EU-Erweiterungskommissar Füle

Visa-Erleichterungen für Türkei ab Juli – Ziel: Visafreiheit

EU-Erweiterungskommissar Štefan Füle hat Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger angekündigt. Für Ankara ist das nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, von der geforderten – Visafreiheit – aber noch weit entfernt.

EU-Erweiterungskommissar Štefan Füle hat vergangene Woche Mittwoch in Brüssel Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger angekündigt. Die konsularischen Außenvertretungen aller EU-Staaten in der Türkei seien angewiesen worden, ab dem 1. Juli eine vereinfachte und einheitliche Visa-Praxis einzuführen. „Das ist ein erster Schritt und ein Sprungbrett auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Ziel: die Visafreiheit.“

Damit, so Füle, spreche er ein Thema an, das bisher gerne ignoriert worden sei. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen der EU zur Türkei aber spreche für sich. Die gemeinsame Zollunion habe den Handel zwischen der EU und der Türkei seit 1995 verdreifacht und sei 2010 auf 100 Milliarden Euro gewachsen. Die EU-Investitionen in der Türkei hätten vergangenes Jahr 6,7 Milliarden Euro betragen. Hinzu kämen langjährige Handelsbeziehungen zwischen großen europäischen und türkischen Unternehmen in allen Sektoren der Wirtschaft.

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Türkei von zentraler Bedeutung
„Das alles zeigt, dass die Türkei zu einem wichtigen Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Weltwirtschaft geworden ist. Und noch viel mehr als das: Die Türkei ist ein Partner von zentraler strategischer Bedeutung für die EU in Bezug auf Sicherheit, Stabilität, Wohlstand und Energieversorgung“, so Füle.

Doch diese gegenseitigen Interessen und die damit verbundenen Chancen würden von den Medien nicht beachtet. Vielmehr werde der Fokus auf die Herausforderungen des Beitrittsprozesses gelegt. Mit Blick auf die Zukunft müsse die Türkei aber noch weiter in die EU integriert werden. Die Beitrittsverhandlungen seien dafür das beste Werkzeug.

Viele Erleichterungen
Die Neuregelung sieht eine Reihe von Erleichterungen vor. So werden die Visagebühr von 60 Euro auf 35 Euro, die Zahl der Dokumente und die Bearbeitungsfrist auf höchstens 15 Tage gesenkt. Kinder unter 12 Jahren, Rentner, Behinderte, Schüler, Journalisten, Vertreter von Nichtregierungsorganisation und Personen, die enge Verwandte in der EU haben, werden von der Visagebühr komplett befreit. Geschäftsmänner und sonstige Dienstleister, die öfter in die EU reisen, bekommen langfristige Visa. Wird ein Visaantrag abgelehnt, müssen – anders als wie bisher – die Gründe mitgeteilt werden. Diese Regelungen sollen für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelten und vereinheitlicht werden.

Auch die Gemeinschaft Deutscher Großmessen (GDG) hat sich zu den geplanten Reformen der Visa-Regelungen zur Einreise nach Deutschland geäußert und „Änderungen mit Augenmaß“ gefordert. „Die deutsche Messebranche lebt von der Internationalität bei Ausstellern und Besuchern. Wenn zu hohe bürokratische Hürden eine Einreise unnötig kompliziert machen, wird die Visa-Regelung zu einer Wachstumsbremse für das deutsche Messewesen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Messe AG, Wolfram von Fritsch am Mittwoch in Hannover.

Damit wird der Druck auf die Bundesregierung, die sich bisher gegen eine Visafreiheit stellt, größer. Die derzeit geltende Vergabepraxis von Einreisevisa löst regelmäßig Beschwerden von ausländischen Unternehmern, Verbänden und Politikern bei den deutschen Messeveranstaltern aus.

Ankara reagiert nüchtern
Zuletzt hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (AKP) bei der Eröffnung der Computermesse CeBIT Anfang März, auf der die Türkei Partnerland war, Visa-Erleichterungen für sein Land gefordert. Als Begründung führte Erdogan zahlreiche Beschwerden türkischer Unternehmer aus. Darüber hinaus sei es selbstverständlich, dass ein Land, das Mitglied der Zollunion sei und Beitrittverhandlungen mit der EU führe, folgerichtig auch über eine Visafreiheit sprechen müsse.

Insofern reagierte Ankara auf die jetzt geplanten Erleichterungen nüchtern. Die Erklärungen Füles zeigten einen „guten Willen, seien von den Erwartungen aber noch weit entfernt“. Die Neuregelungen stellten nur einen ersten Schritt auf dem Weg zur Visafreiheit dar.

MiG-Dossier: Rechtsprechung, Einzelheiten, Hintergründe und die Politik der Bundesregierung zur Thematik im MiG-Dossier „Visumsfreiheit für Türken„.

Rechtsprechung spricht für Visafreiheit
Die Visa-Frage könnte bald aber auf einem anderen Weg geklärt werden. Das Europäische Gerichtshof hatte in seiner sogenannten Soysal Entscheidung Anfang 2009 entschieden, dass türkische Staatsbürger im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit kein Visum benötigen. Gestützt wurde das Urteil auf ein Anfang 1973 in Kraft getretenes Zusatzprotokoll des Assoziationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit der Türkei, das „neue Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs“ ausschließt. Für türkische Staatsbürger wurde die Visumspflicht in Deutschland allerdings 1980 eingeführt. Das stelle eine „neue Beschränkung“ dar und sei daher unwirksam, so die EuGH-Richter.

Dieser Entscheidung folgten bisher mehrere deutsche und Gerichte in verschiedenen Ländern der Europäischen Union. So auch das Verwaltungsgericht München am 9. Februar 2011. Die Richter entschieden, dass türkische Touristen im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit für einen Aufenthaltszeitraum von bis zu drei Monaten ohne Visum und Aufenthaltserlaubnis in die Bundesrepublik Deutschland einreisen dürfen.

EuGH soll klären
Um eine endgültige Klärung herbeizuführen, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein laufendes Verfahren ausgesetzt und Mitte April den EuGH um eine Vorabentscheidung erbeten. Sollten die Richter ihrer bisherigen Linie treu bleiben und türkischen Staatsbürgern die Visafreie Einreise ermöglichen, sind die Mitgliedsstaaten der EU gezwungen, zu reagieren und ihre Visa-Praxis an die Rechtsprechung anzupassen. (bk)