Rassismus

Die Polizei und ihr Gegenüber – eine schwierige Beziehung

Die Rassismus-Debatte in Deutschland hängt Jahrzehnte hinter dem wissenschaftlichen Stand. Derzeit gibt es die Chance über Rassismus und die Auswirkungen zu lernen und aufzuholen – auch und gerade bei der Polizei.

Wenn Polizisten über Bürger sprechen, ist häufig die Rede vom „polizeilichen Gegenüber“. Interessiert man sich für Sprache und ihre Wirkung, kann man über diese Bezeichnung stolpern und etwas länger darüber nachdenken. Es ist eine erstaunlich sachliche und implizit vereinheitlichende Bezeichnung dafür, dass es sich um Menschen handelt, die sich in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden. Man könnte sich auch fragen, ob die Wortwahl metaphorisch für eine Konfrontation stehen soll. So, wie man sie aus Bildern von Protesten kennt. Sie wirken konfliktbeladen und belastet. Beinahe sinnbildlich für die Debatten rund um Rassismus und Polizeiarbeit.

Immer wieder wird Polizisten Rassismus, z.B. in Form von racial profiling, vorgeworfen. Ein Kontrollverhalten, bei dem nicht das Verhalten von Personen, sondern allein ihre tatsächliche oder nur zugeschriebene „andere Herkunft“ ausschlaggebend ist. Auch die aufgedeckten rechtsextremen Gruppierungen innerhalb der Organisation sorgten jüngst in Hamm, zuvor in Frankfurt und Leipzig für Erschütterung und Wut. Schnell werfen solche Berichte und Ereignisse Fragen nach Zusammenhängen und Gründen auf. Zum Beispiel, ob die Polizei ein Rassismusproblem hat.

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Struktureller Rassismus oder Einzelfälle?

Als Saskia Esken behauptete, die Polizei in Deutschland habe ein strukturelles Rassismusproblem, gab es aus Reihen der Politik und Polizei große Kritik. Schnell relativierte Esken diese Aussage wieder. Es handele sich doch vielmehr um Einzelfälle. Und schon befindet man sich in der immer wieder gestellten Frage, bei der konstruktive Polizeikritik stecken zu bleiben scheint.

„Deutschland hängt bei Debatten um Rassismus dem aktuellen wissenschaftlichen Stand Jahrzehnte hinterher, weil er von vielen mit dem Verweis darauf, sich nicht rechtspopulistisch zu positionieren, abgewunken wird.“

Ein Grund dafür besteht auch hier in der Sprache und in der Annahme, man habe bei der Frage nach Rassismus in der Polizei ein einheitliches Verständnis von „Rassismus“ und seiner strukturellen Erscheinung. Deutschland hängt bei Debatten um Rassismus dem aktuellen wissenschaftlichen Stand Jahrzehnte hinterher, weil er von vielen mit dem Verweis darauf, sich nicht rechtspopulistisch zu positionieren, abgewunken wird.

Rassistisch agiert nach dieser Logik nur, wer sich auch als Rassist definiert. Dieser Mechanismus macht rassismuskritische Auseinandersetzungen unmöglich. Für die Polizei bedeutet das, dass sie eine Chance vertut, sich noch stärker zu professionalisieren, wenn sie ständig nur von Einzelfällen spricht. Betrachtet man die ganz besonders drastischen Ausformungen von Rassismus in der Polizei, dann kann es womöglich unter Berücksichtigung der Deutungshoheit, die die Polizei und ihre Verbündeten im Diskurs haben, gelingen, sie als Einzelfälle abzutun.

Ein richtiges Verständnis von Rassismus greift aber nicht erst bei der Formierung rechtsextremer Zellen oder rassistischer Polizeigewalt. Vielmehr geht es bei dem analytischen Verständnis von Rassismus um die Verknüpfung negativ aufgeladener Eigenschaften und Verhaltensweisen mit bestimmten sozialen Gruppen. Diese Vorurteile sind durch die eigene Sozialisation lange angelernt und wirken abwertend für die Fremdgruppe und aufwertend für die eigene Gruppe. Dabei erhalten diese konstruierten Gruppen kollektive Zuschreibungen und werden nicht mehr als Individuen wahrgenommen.

Ein sichtbares und unveränderbares identitätsstiftendes Merkmal wie die Hautfarbe, bekommt so eine übergroße Bedeutung für die Wahrnehmung dieser Person – zum Beispiel, ob sie als besonders gefährlich oder aggressiv wahrgenommen wird. An dieser Logik entlang knüpfen dann diskriminierende Äußerungen und Handlungen. Zum Teil passieren sie unbewusst.

Auch bei der Frage nach strukturellem Rassismus scheint in der Debatte nicht klar zu sein, worum es geht. Gemeint ist nämlich nicht die Anzahl derer, die innerhalb einer Organisation rassistisch denken oder handeln. Es geht nicht darum der Polizei zu unterstellen, jede einzelne Person agiere bewusst rassistisch. Struktureller Rassismus meint vielmehr, dass er tief verankert und historisch gewachsen ist. Er ist systemimmanent und wird von den Akteuren darum teilweise gar nicht gesehen. Er speist sich aus Traditionen, Konventionen und versteckten Mechanismen. Ihn zu leugnen kann also heißen, dass man ihn nicht versteht oder ihn nicht sieht. Keineswegs aber, dass er nicht da ist. Struktureller Rassismus existiert nicht nur bei der Polizei, sondern auch in anderen Institutionen und in der Gesellschaft an sich.

Lebensrealitäten von Polizisten – ein konstruktiver Ansatz

Begegnungen im Rahmen unseres beruflichen Alltags prägen uns auf unterschiedliche Weisen. Menschen, die im Job-Center arbeiten, haben meist viel Kontakt mit Arbeitslosigkeit. Menschen, die in einer Mahnabteilung arbeiten, haben viel Kontakt mit zahlungsunwilligen oder zahlungsunfähigen Personen.

„Rassistisch agiert nach dieser Logik nur, wer sich auch als Rassist definiert. Dieser Mechanismus macht rassismuskritische Auseinandersetzungen unmöglich. Für die Polizei bedeutet das, dass sie eine Chance vertut, sich noch stärker zu professionalisieren, wenn sie ständig nur von Einzelfällen spricht.“

Dennoch bedeutet es nicht, dass es außerhalb der beruflichen Erfahrungen keine anderen Realitäten gibt. Die überwiegende Anzahl der Menschen hat Arbeit und zahlt ihre Rechnungen. Übertragen auf Alltagserfahrungen von Polizisten liegt hier ein Dilemma. Der Polizeialltag bringt eine sehr einseitige Prägung in Bezug auf Begegnung in einer heterogenen Gesellschaft mit sich.

Der Kontakt zu einzelnen Minderheitengruppen ist im Vergleich zu den vorherrschenden Communitygrößen sehr gering. Diese kleinen Gruppen allerdings, können ihnen einen großen Teil der Arbeit verschaffen, insbesondere mit Blick auf städtische Regionen. Aus kriminologischer Sicht gibt es dafür Gründe. Es gibt Faktoren, die Kriminalität begünstigen und sich häufig in „migrantischen Millieus“ finden. Beispielsweise Papierlosigkeit, Benachteiligung und Armut. Es kommt so schnell zu einer Verzerrung der Realität.

Vereinfacht kann man sagen, dass die Polizei in der Regel nicht zu feierlichen Anlässen wie der Abschlussfeier einer afrodeutschen Studentin gerufen wird. Sie schauen auch nicht dabei zu, wie der marokkanische Vater liebevoll mit seiner Tochter ein Eis isst. Der Blick vieler Polizeibeamten auf Menschen mit tatsächlicher oder nur zugeschriebener Migrationsgeschichte ist geprägt von Delinquenz und Negativität. Das betrifft insbesondere den Kontext Männlichkeit und Migration.

Verschärft wird diese Alltagsrealität dadurch, dass die Organisationen relativ homogen zusammengesetzt sind. Polizeipersonal in Deutschland ist in der Regel sehr weiß, sehr männlich und privilegiert mit Blick auf den sozialen Status. Auch, wenn sie sich um mehr Diversität bemüht und es kleine Veränderungen gibt. Das bedeutet, dass viele Beamten gar keinen anderen Bezug zu Migration und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte haben, als die Begegnungen mit dem polizeilichen Gegenüber im Rahmen ihres Arbeitsalltags. Nicht im Kollegium, nicht im Freundeskreis – allenfalls beim Gemüsehändler um die Ecke.

Es gibt demnach wenig Impulse zur Reflexion und kritischen Auseinandersetzung des eigenen Handelns und der eigenen Haltung. Diejenigen, die sie geben könnten, sind nicht da. Zumindest nicht ausreichend repräsentiert. Und wenn sie den Weg in die Organisation finden, haben sie häufig mit dem großen Anpassungsdruck zu kämpfen.

Warum eine selbstkritische Polizei wichtig ist

„Eine Gesellschaft ohne Polizei ist schwer vorstellbar. Es ist wichtig, dass wir sie haben. Aber es ist auch wichtig, dass sie besser wird. Im Moment gibt es für alle die Chance, viel über Rassismus und die Auswirkungen zu lernen. Die Zeiten, in denen sich vornehmlich gefragt wurde, ob es Rassismus in Deutschland gibt, sind vorbei. Es gibt ihn – überall.“

Eine Gesellschaft ohne Polizei ist schwer vorstellbar. Es ist wichtig, dass wir sie haben. Aber es ist auch wichtig, dass sie besser wird. Im Moment gibt es für alle die Chance, viel über Rassismus und die Auswirkungen zu lernen. Die Zeiten, in denen sich vornehmlich gefragt wurde, ob es Rassismus in Deutschland gibt, sind vorbei. Es gibt ihn – überall. Es ist an der Zeit, progressive und lösungsorientierte Fragen zu stellen.

In allen Berufsgruppen und Unternehmen wird es den Bedarf geben, sich mit Fragen von Ungleichheit, Diskriminierung und Gleichberechtigung auseinanderzusetzen. Ob der erkannt wird, ist eine andere Frage.

Bei der Polizei allerdings ist es besonders wichtig. Schließlich ist sie mit so viel Macht ausgestattet, dass sie in Grundrechte eingreifen kann. Es sollte das ureigene Interesse der Polizei sein, Rassismus, Diskriminierung und Machtmissbrauch zu beseitigen. Ansonsten läuft sie Gefahr das Vertrauen der Communities gänzlich zu verlieren. Das wiederum hat u.a. zur Konsequenz, dass Straftaten nicht mehr ausreichend angezeigt und Ermittlungen erschwert werden, weil es keine Kooperationsbereitschaft bei Zeugen gibt. Um das zu verhindern braucht es ganzheitliche Konzepte, die das Vertrauen aller Bürger, nicht nur der Privilegierten, stärken.

Sensibilisierungsschulungen sind wichtig, reichen allein aber nicht aus. Es braucht außerdem eine gute Fehlerkultur sowie ein transparentes und qualifiziertes Beschwerdesystem für das Innenverhältnis, aber auch für die Bürger. Für Polizeibeamte sollte außerdem die Möglichkeit geschaffen werden, ihre Alltagserfahrungen professionell zu reflektieren und zu verarbeiten. So können sachliche Bewältigungsstrategien entwickelt- und dem Entstehen diskriminierender Denk- und Verhaltensmuster frühzeitig entgegengewirkt werden. Am Anfang aber steht die notwendige Auseinandersetzung mit Begriffen und der Thematik. Hier steht die Polizei in der Bringschuld. Erst dann gelingt ein Dialog auf Augenhöhe. Zwischen der Polizei und ihrem Gegenüber.

Hinweis: Dieser Text wurde von der Verfasserin geschlechtergerecht formuliert. Entsprechende Änderungen hat die Redaktion vorgenommen.