Nachgefragt

Visafreiheit für Türken – Linke bleiben konsequent dran

In einer weiteren Kleinen Anfrage (BT-Drucksache 16/12562F) an die Bundesregierung hakt Die Linke im so genannten Soysal-Urteil (Rechtssache C-228/06) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 18. Februar 2009 nach.

Das EuGH hatte im Falle des türkischen Fernkraftfahrers Soysal entschieden, dass infolge eines Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei keine strengeren Visumsregelungen im Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für türkische Staatsangehörige gelten dürfen als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Protokolls, d.h. zum 1. Januar 1973. Die allgemeine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige wurde allerdings erst 1980 eingeführt. Daher erklärte das Gericht die Verschärfung der Visumsbestimmungen im Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit mit dem Zusatzprotokoll des Assoziierungsabkommens als unvereinbar und stellte klar, dass die alten Visumsbestimmungen weiter gültig sind.

Die Folgen der EuGH-Entscheidung
„Daraus folgt, dass türkische Staatsangehörige zur Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit visumsfrei nach Deutschland einreisen dürfen, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei beibehalten und keine Erwerbstätigkeit in Deutschland aufnehmen wollen. Betroffen sind davon aktive und passive Dienstleistungserbringer wie beispielsweise Touristen, aber auch Personen, die eine Krankenhausbehandlung in Deutschland durchführen lassen oder einen Sprachkurs in Anspruch nehmen wollen, so dass die Neuregelung des Erwerbs von Sprachkenntnissen vor der Einreise im Rahmen des Ehegattennachzugs ad absurdum geführt wird.“, so Die Linke.

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Dies ist jedenfalls die einhellige Auffassung juristischer Fachexperten und -expertinnen, z. B. des Richters und Europarechtsexperten Dr. Dienelt 1, der Richterin Dr. Cornelia Mielitz 2 und auch der Polizeihauptkommissare Volker Westphal und Edgar Stoppa, die an der Bundespolizeiakademie unterrichten und Informationsblätter zum Ausländerrecht für die Polizei- und Grenzpolizeiarbeit erstellen 3.

Des Weiteren führen Die Linke eine erste Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts 4 zur Thematik aus. Aus der Begründung ergibt sich, dass „nach Auffassung der Kammer vieles dafür [spricht], dass neben der Freiheit des Dienstleistungserbringers […] auch die passive Dienstleistungsfreiheit […] von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls erfasst ist“.

Die Rechtsauffassung der Bundesregierung
Dessen ungeachtet versucht die Bundesregierung laut Vorbemerkung der Fragesteller, die Auswirkungen des Urteils auf den konkreten Einzelfall bzw. auf aktive Dienstleistungserbringer zu beschränken 5. obwohl der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Peter Altmaier, zuvor noch eingeräumt hatte, das Soysal-Urteil betreffe „die visumsfreie Einreise türkischer Staatsangehöriger zur kurzfristigen Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit, so wie sie durch das im Jahre 1973 geltende deutsche Ausländerrecht vorgesehen war“ 6.

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„Infolge der unzureichenden Umsetzung des Soysal-Urteils“ so Die Linke „drohen Regressforderungen in unbekannter Höhe, wenn türkische Staatsangehörige zu Unrecht an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden. Zudem werden unzählige Unschuldige wegen vermeintlich unerlaubter Einreise verfolgt. Die Rechtsanwälte […] Dr. Gutmann und Dr. h. c. Strate haben deshalb am 20. März Strafanzeige gegen den Bundesminister des Innern, Wolfgang Schäuble, gestellt, weil die derzeitige interne Weisungslage die Grenz- bzw. Bundespolizei zur Verfolgung Unschuldiger anstifte.“

Fragen an die Bundesregierung
Die Linke schließen die Vorbemerkung der Kleinen Anfrage mit einem Verweis auf ein Kommentar von Ekrem Senol auf MiGAZIN ab, der in dieser Angelegenheit ein konsequentes Nachfragen gefordert hatte und wollen von der Bundesregierung unter anderem wissen, wieso die Bundesregierung so lange für die Auswertung des Urteils benötigt oder wie die Bundesregierung ihre bisher ablehnende Haltung juristisch begründet.

Weiterhin möchte die Linksfraktion wissen, wie viele türkische Staatsangehörige wegen eines Visumsverstoßes, wegen „illegaler“ Einreise in den Jahren 1973 bis heute verurteilt wurden oder wie viele Visumsanträge türkischer Staatsbürger im selben Zeitraum versagt wurden und welche Möglichkeiten türkische Staatsangehörige haben, Regressforderungen bzw. Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik zu erheben.

Auch in Hinblick auf die Regelung der Sprachanforderungen vor Erteilung eines Einreisevisums zum Ehegattennachzug wollen die Fragesteller wissen, welche Gruppen türkischer Staatsangehöriger zum Stichtag des 1. Januar 1973 auf welcher Rechtsgrundlage, zu welchen Zwecken, unter welchen Bedingungen, für wie lange visumfrei nach Deutschland einreisen konnten, und wie die Einreisebedingungen konkret für die Gruppen „Touristen“ bzw. „Personen, die in Deutschland einen Sprachkurs besuchen wollen“ waren.

  1. www.migrationsrecht.net; Informationsbrief Ausländerrecht 2001, 473ff
  2. NVwZ 2009, Heft 5, S. 276 ff.
  3. „Ausländerrecht für die Polizei“, www.westphal-stoppa.de
  4. VG 19 V 61.08, Beschluss vom 25. Februar 2009
  5. vgl. Plenarprotokoll 16/213, S. 23073 ff.
  6. Plenarprotokoll 16/210, S. 22709