Interview mit Liz Fekete

„Wer überwacht die Polizei? Wem ist sie Rechenschaft schuldig?“

Mit der NSU-Aufdeckung ist die Rassismus-Debatte in Deutschland auch im Mainstream angekommen. Institutioneller Rassismus ist aber immer noch Tabuthema. Liz Fekete erklärt das britische Modell und was man daraus lernen kann.

Von Sybille Biermann Montag, 11.02.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.02.2013, 22:29 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Wenn die Polizei einer gefesselten Frau das Nasenbein bricht und sich auf Notwehr beruft; wenn unter mysteriösen Umständen Menschen im Polizeigewahrsam sterben; wenn bei Polizeikontrollen rassistische Bemerkungen fallen und wenn die Polizei fast immer ungestraft davonkommt. Oder wenn der ARD-Literaturkritiker Denis Scheck ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag meint, er müsse auf Blackfacing zurückgreifen, um mal richtig gegen den „politisch korrekten Sprachexorzismus“ in der aktuellen Kinderbuchdebatte zu protestieren.

Rassismus wird in Deutschland immer noch bagatellisiert und darf wenn überhaupt nur in extremistischen Kreisen existieren. In den Institutionen und im Alltag verbittet man sich gern jeden Vorwurf. Und die Hoffnung, dass nach den NSU-Enthüllungen Instrumente geschaffen würden, um Polizei, Verfassungsschutz und Institutionen kritisch auf Rassismus zu prüfen, scheint naiv. In England hingegen hat diese Diskussion bereits vor zwanzig Jahren stattgefunden.

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Am 22. April 1993 wurde in Südost-London der 19-jährige Schwarze Stephen Lawrence von einer Gang weißer Männer angegriffen und ermordet. Daraufhin wurde seitens der Polizei und Justiz inkonsequent ermittelt, Verhaftungen folgten trotz eindeutiger Zeugenaussagen erst Wochen später und Beweise wurden unterschlagen. Die Täter blieben bis letztes Jahr unbehelligt. Für wenige kam eine solche Verfahrensweise überraschend. Langfristig aber sollte gerade dieser Fall einen Meilenstein im Umgang der britischen Politik und Gesellschaft mit dem Thema Rassismus bedeuten. Der von der Regierung in Auftrag gegebene Macpherson Bericht erschien 1999 und attestierte Großbritannien ein Problem mit institutionellem Rassismus. Folgend wurden weitgehende Instrumente eingerichtet, diesen auch offiziell zu bekämpfen. Ein Modell für Deutschland? Liz Fekete, Geschäftsführerin des Londoner Institute of Race Relations, erinnert sich:

Liz Fekete: Stephen Lawrence war mit einem Freund unterwegs, als sie rassistisch angegriffen und Stephen ermordet wurde. Als die Polizei kam, behandelten sie ihn wie irgendeinen jugendlichen Unruhestifter auf der Straße. Sie hatten es nicht eilig, einen Krankenwagen zu rufen, vernahmen stattdessen seinen Freund – die Opfer wurden also wie Täter behandelt. Das war nichts Neues, wir wussten, dass die Polizei sich so verhält. Wir wussten aber auch, dass es diesmal anders verlaufen wird, als ausgerechnet die Daily Mail eine Titelseite veröffentlichte, auf der sie Stephens Familie unterstützte. In der Zeitung stand, dass es unzumutbar sei, dass diese weiße Rassisten-Gang ungestraft davonkommt. Es tut mir leid das so zu sagen, aber die Daily Mail ist eine Boulevardzeitung, die dem rechten Flügel der Britischen Politik nahe steht. Diese Schlagzeile war nicht zu erwarten.

MiGAZIN: Können Sie sich an einen weiteren Moment erinnern, wo Ihnen klar wurde, das hat Folgen, dieser Fall bringt Veränderungen mit sich?

Fekete: Dass Macpherson mit Empfehlungen rauskam, war bestimmt ein wichtiger Moment, aber es gab zuvor auch schon Untersuchungen. Entscheidend war, dass unser Innenminister, Jack Straw eine Pressekonferenz einberief, sich hinstellte und sagte, „ja, es gibt institutionalisierten Rassismus in Großbritannien“. Als das ausgesprochen war, von unserem Innenminister, wurde klar, dass damit ein Damm gebrochen wurde.

MiG: Warum war die Zeit genau dann reif, können Sie uns einen Eindruck geben von der Diskussion damals?

Fekete: Ich denke, eine derartige Veränderung kann es nur geben, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen. Ein entscheidender Unterschied zwischen Großbritannien und sagen wir mal einem Land wie Deutschland ist, dass britische Schwarze und andere sogenannte ethnische Communities nach dem Zweiten Weltkrieg nicht als Gastarbeiter, sondern als Bürger kamen. Sie hatten also bereits mehr Rechte als zum Beispiel Deutschlands türkische Gastarbeiter. Daher war es für sie einfacher, für soziale Anerkennung zu kämpfen. Außerdem war Stephens Familie sehr hartnäckig, sie ließen sich nicht abwimmeln. Aber es gab vor ihnen schon andere Familien, die ebenso für die Anerkennung einer rassistischen Straftat gekämpft hatten und dabei nichts erreicht hatten.

Ich glaube, die Gesellschaft war damals bereit, sich das anzuhören; unter anderem deswegen, weil sich die Schwarze Community fest etabliert hatte, zum Beispiel in der Popkultur. Die alten rassistischen Attitüden hatten begonnen zu bröckeln. Andererseits muss man auch sagen, dass sich hier seit der Anerkennung durch Macpherson einiges rückwärts bewegt hat. Das Wichtigste aber waren die Aufstände 1981 und 1985 in unzähligen britischen Städten, nicht nur in London. Ihr würdet das wahrscheinlich mit dem Begriff „riot“ beschreiben, aber im britischen Kontext waren das Aufstände, und zwar gegen die Polizeigewalt. Es wurde unglaublich viel materieller Schaden angerichtet. Die Städte mussten danach praktisch neu aufgebaut werden. Nach 1981 und 1985 konnte das politische System die Forderungen ethnischer Minderheiten nicht mehr ignorieren, dafür waren die Ereignisse zu einschneidend. Zum einen wegen der Schäden, zum anderen gab es auch hier eine Untersuchung, den Lord Scarman Report, der Diskriminierung anerkannte. Also noch nicht institutionellen Rassismus aber Diskriminierung. Es war demnach eine stete Entwicklung. Wie ich schon sagte, Stephen Lawrence und Macpherson passierten nicht über Nacht, es gab einleitende Schritte für diese Ereignisse.

MiG: Welche Instrumente folgten der Anerkennung durch Jack Straw und dem Macpherson Report, um institutionellen Rassismus zu bekämpfen und Verantwortlichkeit zu fordern?

Fekete: Die damalige Regierung hat sofort Änderungen an der Gesetzgebung vorgenommen. Es gab zuvor schon etwas, dass sich „Race Relation Act“ nannte, worin festgelegt war, dass verschiedene Institutionen in der Pflicht sind, die Beziehung zwischen den Ethnien zu fördern. Es gab ein Gesetz gegen die Anstiftung zum Rassenhass. Die Anerkennung institutionalisierten Rassismus aber bedeutete, dass der „Race Relations Act“ geändert wurde und Institutionen und öffentliche Einrichtungen jetzt eine positive Pflicht hatten, nicht nur nicht zu diskriminieren, sondern auch ihre Organisationen darauf zu überprüfen, ob es in ihnen institutionalisierten Rassismus gibt.

Es gab mehr Kontrollen zum Beispiel bei der Bearbeitung von Bewerbungen; Schulen wurden verpflichtet, Informationen zum Bildungsniveau ethnischer Minderheiten zu sammeln und wenn sich abzeichnete, dass eine bestimmte Gruppe hinterherhinkte, mussten Instrumente geschaffen werden, um eventuelle Leistungshürden zu überwinden. Das waren die größten institutionellen Veränderungen nach Macpherson.

MiG: Abgesehen von den institutionellen Änderungen – wie hat der Fall Lawrence den öffentlichen Diskurs verändert, wenn überhaupt?

Fekete: Man muss zwischen institutionalisiertem Rassismus, also wenn Organisationen und Strukturen ethnischen Minoritäten nicht gleichermaßen dienen, und populärem Rassismus unterscheiden. Populärer Rassismus meint zwei Dinge. Zum einen den normalisierten rassistischen Rahmen, der sich mit der Zeit entwickelt und innerhalb dessen wir bestimmte Minderheiten wahrnehmen, zum Anderen meint es die alltäglichen Aspekte populärer Kultur.

Nach dem Fall Lawrence wurden einige dieser Rassismen besonders in medialen Repräsentationen seltener. Die Zeitungen überlegten es sich nun zweimal bevor sie, sagen wir, einen Cartoon veröffentlichten, der junge Schwarze als Diebe und Unruhestifter porträtierte. Vor Stephen Lawrence war das sehr üblich. Man sah mehr Darsteller mit einem afro-karibischen oder südostasiatischen Background in den Seifenopern und sie wurden so dargestellt, dass man mit ihnen sympathisieren konnte, wo sie vorher noch sehr stereotyp gezeichnet waren. Diese Dinge änderten die Popkultur. Im Fall Großbritanniens muss man auch bedenken, dass „unsere“ Minoritäten Stimmrecht haben. Das ist ein weiterer Unterschied zwischen Großbritannien und anderen Ländern, in denen die meisten Migranten keine Staatsbürger sind.

MiG: Wo sehen Sie institutionalisierten Rassismus in Deutschland?

Fekete: Ich denke, es gibt in massives Problem mit institutionalisiertem Rassismus in der Polizei. Die Lektion aus der britischen Erfahrung ist es aber, diesen nicht isoliert zu betrachten. Es geht viel allgemeiner darum, die Polizei zur Rechenschaft ziehen zu können. Das gilt auch für den Verfassungsschutz, das hat man ja an den Erkenntnissen über die NSU gesehen. Es gibt keine Transparenz, keine Instrumente zur Verantwortlichkeit und es macht manchmal den Eindruck, als gäbe es da einen tiefen Staat, also einen Staat im Staat.

Große Sorge macht mir auch die steigende Zahl an Todesfällen schwarzer Menschen in Polizeigewahrsam. Ich denke besonders an Oury Jalloh, Ousmane Sey und Christine Schwundeck. Und es gibt viele andere, auch Todesfälle während Abschiebungen. Dabei geht es zum Einen um das akzeptierte Level an Gewalt seitens der Polizei – auch in täglichen Begegnungen mit Schwarzen Menschen – und es scheint mir, als wäre das akzeptiert, weil rassistisches Profiling in Polizeioperationen systemisch vorhanden ist. Zum anderen sorgen mich die schwachen Strukturen, um die Polizei zur Verantwortung zu ziehen. Wer überwacht die Polizei? Wem ist sie Rechenschaft schuldig?

In Großbritannien gibt es hierfür eine Struktur, auch wenn die nicht ohne Probleme ist. Die nennt sich Independent Police Complaint Commission und dort kann man Beschwerde einreichen. Zudem gibt es ein System, wobei es bei jedem Todesfall in Staatsgewahrsam, also im Gefängnis, in speziellen Institutionen, wie zum Beispiel der Psychiatrie, oder in Polizeigewahrsam eine Untersuchung gibt. Dort wird die Todesursache gerichtlich geprüft. Auch dieses System ist nicht ohne Probleme – aber wenigstens gibt es eines. Ein solcher Mechanismus ist unabdingbar, auch um den Familien die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. So was gibt es in Deutschland nicht und das macht mich fassungslos. Von einer solchen Struktur profitiert die gesamte Gesellschaft, nicht nur Opfer rassistischer Gewalt.

MiG: In Deutschland wird selten von Rassismus gesprochen, sondern von Fremden- und Ausländerfeindlichkeit, wenn überhaupt. Das „nicht dazugehören“ bleibt den Opfern anhaften. Sehen sie da eine Parallele zu Großbritannien?

Fekete: Ich sehe da eine klare Parallele zwischen Deutschland heute und der Situation in Großbritannien nach den Aufständen 1981. Es gab damals eine Untersuchung durch Lord Scarman, der zu dem Schluss kam, dass es zwar keinen institutionalisierten Rassismus gäbe, jedoch aber etwas, das er „racial disadvantage“ nannte, also Benachteiligung. Dieses Verständnis von Benachteiligung war zweischneidig: Es sagte, ja, es gibt Diskriminierung, aber das haben die Betroffenen mit zu verantworten, weil sie an ihrer Kultur festhalten. Oder es wurde behauptet, es gäbe eine Opferkultur, wo sie sich ständig als Opfer der Polizei sähen. Es gibt also Parallelen.

Die Frage ist, wie man den Durchbruch schafft. Wie kann sich Deutschland weiterentwickeln? Momentan sehe ich eine Gesellschaft, die zwar individuelle Vorurteile und Benachteiligung akzeptiert, aber nicht sehen will, dass dies ein systemisches Problem ist. Die ganze Gesellschaft ist in einer Weise organisiert, dass sie bestimmte Gruppen ausgrenzt und zurückhält, während sie an den eigenen Privilegien festhält. Interview Leitartikel

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