interpretieren. Viele Gäste kennen die Melodien und Lyrics im Schlaf, weil sie schon als kleine Kinder damit aufgewachsen sind. Das verleiht den Abenden eine besondere Atmosphäre. Die Community – sowohl Gäste als auch Musiker*innen – ist so vielfältig wie das Repertoire des Abends selbst, wobei ein Großteil mit biografischen Bezügen zu Syrien die Jam besucht. Von großer Bedeutung für mich ist auch, dass wir mit ARAB SONG JAM vermitteln, wie groß und vielfältig die arabische Community und unsere Musikstile sind. Im Alltag sollte es keine Trennung zwischen den einzelnen Communities, bspw. der marokkanischen und der tunesischen, geben – und genau das bringt die Konzertreihe auf die Bühne: Ein spannendes Miteinander aller Musiker*innen der Region. Ein algerischer Oud-Spieler begleitet eine libysche Sängerin; eine ägyptische Laute verbindet sich mit sudanesischen Klängen der Dinka, usw. Diese musikalischen Verbindungen gehen dabei stilistisch über das Repertoire der arabischen Community hinaus.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von „Arab Song Jam“?

Alaa Zouiten: Die Konzertreihe hat sich bereits binnen weniger Monate rasant entwickelt! Wir haben ein großes und stetig wachsendes Publikum, das sich schon lange vor Konzertbeginn in der „Werkstatt der Kulturen“ einfindet, um noch einen Platz zu bekommen. Bei 300 Gästen sind die räumlichen Kapazitäten schnell erschöpft. Unsere Fans kennen genau die Codes und Rituale der Jam: applaudieren bei grandiosen Soli und sind begeistert von live entstandenen Cross-Over-Mischungen. Perspektivisch wünsche ich mir eine musikalische Weiterentwicklung des Formats und Special Guests, die wir gezielt aus dem europäischen Ausland einladen. In der New York Times und der Washington Post erschienen erst kürzlich Rezensionen zur „Arab Song Jam“ – wir sind auf einem sehr guten Weg! Vielleicht gelingt es uns auch, eine CD der Konzertreihe zu veröffentlichen. Warum nicht.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Zouiten.  Aktuell Feuilleton

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