Cem Özdemir, Die Grünen, Politik, Politiker, Anatolischer Schwabe
Cem Özdemir (Die Grünen) © oezdemir.de, bearb. MiG

Rassismus in grün

Warum die Grünen Cem Özdemir nicht gewählt haben

Die Grünen haben mit Cem Özdemir einen der beliebtesten Politiker der Republik gedemütigt. Die Masche hat Methode: nur solange der Migrant keine Ansprüche stellt, ist er geduldet. Von Christian Füller

Von Dienstag, 01.10.2019, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.10.2019, 17:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Grünen zerbrechen sich gerade den Kopf. Sind wir in den Spitzenpositionen zu weiß? Das fragt sich ausgerechnet jene Partei, die für Multikulturalismus steht wie keine zweite in der Republik. Die Frage ist aber berechtigt. Die Grünen sitzen bald in einem Dutzend Landesregierungen. In Umfragen fliegen sie in den demoskopischen Höhen einer Volkspartei. Aber im Ministerrang steht nur eine person of colour, wie man in der ethnosensiblen Sprache bei Bündnis 90/Die Grünen sagt. Es ist Tarek Al-Wazir, Hessens Vize-Ministerpräsident. Dann gibt es noch Muhterem Aras, Landtagspräsidentin in Stuttgart, und das war`s auch schon: der Rest der grünen Minister- und Spitzenämter wird von der weißen, gebildeten Mittelschicht besetzt.

Die Grünen hätten gerade die Chance gehabt, auf einen ihrer Topjobs einen echten Spitzenmann zu wählen, Cem Özdemir. Der Sohn türkischer Eltern lag einst vor Angela Merkel als beliebtester Politiker, ist ein brillanter Rhetoriker und einer der wenigen aus der grünen Bundestagsfraktion, die eine breitere Öffentlichkeit überhaupt kennt. Die Fraktion aber demütigte ihn. Der anatolische Schwabe Özdemir verlor bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden deutlich mit 39 zu 27 Stimmen gegen den Bayern Toni Hofreiter, einen exzellenten Öko-Fachmann, den allerdings – freundlich gesagt – nördlich des Mains nicht jeder Bürger versteht.

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Die taz kolportierte – anonym – aus dem linken Flügel der Grünen-Fraktion, was gegen Özdemir spricht. Es war ein ziemlich pauschaler Ablehnungsgrund: „Mit Cem geht es nicht.“ Könnte es sein, dass sich hinter dieser generellen Absage an den Türken Özdemir etwas verbirgt, was es bei den Grünen qua Selbstverständnis eigentlich nicht geben kann: schnöder Rassismus?

Cem Özdemir wurden auch politische Gründe für das Nein vorgehalten. Dem gelernten Erzieher wurde im Kern aber ein charakterliches Defizit zugeschrieben, dass es unmöglich mache, ihn zu wählen. Dieses Defizit umweht der Hautgout des unberechenbaren Wilden von jenseits des Bosporus. Er neige zu Alleingängen und sei als Parteichef schlecht mit seiner Co-Vorsitzenden Simone Peter umgesprungen, hieß es immer wieder vor dem Wahlgang in der Fraktion. Der Vorwurf kam erneut anonym und er wurde ohne Beispiel vorgetragen. Man durfte gar nicht erfahren, was der böse Cem gemacht haben soll. Quer durch die Presse repetiert, findet sich kein Beleg dafür, wie er Frau Peter geärgert hätte – abgesehen von der Anekdote, er habe einmal weiter geredet, als Simone Peter um Ruhe gebeten hatte. Wer das Binnenverhältnis der beiden kennt, der weiß allerdings, dass sie es war, die kaum eine Gelegenheit ausließ, ihrem Co eins auszuwischen.

Bei Özdemir äußert sich Diskriminierung zugleich in einer paradoxen Form, die man nicht sofort versteht. In einem Interview mit der Welt beklagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt, dass „wir Grünen mehrheitlich eine weiße und arrivierte Partei sind. Es ist an der Zeit, dass wir zeigen: Wir sind vielfältig“. Klare Sache. Als sie gefragt wurde, ob Cem Özdemir dann nicht ein sehr geeigneter Kandidat sei, reagierte sie überraschend. „Nur damit keine Missverständnisse entstehen: Cem ist in Deutschland geboren, in Bad Urach“. Das heißt, Göring-Eckardt machte aus dem Migrantenkind kurzerhand einen Bio-Deutschen. Das Thema „Deutscher-oder-Migrant?“ ist schillernd. Für Özdemir scheint es immer zum Nachteil auszufallen. Mal wird „der Cem“ eingemeindet, mal wirft man ihm unter der Hand vor, dass er in den Sekundärtugenden zu deutsch sei. Es ist der geschickt verpackte Vorwurf der Überangepasstheit. „Özdemir hat sich eine akkurate, fast übertriebene Höflichkeit angewöhnt“, schrieb die taz pikiert. „Er gibt auch in größeren Runden jedem die Hand, begrüßt selbstverständlich stets die Frau zuerst.“

Özdemir wird häufig als Promi-Grüner bezeichnet. Das ist nur scheinbar eine Ehrbezeugung. Promis und Etablierte erregen bei Grünen seit jeher Argwohn. Bei Cem Özdemir ist daraus eine Art Generalverdacht geworden: er ist erfolgreich, eloquent und elegant gekleidet, ja, er hat sogar bessere Manieren als viele Grüne. Allein weil man ihm zutraut, Außenminister oder Ministerpräsident werden zu können, muss er dafür büßen. Er hat den Malus eines Ministers, ohne es zu sein.

Zu den Alleingängen des einsamen Wolfs, weiß ein anderer Grüner recht genau zu berichten, wie man so etwas wird. Er hat selber Migrationshintergrund und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil das Thema zu heikel sei. „Als Migrant kommst du dir bei den Grünen wie in einem Sandkasten vor“, sagt er. „Du darfst bei den Weißen nicht mitspielen, du bekommst ihr Spielzeug einfach nicht. Du bist zwar in der Partei, aber du kommst nicht in ihre Kreise rein. Das erlebst du einmal, zweimal, dreimal – und dann spielst du halt alleine. Und gründest deine eigene Spielgruppe.“ Mit anderen Worten: Özdemir ist kein Einzelgänger, er wurde dazu gemacht. Alle, die Özdemir näher kennen, sagen zum Thema Alleingänge: Absoluter Unsinn. Er sei höflich und rücksichtsvoll. „Es ist Wahnsinn, ein Kaliber wie Cem nicht zu wählen“, sagt ein Mitarbeiter der Fraktion.

Özdemir ist übrigens keine Ausnahme. Die Masche, erfolgreiche Migranten abzusägen, hat bei den Bündnisgrünen Methode. 2017 wurde der grüne Bildungs- und Sportpolitiker Özcan Mutlu nach nur einer Legislaturperiode wieder aus dem Bundestag abberufen. War Mutlu ein no name, war er zu leise oder bedeutungslos? Im Gegenteil. Der Schnell- und Lautsprecher Mutlu war flugs zu einem bekannten Fachpolitiker geworden: Er half, die mögliche Schmiergeldaffäre beim DFB aufzudecken und reiste in die Türkei, um sich für Deniz Yüzel einzusetzen. Dennoch wechselten ihn Berlins Grüne durch einen bis heute völlig unbekannten Bezirkspolitiker aus Pankow aus. Als Mutlu beim Wahlparteitag gegen seinen weißen Mitbewerber im dritten Wahlgang endlich verloren hatte, johlten und feierten viele Grüne, als wären sie gerade Weltmeister geworden.

Özcan Mutlu vereinigt, anders als der stets wie ein Grandseigneur auftretende Özdemir, gleich zwei Nachteile für einen grünen Politiker: er ist Arbeiterkind und er ist – wie er es selbst ausdrückt – Kanake. Als der Geschlagene fragte, was er denn nur falsch gemacht habe, riet ihm ein Parteifreund: „Du hättest eine ruhige Kugel schieben sollen.“

Mutlu war der beste und engagierteste Bildungspolitiker der Bundestagsfraktion. Und flog wieder raus. Özdemir ist der eloquenteste Generalist der Fraktion, ihr geborener Chef. Und wird nicht gewählt. Das wahre Motto der grünen Multikultipartei geht in Wahrheit so: Als Migrant kannst Du gerne bei uns mitmachen – solange Du nicht besser bist als wir. Leitartikel Meinung

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  1. Antoinette de Boer sagt:

    Mich erstaunt der Inhalt dieses Artikels sehr – der Aspekt “ weiss “ gegen „grün “ war mir bisher nicht bewusst . Ich hätte mir bei der letzten Wahl auch lieber Cem Özdemir an der Parteispitze gewünscht ( obwohl ich “ Weisse “ bin – was für eine blödsinnige Bezeichnung ! ).Özdemir hätte der Partei mit seinem Talent,auch zur Kommunikation, sehr gut getan – Herr Hofreiter ,als ausgewiesener Ökospezialist,könnte ja weiterhin inhaltlich sehr nützlich für die Grünen sein – sein Auftreten als Spitzenpolitiker schadet er der Partei mehr,als das er ihr nützen kann – seine Auftritte sind unbeholfen, dröge und langweilig – trotz intelligenter Inhalte !!!

  2. inke sagt:

    Nur eine Ergänzung zu den aufgezählten grünen Spitzenämtern, die mit PoC besetzt sind: Aminata Touré als neue Vize-Landtagspräsidentin in SH
    https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Aminata-Toure-ist-neue-Vize-Landtagspraesidentin,toure110.html

  3. President Obama sagt:

    Die Zustände innerhalb der Bündnisgrünen auf Bundesebene sind mir nicht bekannt. Allerdings sollte man nicht außer Acht lassen, dass seine Gegenkandidaten stark sind und Özdemir an vielen Punkten nicht mehr der CDU Kompatibel ist. In vielen Themen sind die Parteien in der Lage – auch in Regierungsverantwortung – zusammen zu arbeiten.

    Dies mag mit Göhring-Eckert einfacher sein, als mit Cem Özdemir.

  4. Zolcinska sagt:

    Alles , was in diesem Artikel über die politische Karriere von Hr. Özdemir steht kann ich sehr gut nachvollziehen . Bin keine Politikerin , habe keine sog. Karriere gemacht aber ich wurde relativ erfogreich in meinem Genre . Und erlebte über Jahre Mobbing in aller Form . “ Dreck ins Gesicht zu bekommen gehört zum Erfolg “ ; tut unglaublich weh … Ich habe noch nie hier was geschrieben , bin mir fast 100 % sicher …???

  5. Ute Plass sagt:

    „Könnte es sein, dass sich hinter dieser generellen Absage an den Türken Özdemir etwas verbirgt, was es bei den Grünen qua Selbstverständnis eigentlich nicht geben kann: schnöder Rassismus?“

    Ob es sein könnte ist eine müßige Fragestellung. Sollte dieser, hier geäußerte, Verdacht Cem Özdemir umtreiben, dann wär’s allerhöchste Zeit das mit seinen grünen ParteigenossÍnnen offen zu kommunizieren. Den Beitrag hier, auf Orakel-Niveau, halte ich für wenig klärend.

  6. cyko sagt:

    Ein Artikel, der eine Wahl/Nichtwahl Özdemirs ohne Betrachtung seiner transatlantischen Verbindungen anstellt, kann nur in die Irre führen.

    Und so bleibt der wesentlichste Vorbehalt gegenüber Özdemir ungenannt – das Özdemir nicht ganz unabhängig sein könnte, dass er ein Mann des alten Systems ist, dass er als Außenminister Krieg bringen könnte.

    Stattdessen die Anti-AfD zur Rassismuspartei umdeuteln. Großes Kino.

  7. Parker030 sagt:

    Wow. Sich von jemandem, der für die faz, die Welt und anderen rassistischen Medien Artikel schreibt, rassismus erklären zu lassen, ist wirklich witzig. Und traurig, dass das migazin diese traurige artikelattrappe auch noch veröffentlicht.

    Aber hey, Hauptsache das Augenmerk auf die bösen, rassistischen grünen richten und bloß nicht auf die viel rassistischer, neoliberalistische, kapitalfaschistoide cdu/CSU, AFD und Konsorten zu lenken.

    Da hat jemand Angst vor der übertriebenen Popularität der Grünen. Herr Füller, sie sind traurig, durchschaubar und ich möchte nicht wissen, was in ihrem Kopf vorgeht. Jemand der für so große Blätter arbeitet scheint gezielt propaganda zu betreiben und linke/grüne Positionen politisch zu Schwächen. Herzlichen Glückwunsch. Das migazin ist volle Kanne reingefallen. Traurige Sache das alles..

  8. Daryush Ghassemi sagt:

    Ich persönlich schätze Herrn Özdemir sehr.
    Ich habe mich gefreut, als er Bundesvorsitzender der Grünen war.
    Dass er jetzt abgelehnt finde ich schade. Hat aber meiner persönlichen Meinung nach damit zu tun, dass er als vernünftiger Realpolitiker zu konservativ für seine in höchstem Maße ideologiesierten Parteikollegen ist.
    Vielleicht spielt auch ganz einfach der Neid eine Rolle, da Herr Özdemir einfach ein talentierterer Politiker und auch ein charismatischerer Mensch ist, als manch anderer von seiner Partei.
    Das ist schade und bedauerlich, aber nicht in ethnischer Diskriminierung begründet. Den Rassismus Vorwurf halte ich daher für undifferenziert und unausgewogen und auch für falsch.

  9. Kai Diekelmann sagt:

    Auch wenn die vorangegangenen Kommentare dem Autor generell zustimmen – ich halte die These zum latenten Rassismus der Grünen für Quatsch. Es mag auch in der Diversitypartei rassistisch denkende Menschen geben, aber es ist keineswegs ein strukturelles Merkmal der Grünen.
    Ich mag Cem Özdemir gern und hätte mir gewünscht, er wäre wieder in die erste Reihe gewählt worden. Dass dies nicht geschah hatte Gründe, die mit Herkunft nichts zu tun haben:
    Es ging nicht um Hofreiter oder Özdemir, sondern um ein neues Duo. Die Ko-Kandidatin von Özdemir hätte Katrin Göring-Eckardt abgelöst, die ein ganz anderes Format hat und ihren Job ganz großartig macht. Sie abzuwählen, damit Cem Özdemir Fraktionschef wird, wäre ziemlich daneben gewesen.
    Zudem ist gar nicht klar geworden, welche politische Alternative ein neuer Fraktionsvorstand repräsentiert hätte. Frühere Erfahrungen mit Özdemir werden den einen oder die andere zusätzlich gegen ihn eingenommen haben.
    Das Wahlergebnis ist vor diesem Hintergrund keineswegs demütigend sondern sehr respektabel für Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther.
    Eins noch: warum bezeichnet Herr Füller Cem Özdemir als Türken? Das würde man/frau eher von einem AfD-Funktionär erwarten.

  10. Roand Hartmann sagt:

    Das mit dem Rassismus ist wirklich aus dem Daumen gesaugt um Schlagzeile zu generieren und Klicks. Als überzeugter Transatlantiker und seinen Einstellungen ist er von vielen aus dem Linken Spektrunm nicht wählbar.