Unfreiwilliger Spendenlauf
Neonazis sammelten 10 Euro pro Meter für eigene Abschaffung
Im oberfränkischen Wunsiedel hat der Widerstand gegen Neonazis fast schon Tradition. Zum alljärhlichen "Heldengedenken" formieren sich Bündnisse gegen Rechts, um den Neonazis Paroli zu bieten. So auch dieses Jahr – äußerst kreativ sogar.
Von Wolfgang Lammel Dienstag, 18.11.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.11.2014, 20:14 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Es war ein Protest mit Witz und Hintersinn: Bei ihrem alljährlichen sogenannten „Heldengedenken“ im oberfränkischen Wunsiedel wurden gut 250 Neonazis auf den „unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“ geschickt. Denn mit jedem Meter, den die Rechtsradikalen am Samstag auf ihrem Marsch durch die Fichtelgebirgsstadt zurücklegten, flossen finanziert durch Förderer zehn Euro auf ein Spendenkonto zugunsten der Initiative EXIT-Deutschland, die sich um Aussteiger aus der Neonazi-Szene bemüht.
Dabei passierte der „Trauermarsch“, zu dem die rechtsextremistische Partei „Der Dritte Weg“ aufgerufen hatte, zahlreiche Transparente mit ironischen Kommentaren wie „Im Spendenschritt Abmarsch“ und „Endspurt statt Endsieg“. Angeboten wurde auch „Marschverpflegung“: Bananen, eingewickelt in eine Banderole mit der Aufschrift „Mein Mampf“. Am Ende der Aktion stand eine Summe von 10.000 Euro, für die sich die Initiatoren nicht nur bei den tatsächlichen, sondern auch bei den „unfreiwilligen Spendern“ brav bedankten: „Danke, liebe Neonazis“, hieß es noch während der laufenden Veranstaltung auf der eigens eingerichteten Homepage www.rechts-gegen-rechts.de.
Irgendwann merkten sie’s
Die Aktion war unter anderem vom Bündnis „Wunsiedel ist bunt nicht braun“ und der Projektstelle gegen Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad vorbereitet worden. „Damit wird das Anliegen der Neonazis konterkariert“, sagte der evangelische Wunsiedler Pfarrer Jürgen Schödel als einer der Mitveranstalter: „Denn bei ihrem Marsch merken die Rechtsextremisten, dass sie damit eigentlich Geld für die Aussteigerhilfe sammeln.“ Allerdings verweist Schödel auch auf den ernsthaften Hintergrund des Protests: Bei der angeblichen „Heldenverehrung“ gehe es tatsächlich um Kriegstreiber und Massenmörder aus der Geschichte. „Und es sind menschenverachtende geistige Brandstifter aus der Gegenwart, die durch ihre Umtriebe für reale Brandstiftung, Mord und Totschlag bis hin zum rechtsextremen NSU-Terrorismus verantwortlich sind.“
Der kreative Protest gegen Neonazis hat in Wunsiedel durchaus Tradition. Über Jahre hinweg hatte die rechtsradikale Szene die kleine Stadt regelmäßig in eine Art Geiselhaft genommen, wenn dort mit Kundgebungen und Aufmärschen mit bis zu 4.000 angereisten Teilnehmern der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß (1894-1987) gefeiert wurde. Nach seinem Tod im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau war Heß im Familiengrab auf dem Friedhof der Fichtelgebirgsstadt beigesetzt worden.
Beispielhaftes Modell für zivilgesellschaftliches Engagement
Im Jahr 2004 formierte sich auf Initiative der damaligen Wunsiedler Jugenddiakonin Andrea Heußner ein zivilgesellschaftliches Bündnis gegen Neonazis, das auf den Straßen einen symbolischen „Kehraus“ veranstaltete und später den Todestag von Rudolf Heß zu einem bunten „Fest der Demokratie“ umwidmete. Der Widerstand der Wunsiedler Bürger gegen die Rechtsextremisten gilt inzwischen bundesweit als beispielhaftes Modell für zivilgesellschaftliches Engagement.
Die Heß-Gedenkmärsche wurden 2008 durch ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gestoppt, das eine vom damaligen Wunsiedler Landrat und Vizepräsident der bayerischen evangelischen Landessynode Peter Seißer (SPD) angestoßene Gesetzesverschärfung wegen Volksverhetzung für rechtmäßig erklärte. Beim alljährlichen „Heldengedenken“ gehört es deshalb ausdrücklich zu den Auflagen, dass die Namen von Kriegsverbrechern wie Rudolf Heß und Erich Priebke nicht genannt werden dürfen. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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