Buchtipp zum Wochenende

Werbung im Wandel der Wirkung und Wahrnehmung

Ethnomarketing – nicht einfach nur ein beliebiges Buzz-Word, sondern eine Chance für Unternehmen, bisher brach liegende Potenziale zu bergen. Wie das gehen kann, zeigt der Herausgeberband „Zielgruppen im Konsumentenmarketing“ und speziell der Beitrag von Burhan Gözüakça, Geschäftsführer von Beys Marketing & Media.

Werbung, wie wir sie kennen, funktioniert nicht mehr so, wie Werbetreibende es gerne wollen. Zu differenziert sind mittlerweile die Zielgruppen, zu diffus ihr Aufbau, zu pauschal die zur Ansprache genutzten Ansätze. Umso wichtiger also, dass spezifische Segmentierungsansätze gewählt werden, auf dass die jeweiligen Zielgruppen durch Werbung wirklich erreicht werden.

Vor der Ansprache jedoch steht die Identifizierung. Gerade bei uns Migranten, so möchte man meinen, ist dies doch sehr einfach: Wir sind „sowohl-als-auch“ akkulturiert, sitzen nicht zwischen, sondern auf beiden Stühlen und stehen mit je einem Bein fest in der einen und anderen Kultur. Kurz gesagt: Wir können alles – Sprachen, Kulturen und Konsumieren.

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Mehr Feste und mehr Möglichkeiten für Migrantenansprache
Tatsächlich aber – und das zeigt Burhan Gözüakças Beitrag Andere Länder, andere Sitten – Mit Ethnomarketing die Zielgruppe der Migranten erreichen deutlich – ist es (und sind wir) noch viel komplexer. Und das wiederum sollte die Zielgruppe „Migranten“ noch attraktiver machen, wenn, ja, wenn man sie denn noch besser kennen würde.

Ein schönes Beispiel, das Gözüakça wählt, zeigt dies besonders deutlich: Viele Kinder der 3. oder gar 4. Generation leben selbstverständlich in der Herkunfts- und Mehrheitskultur – was natürlich auch für religiöse Feste gilt. So feiern Muslime, orthodoxe oder koptische Christen oder aber Italiener oder Spanier sowohl „deutsche“ Weihnachten wie auch das Zuckerfest, das Dreikönigsfest und orthodoxe Weihnachten.

Das bedeutet schlicht und ergreifend: Mehr Feiertage und dadurch mehr Möglichkeiten, die Konsumlaune der Migranten anzusprechen. Umso wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Retro-Akkulturation.

Auch wenn sich dieser Begriff hier in Deutschland noch nicht durchgesetzt hat und eher in den USA (und da beispielsweise bei den Hispanics zu finden ist), wird dieses Gefühl dennoch auch hier bereits gelebt: Die Suche nach den eigenen Wurzeln, die nicht selten auch im Konsum „typischer“ Dinge aus der ursprünglichen Heimat gipfelt.

Migranten sind multimedial – Ethnomarketing auch?
Um die eingangs erwähnte Segmentierung tatsächlich betreiben und damit auch die Zielgruppe „Migranten“ in ihrer Komplexität und Heterogenität begreifen und bedienen zu können, muss man sie und ihr Konsum- und Informationsverhalten zunächst detailliert verstehen. Burhan Gözüakça nennt dazu einige Zahlen: Die türkische Zielgruppe beispielsweise sieht im Durchschnitt doppelt so viel fern wie Deutsche.

Zudem werden deutsche Medien als eher sachlich und informativ wahrgenommen, während Medien in der Landessprache vor allem in Verbindung mit Emotionen stehen, die man gerne über kollektiven TV-Konsum teilt. Hinzu kommen Medien wie eben Tageszeitungen, Radiosender und natürlich das Internet. Nimmt man all diese Informationskanäle zusammen, entdeckt man nicht zuletzt auch die zahlreichen Wege, um Migranten mit Werbung zu „versorgen“ und sie in definierten Settings und Stimmungen zu erreichen.

Die Wahl für den Werbekanal
Auch spielt der Kenntnisstand der jeweiligen Sprachen eine entscheidende Rolle, was die Wahl des passenden Kanals angeht. Je besser nämlich die Deutschkenntnisse ausgeprägt sind, desto eher werden deutsche Medien genutzt. Mittlerweile schreiben sich mehr als 50 % der türkischstämmigen Migranten sehr gute oder gute Deutschkenntnisse zu. Jedoch beeinflussen nicht nur die Sprachkenntnisse die Medienwahl. Schließlich sind beispielsweise Fernsehprogramme aus der Heimat immer auch Familienevents.

Der Medienmix hinsichtlich Form und Sprache stellt Unternehmen vor Herausforderungen, bietet andererseits aber auch Chancen. Redaktionen von Zeitungen aus der Heimat beispielsweise, die in Deutschland sitzen, zielen mit ihrer Berichterstattung natürlich auf das Informationsbedürfnis der Community in Deutschland ab. Umso besser platziert sind in solchen Medien dann auch Anzeigen, die direkt mit dem Leben in Deutschland in Verbindung stehen.

Zwischen Migrantenkompetenz, Migrantenfreundlichkeit und Migrantenzentrierung
Bei der Bedienung von ethnischen Zielgrruppen ist zwischen Migrantenkompetenz und Migrantenfreundlichkeit zu unterscheiden. Während Migrantenkompetenz in erster Linie Serviceangebote in der Landessprache und -kultur umfasst, bezieht sich Migrantenfreundlichkeit eher auf die Qualität des persönlichen Kontakts.“ Damit spricht Burhan Gözüakça eine wichtige Differenzierung innerhalb des Ethnomarketings an. Natürlich ist guter Service auch bei Deutschen beliebt, doch nehmen diese ihn anders wahr.

Für Deutschtürken beispielsweise, seien Kriterien wie besonders freundliche Mitarbeiter/innen, ein kulanter After-Sales-Service oder auch eine eingehende Beratung in der Herkunftssprache entscheidend. Unternehmen, die hier mit einem bikulturellen und zweisprachigen Service (also Verkaufs- und Beratungspersonal, flexible Beratungszeiten, Infomaterial wie Flyer und Broschüren und natürlich Websites) aufwarten können, sind dabei klar im Vorteil.

Ethnomarketing richtig anpacken
Als eher nachteilig erweist sich andererseits, wenn Unternehmen das Thema Ethnomarketing „mit spitzen Fingern anfassen“, es also vorsichtig und halbherzig betreiben, weil sie um ihre deutsche Kundschaft fürchten oder Angst haben, Migranten mit einer differenzierten Ansprache zu diskriminieren. Tatsächlich aber, so Burhan Gözüakça, fühlen sich die Migranten-Communities viel eher wert geschätzt, wird doch damit nicht ihre Integration in Frage gestellt, vielmehr jedoch ihre Diversity respektiert. Das ist natürlich nicht der Fall, wenn mit altgedienten Klischees gespielt wird.

Anders gesagt: Ob Kaya Yanar und „Ich kaufe Edeka“ tatsächlich Deutschtürken anspricht oder auch Werbeclips wie jene von Ramazzotti oder Giotto und Wagner Steinofen Pizza wirklich uns Italienern in Deutschland gefallen oder eher für Deutsche gemacht sind, sind entscheidende Fragen, wenn Werbung wirken und wahrgenommen werden soll. Gute Werbung bezieht selbstverständlich andere Nationalitäten mit ein, geht auf eventuelle Besonderheiten und auch Sprachprobleme ein, ohne gängige Klischees zu sehr zu strapazieren.

Migranten als eine von vielen Nischenzielgruppen
Nicht nur Burhan Gözüakças Beitrag in Zielgruppen im Konsumentenmarketing zeigt interessante Überlegung und innovative Ansätze, was Werbung, deren Wahrnehmung und Wirkung seitens der oft falsch verstandenen Konsumenten angeht.

Die Aufteilung des Buches in unterschiedliche Segmentierungsansätze (demographisch/sozioökonomisch; psychografisch; verhaltensbezogen; geographisch; situationsbezogen) wie auch zahlreiche Umsetzungsbeispiele hinsichtlich unterschiedlicher Zielgruppenansätze zeigen, dass die Herausgeberin Prof. Dr. Marion Halfmann ebenso segmentiert und überlegt vorgegangen ist, was die Auswahl der Themen und Experten angeht.

Schließlich – und auch das erschließt sich aus dem Buch – sind wir Migranten nicht alleine, was Nischenzielgruppen und auch die Heterogenität innerhalb dieser Community angeht. Auch Zielgruppen wie Frauen, Jugendliche, Reiche, LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) und auch Familien lassen sich zwar anhand ihrer speziellen Bedürfnisse identifizieren, doch auch innerhalb dieser Nischenzielgruppen gibt es wiederum sehr heterogene Bedürfnisse an Produkte und Services.

In diesem Sinne kann keine noch so homogen erscheinende Zielgruppe durch ein und dasselbe Marketing-Raster abgebildet werden. Die Vielfalt und Differenziertheit der Beiträge in Zielgruppen im Konsumentenmarketing spiegelt dies auch mit Hinblick auf uns Migranten detailliert und umfassend wider.