Interview

Aiman Mazyek: „Politik muss Muslime in die Rundfunkräte integrieren“

Zentralrat-Chef Aiman Mazyek beklagt im Gespräch mit dem MiGAZIN die negative Islamberichterstattung in den Medien und fordert von der Politik, Muslime in die Rundfunkräte zu integrieren. Er steht staatlicher Nachhilfe für Medienmacher kritisch gegenüber und plädiert an die Eigenverantwortung islamischer Dachverbände.

Das Bundesinnenministerium hat am Rande der letzten Deutschen Islamkonferenz einen Workshop für Chefredakteure und Herausgeber deutscher Medien angekündigt. Es geht um „die mediale Wahrnehmung muslimischer Mitbürger“. Wer ist Urheber dieser Idee?

Aiman Mazyek: Die diesjährige Islamkonferenz diskutierte die Themen Seelsorge und Wohlfahrt. Auch außerhalb der Konferenz wurden Gespräche geführt. Dabei ging es um Sicherheit der muslimischen Einrichtungen, präventive Maßnahme gegen Radikalisierung sowie Islamfeindlichkeit. Auch Medienvertreter waren bei diesen Gesprächen anwesend. Bei diesem Austausch wurde deutlich, dass sich einige muslimische Religionsvertreter einen stärkeren Austausch mit Chefredaktionen wünschen. So ist diese Initiative entstanden. Ursprünglich standen jedoch andere Themen auf der Agenda und nicht die Intention, einen Workshop für Chefredakteure anzubieten. Wir haben begrüßt, dass sich das Ministerium unterstützend einschaltet, unser ausdrücklicher Wunsch war es aber nicht.

___STEADY_PAYWALL___

Wie würden Sie die Medienberichterstattung in Bezug auf Islam und Muslime in Deutschland beschreiben?

Aiman Mazyek: Sie ist oft defizitär und tendenziös und es gibt unterschiedliche Gründe dafür. Spätestens nach 9/11 haben wir die fehlende Trennschärfe zwischen Extremismus und der Religion, zwischen dem was der Glaube gebietet und dem, was Terroristen anrichten. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch alle Diskussionen hindurch. Die Muslime in ihrer negativen Fratze, sprich Terror, IS, al-Qaida dienen als Projektion und Eyecatcher für so viele Talkshows und Überschriften. Da setzt sich natürlich ein negatives Narrativ fest.

…Eyecatcher für Talkshows?

Aiman Mazyek: Nehmen wir das Beispiel der Talkshow „Anne Will“. Dort wurde neulich eine Frau mit Nikab eingeladen und auf der anderen Seite ein sogenannter Islamkritiker, der sich auch noch anmaßt, im Namen der schweigenden Mehrheit der Muslime zu sprechen. Natürlich kommt da Krawall heraus. Der Großteil der Muslime kommt dabei schon lange nicht mehr zu Wort.

Oder nehmen wir die völlig abartige Markierung und Kennzeichnung des Ex-Linksextremisten als „Pornoislamisten“. Immer klebt dabei das Etikette Islam dran. Selbst die seriöse Tageszeitung SZ zitierte ihn vor wenigen Tagen im Titel: „Ich handelte im Auftrag Allahs“. Eine kritische Hinterfragung dieses Satzes in die Berichterstattung findet kaum statt, gleichsam wird von den Muslimen Selbstkritik beinah zum elften Gebot erkoren.

Welche Folgen hat das?

Aiman Mazyek: Solche Talkshowauftritte und Schlagzeilen nutzen insbesondere Populisten, Rechte und Rechtsradikale für ihre Politik. Sie bedienen das Narrativ über die Islamisierung Europas und arbeiten jetzt einen von diesem Diskurs längst bereiteten Boden. Und sie ernten. Und wie. Und alles schreit auf: Wie kann das ein? Obgleich man jahrelang selbst daran mitkonstruiert hat. Die Rechtspopulisten machen es dreist, weil sie unverhohlen lügen, wo andere Parteien zurückstrecken. Das Absurde ist, dass Muslime am Ende auch noch gefragt werden, warum sie sich nicht mit den Aussagen eines „Pornoislamisten“ auseinandersetzen, distanzieren und hinterfragen, warum er sich auf den Islam beruft. Die eigentliche Frage lautet: Warum erkennt die Öffentlichkeit nicht, dass die Aussagen dieses verqueren Mannes krude und quatsch sind, oder zumindest als Schutzbehauptung fungieren?

Es gibt also Nachholbedarf. Dennoch hat der deutsche Journalistenverband davon abgeraten, am Workshop des Ministeriums teilzunehmen. Sie bräuchten keinen staatlich organisierten Nachhilfeunterricht. Was halten Sie davon?

Aiman Mazyek: Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Medien genau darauf achten wollen und müssen, dass die Gewaltenteilung aufrechterhalten bleibt. Inzwischen hat ja das Ministerium da auch erwartungsgemäß und für uns nicht überraschend einen Rückzieher gemacht.

Aber ich hätte mir eine ganz andere Diskussion von uns muslimischen Vertretern mit dem Ministerium gewünscht und habe das bereits selbstkritisch intern auch angemahnt: Was kann die Politik leisten, dass wir flächendeckend muslimische Vertretungen in Rundfunkräten haben? Das ist durchaus eine wichtige Position, da es über die Rundfunkräte auch Korrektive gibt. Genau um diese geht es den muslimischen Vertretern im Grunde. Aktuell fehlen diese. Und da ist die Politik der richtige Ansprechpartner. Ich weiß nicht, ob eine Sendung wie bei „Anne Will“ mit muslimischer Präsenz in den Rundfunk- und Medienräten durchgegangen wäre. Aber im Rundfunk saß keine muslimische Stimme, obwohl die Zusammensetzung unserer Gesellschaft das gebietet und Muslime jährlich zig Millionen an Gebühren an die Anstalten überweisen. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir diese Themen anpacken. Die Öffentlichkeitsarbeit der Religionsgemeinschaften hingegen sollte nicht staatlich organisiert werden, sondern von den muslimischen Vertretern selbst ausgehen.

Würden Sie das konkretisieren?

Aiman Mazyek: Der Zentralrat der Muslime ist ein bisschen der „einsame Ritter“ in diesem Bereich. Aus unserer Arbeit in der Praxis kann ich berichten, dass die Chefredaktionen grundsätzlich offen für Gespräche sind. Erst vor zweit Tagen hatten wir ein gutes Gespräch, eine zwölfköpfige Gruppe von Anchormans, Moderatoren und Chefredakteuren von N24, Pro Sieben, Sat.1 und dem Kabelfernsehen war bei uns zu Gast. Ich habe in den letzten Jahren viele Tageszeitungen oder auch Lokalzeitungen und andere Stellen besucht bzw. bin von ihnen eingeladen worden. Dabei haben wir von unterschiedlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht: Blattkritik, Einladungen zu Interviews oder Hintergrundgesprächen. Auch das gehört mit zum Geschäft der Medien und der Öffentlichkeitsarbeit. Insofern kann ich die anderen Religionsgemeinschaften nur aufmuntern und ermutigen, ihre Öffentlichkeitsarbeit entsprechend zu erweitern – Stichwort Manpower – und zu professionalisieren.

Sie fordern Muslime in die Rundfunkräte. In Bremen ist das bereits der Fall. Woran scheitert es denn in anderen Bundesländern?

Aiman Mazyek: Ich weiß nicht, ob das eine Frage des Scheiterns ist, es gibt Vertreter auch schon im ZDF-Rundfunkrat oder im SWR. Ich selber sitze im Beirat von RTL, einem freiwilligen Rat der Hausleitung und Chefredakteure von RTL, N-TV und VOX u.a. Es ist vor allem eine politische Entscheidung. Die Medienanstalten alleine dafür verantwortlich zu machen, dass Muslime kaum einbezogen werden, ist verkehrt. Natürlich können Verantwortliche in den Rundfunkanstalten auch etwas dazu beitragen. Die letzte Entscheidung liegt aber bei der Politik. Dieses Thema betrifft aber nicht nur das Fernsehen, sondern auch die Deutsche Welle oder das Deutschlandradio und natürlich die vielen Landesstellen der Öffentlich-Rechtlichen. Es gibt also eine ganze Menge zu tun.

Wäre die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Weg, um Muslime in Rundfunkräte zu integrieren?

Aiman Mazyek: Um Mitglied im Rundfunkrat zu sein oder einen Rundfunkvertrag mit Muslimen zu schließen muss man nicht Körperschaft des öffentlichen Rechts sein. Dieser Status würde es aber erleichtern.

Eine andere Möglichkeit zur Selbstregulierung der Medien ist der Pressekodex des Presserats. Danach soll die Herkunft von Straftätern nicht genannt werden, wenn es für das Verständnis der Tat irrelevant ist. In Freiburg gab es kürzlich eine Vergewaltigung mit anschließendem Mord. In vielen Medien wurde die Herkunft des mutmaßlichen Täters genannt. CSU-Generalsekretär Scheuer fordert eine Änderung des Pressekodex. Was halten sie von dieser Richtlinie – besonders im Kontext des Freiburger Falls?

Aiman Mazyek: Ich war jetzt beim 60-jährigen Festakt des Presserats und ich habe in der Tat eine noch kritischere Würdigung der Umsetzung des sehr guten Kodexes vermisst. Hier sehe ich eine Reihe von Defiziten, wie man auch am Freiburger Fall sehen konnte. Aus den sozialen Medien oder auch aus bekannten rechten Medien wurde viel Druck erzeugt, nach dem Narrativ: „Warum versuchen die Medien, diese Berichterstattung zu kaschieren?“ Und dann entsteht ein Druck, welchem sich Medien beugen. Sie begehen dann einen Fehler, wie bei den Übergriffen nach der Kölner Silvesternacht. Sie versuchen, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Und dabei passiert genau das, was der Kodex eigentlich nicht will: Die Herkunft oder die Religion wird in den Vordergrund gestellt und es wird auf der anderen Seite übertrieben.

Mit diesem Phänomen sollte sich der Presserat gezielt auseinandersetzen. Es war meines Erachtens ein Fehler, dass die Tagesschau davon nicht berichtet hat. Auf der anderen Seite gehört ein Mord nicht in die 20-Uhr-Nachrichten, nur weil der Verdächtige ein Flüchtling ist.