EuGH Generalanwalt

Sprachanforderungen vor dem Ehegattennachzug verstößt gegen EU-Recht

Die Sprachanforderungen vor dem Ehegattennachzug stehen vor dem Aus. Die Regelung verstößt laut EuGH-Generalanwalt gegen EU-Recht. Der Bundesregierung droht damit eine herbe Niederlage im jahrelangen Streit um den vermeintlichen Kampf gegen Zwangsehen.

Nach Ansicht von Paolo Mengozzi, Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), verstößt es gegen das Unionsrecht, dass Deutschland Nicht-EU-Bürgern nur dann ein Visum für den Ehegattennachzug erteilt, wenn sie Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweisen können. Dieses Spracherfordernis sei weder mit der Stillhalteklausel des Assoziierungsabkommens mit der Türkei noch mit der Richtlinie über die Familienzusammenführung vereinbar.

Bereits seit 2007 macht Deutschland die Erteilung eines entsprechenden Visums grundsätzlich von der Bedingung abhängig, dass sich der nachzugswillige Ehegatte schriftlich wie sprachlich in deutscher Sprache verständigen kann. Diese von der damaligen schwarz-roten Regierung eingeführte Regelung sollte die Integration von Neuankömmlingen in Deutschland erleichtern und der Bekämpfung von Zwangsehen dienen.

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Regelung unverhältnismäßig
Das sieht Generalanwalt Mengozzi anders. Zum einen könnten Ehegatten auch nach der Einreise zu einem Deutschkurs verpflichtet werden, zum anderen sei die Regelung unverhältnismäßig. Denn sie könne die Familienzusammenführung unbegrenzt hinausschieben. Außerdem würden Betroffene durch die Teilnahme an einem Sprachkurs in Deutschland aus ihrem familiären Umfeld heraustreten. Von einer Isolation, wie sie von der Bundesregierung vorgetragen wurde, könne also keine Rede sein.

Geklagt hatte die in der Türkei lebende Frau Doğan. Sie möchte seit vier Jahren zu ihrem Ehemann nach Deutschland ziehen. Ihr türkischer Ehemann, leiter einer GmbH, lebt seit 1998 in Deutschland und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im Januar 2012 lehnte die Deutsche Botschaft in Ankara die Erteilung eines Visums für den Ehegattennachzug an Frau Doğan ab, da sie nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge. Frau Doğan ist Analphabetin.

Hilfsweise Härtefallregelung
Gegen diese Entscheidung erhob die Betroffene Klage beim Verwaltungsgericht Berlin. Dieses wiederum legte dem EuGH die Frage vor, ob die geltenden Regeln mit EU-Recht und insbesondere mit der sogenannten Stillhalteklausel vereinbar sind. Die Stillhalteklausel gilt seit Anfang der 1970er Jahre im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der Türkei. Sie verbietet die Einführung neuer Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit für türkische Staatsbürger.

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Die Entscheidung des EuGH wird erst in einigen Monaten erwartet. Der Gerichtshof folgt in seinen Urteilen meist den Empfehlungen seines Generalanwalts. Falls nicht, so Mengozzi, solle eine Einzelfallprüfung erfolgen. Hierbei seien die Interessen minderjähriger Kinder sowie alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Berücksichtigt werden solle auch, ob in der Heimat des nachzugswilligen Ehegatten Unterricht und Lernmaterial zugänglich sind, auch aus Kostengesichtspunkten. Ebenso seien etwaige Schwierigkeiten zu berücksichtigen, wie Alter, Analphabetismus, Behinderung und Bildungsgrad.

Politische Entscheidung
Diese Ergänzungen des Generalanwalts kommen nicht von ungefähr. Deutschland machte bisher keinen einen Unterschied, ob Ehegatten Analphabet waren, die lateinischen Buchstaben nicht kannten, behindert waren, das nächste Goethe Institut mehrere Hundert Kilometer entfernt vom Wohnort lag oder andere erschwerende Umstände vorlagen. In kaum einem Fall wurde ein Visum erteilt ohne Nachweis von Deutschkenntnissen. Selbst von deutschen Staatsbürgern wurde verlangt, die Ehe im Ausland zu führen. Und kam es mal zu einer Klage und drohte das Auswärtige Amt den Rechtsstreit zu verlieren, wurde kurzerhand ein Last-Minute-Visum erteilt, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.

Schon mehrmals wurde die Bundesregierung von der Opposition auf die Rechtswidrigkeit dieser Regelung aufmerksam gemacht. In haarspalterischer Manier argumentierten sich das Innenministerium und das Auswärtige Amt über viele Jahre von einer parlamentarischen Anfrage zur nächsten. In einer mündlichen Fragestunde setze Staatssekretär Ole Schröder den vorläufigen Höhepunkt als er einräumte, dass dies vor allem eine politische Frage ist und die Bundesregierung an dieser Regelung festhalten wird, so lange es geht.

Dağdelen: Endlich Ende in Sicht
Die integrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dağdelen, kritisierte damals, dass die Bundesregierung von Einwanderern die Einhaltung der Gesetze einfordere, sie selbst aber nicht mit einem guten Beispiel vorangehe und sich nicht einmal an höherrangiges EU-Recht halte. Die aktuelle Stellungnahme des Generalanwalts kommentierte sie mit Erleichterung: „Tausenden zwangsweise voneinander getrennten Ehegatten dürfte angesichts der Stellungnahme des EuGH-Generalanwalts ein Stein vom Herzen fallen: Endlich ist ein Ende der menschenrechtswidrigen Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Sprachtests im Ausland in Sicht“, erklärt sie am Mittwoch.

Allein im Jahr 2013 schafften 12.828 Ehegatten den Sprachtest im Ausland nicht. Das entspricht etwa einem Drittel aller abgelegten Sprachprüfungen. Insgesamt sank die Zahl der zum Ehegattennachzug erteilten Visa infolge der gesetzlichen Hürden um mehr als ein Fünftel, von knapp 40.000 auf etwa 32.000 pro Jahr. Die von der Bundesregierung oftmals vorgegeben Zahl, mit einem Wortschatz von 300 Wörtern könnten die Sprachtests gemeistert werden, entpuppte sich als unwahr. Konfrontiert mit den hohen Durchfallquoten teilte sie mit, dass es an den Prüflingen liege. Sie seien unvorbereitet. „Es ist höchste Zeit, diesen diskriminierenden staatlichen Eingriff in das Familienleben sofort zu beenden“, fordert Dağdelen und ergänzt: „Es wurde genug Leid und Unglück produziert.“

Beck: Sinnvolle Integrationspolitik
Zustimmung findet der Generalanwalt auch vom innenpolitischen Sprecher der Grünen, Volker Beck: „Die Bundesregierung sollte endlich einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Familiennachzug nicht länger an den Spracherwerb im Ausland bindet. Das widerspricht ohnehin dem Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz.“

Der Generalanwalt verstehe von sinnvoller Integrationspolitik mehr als die Bundesregierung. „Den Familiennachzug an den Nachweis von Deutschkenntnissen zu koppeln ist ein erheblicher Eingriff in die Menschenrechte. Selbstverständlich sollen Einwanderer in Deutschland die deutsche Sprache erlernen. Doch das geht in Deutschland einfacher und schneller als im Ausland, wo es oft nur wenige kostspielige Deutschkurse gibt“, so der Grünen-Politiker.

Vorgeschobenes Grenzschutzinstrument
Die Niederlande, die eine ähnliche Regelung beim Ehegattennachzug hatte, musste sich ebenfalls dem Druck der EuGH beugen und diese Praxis im Jahr 2011 abschaffen, im April 2012 kippte auch Österreich ihre Sprachregelung. Die Bundesregierung hingegen hielt an den Spracherfordernissen fest und berief sich immer wieder auf eine umstrittene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus April 2011. Die Verfassungsrichter hatten EU-Recht kaum berücksichtigt. Im September 2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht zumindest bei deutschen Staatsbürgern Grenzen, die von der Bundesregierung nur zögerlich, widerwillig und unvollständig umgesetzt wurden. Mitte 2012 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Auf eine kritische Stellungnahme der EU-Kommission zwei Jahre zuvor hatte die Bundesregierung nicht reagiert.

Kritiker äußern den Verdacht, dass es sich bei dem Gesetz zum Ehegattennachzug um ein Grenzschutzinstrument unter vorgeschobenen Motiven handelt. Um die Vermeidung von Zwangsehen gehe es hierbei am wenigsten. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration führte in seinem Gutachten für das Jahr 2011 aus, dass mit dieser Regelung implizit auch das Ziel verfolgt wurde, „den Familiennachzug von Unqualifizierten und eine Zuwanderung in die Sozialsysteme im Besonderen zu begrenzen“. (es)