NSU Debatte im Bundestag

Schon zum dritten Jahrestag dominiert Blau, die Farbe der Sitze

Vor drei Jahren wurde bekannt, dass Neo-Nationalsozialisten mordend, bombend und vor allem ungehindert quer durch die Republik ziehen durften. Gestern zogen unsere Volksvertreter eine Bilanz der bisherigen Aufarbeitung, beziehungsweise das, was inzwischen darunter verstanden wird.

Durch die Bank hinweg sind sich unsere Volksvertreter gestern Nachmittag im Bundestag einig: Ja, wir haben Schuld auf uns genommen; ja, wir haben Fehler begangen; ja, wir müssen aufklären; ja, so etwas darf sich nie wiederholen; ja, wir sind es den Opfern schuldig. Ja, ja, ja, verdammt noch einmal! Wie schon im vergangenen Jahr, als sich die NSU-Selbstenttarnung zum zweiten Mal jährte und im Jahr davor, als Kerzen die Opfer symbolisierten, auch schon. Einig. Volksvertreter aller Couleur, der höchste Souverän des Staates, die Stellvertreter des Volkes, von dem alle Staatsmacht ausgeht, einig und trotzdem – so scheint es – machtlos, die Meisten jedenfalls.

„Haben wir es hier mittlerweile mit einem gefährlichen Eigenleben der Nachrichtendienste zu tun? Wer hat hier eigentlich das Sagen? Wir, die dafür vom Volk Gewählten oder der Apparat?“, fragt Grünen Chef Cem Özdemir in Richtung Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der Minister hört zwar interessiert zu, regt sich aber nicht, so als wüsste er, dass die Frage rhetorischer Natur ist und die Antwort längst kein Geheimnis mehr. Auch als Özdemir sagt, man solle endlich aufhören, von einer Zelle zu reden, sondern von einem Netzwerk, regt sich der Bundesinnenminister nicht.

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Es gibt nichts Neues an diesem Nachmittag. „Wir klären auf, was vorher bewusst verschleiert wurde“, fasst Staatsministerin Aydan Özoğuz (SPD) die Ermittlungsergebnisse der vergangenen 36 Monate zusammen: plötzliches Ableben von V-Männern unter mysteriösen Umständen kurz vor ihrer Befragung, CDs mit Hinweisen zur NSU, die seit Jahren irgendwo beim Verfassungsschutz unentdeckt herumgelegen haben sollen. Unterm Strich wurden häppchenweise neue Fragen aufgeworfen, beantwortet wurde kaum eine.

Häppchenweise geht es auch mit den Umsetzungen der Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse voran. „Der Aufklärungswille der Behörden verharrt weiterhin nahe null. Und von den beschlossenen Veränderungen ist so gut wie nichts tatsächlich schon abschließend umgesetzt“, so Petrau Pau (Die Linke). Würde man dieses Tempo beibehalten, würde das letzte Kapitel lange nach dem EU-Beitritt der Türkei abgeschlossen werden – und wenn er dann noch lebt, inklusive Erdoğan. Die vom Justiz- und Innenminister bisher als große Würfe angepriesenen zwei Reförmchen stellen, übertragen auf die EU-Türkei-Beitritt-Zeitskala, allenfalls den Beitrittsgesuch der Türkei aus dem Jahr 1959 dar.

Aber immerhin. Denn an anderen Baustellen wird nicht einmal häppchenweise serviert. Kein Verantwortlicher wurde bisher zur Rechenschaft gezogen. „Sicher, einige Behördenchefs, die mussten gehen. Aber was ist eigentlich mit dem Apparat selbst? Steht der Apparat vielleicht außerhalb der Gesetze, Herr de Maizière?“, fragt Özdemir und fährt fort: „Wo sind denn die strafrechtlichen Ermittlungen? Wo gibt es Disziplinarverfahren? Dass ein paar Leute umgesetzt werden, OK. Aber reicht uns das?“

In der Türkei spricht man vom tiefen Staat, wenn solche Fragen gestellt werden und der Innenminister sie nicht beantwortet – aus welchen Gründen auch immer. Aber die Türkei kann man ja ohnehin nicht ernst nehmen, die ticken anders. Die diskutieren lieber über Belangloses, anstatt über die leeren Ränge gestern im Bundestag. Das Foto oben ist kein Symbolfoto; es karikiert das Interesse unserer Volksvertreter am „größten Sicherheitsskandal der Nachkriegsgeschichte“ meisterhaft und lässt zugleich in die Zukunft blicken, auf das vierte Jahr, auf das fünfte Jahr…

Apropos Symbole, auf das Bitterste macht am gestrigen Tag Irene Mihalic (Grüne) aufmerksam. In Erinnerung an das Versprechen von Angela Merkel, die NSU-Morde rückhaltlos aufzuklären, sagt sie wörtlich: „Und genau an diesem Punkt würde ich mir wünschen, dass die Bundeskanzlerin, jetzt ist sie leider heute nicht da.“